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Sonderforschungsbereich 434 "Erinnerungskulturen"

Diese Forschungsabteilung untersucht die Inhalte und Formen kultureller Erinnerungen in ihrer Pluralität, Konstruktivität und Dynamik. Ihr Anliegen ist es, Formen und Funktionen des Erinnerns von der Antike bis ins 21. Jahrhundert zu analysieren und so das Bewusstsein für die Historizität erinnerungskultureller Konstellationen zu schärfen.

Teilbereich D08: "Revolutionserinnerung in der europäischen Bildpublizistik (1789 - 1889)"

Fachhistorische, kunst- und mediengeschichtliche Ansätze verbindend, erforscht das Projekt die internationalen Nachwirkungen der von der Französischen Revolution geprägten neuen Bildsprache in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum des Vorhabens stehen diachrone und interkulturelle Bild-Filiationen der longue durée in der westeuropäischen Druckgraphik.

Dabei geht es darum, diesen visuellen Erinnerungsprozess, der von der Konjunktur der politisch-sozialen Bewegungen und von der Entwicklung der illustrierten Massenpresse vorangetrieben wurde, in vierfacher Hinsicht zu untersuchen: erstens als wiederholtes Beschwören oder Verdammen zentraler Elemente der Französischen Revolution unter sich wandelnden sozialen und nationalen Rahmenbedingungen (Themen-Erinnerung); zweitens als fortlaufenden Bilderkampf um Revolutionssymbole wie Freiheitsbaum und Guillotine (Motiv-Erinnerung); drittens als vollständiges oder selektives Zitieren, zustimmendes oder polemisches Adaptieren konkreter Vor-Bilder (Bild-Erinnerung); und viertens als Wechselspiel sowohl mit benachbarten Printmedien (Presse, Medaillen, Fächer) als auch mit ausgewählten dinglichen Erinnerungsstücken (Büsten, Revolutionssouvenirs). Mit dem letztgenannten Aspekt und einer verstärkten Berücksichtigung der visuellen Narrativität setzt das Vorhaben ab 2004 einen neuen Doppelakzent, der sich aus der Arbeit in der AG "Intermedialität" ergeben hat.

Indem das Projekt die spezifischen Erinnerungspotenziale der bildpublizistischen Zeichensprache und Erzählweisen herausarbeitet, liefert es einen grundsätzlichen Beitrag zur Kernproblematik des SFB. Nachdem es im Laufe zweier Förderphasen eine ungeahnte Fülle einschlägigen Bildmaterials systematisch ermittelt, erfasst und erschlossen, dessen Relevanz und Aussagekraft in einer Reihe von Fallstudien erprobt und ein Netzwerk der historischen Graphik-Forschung geknüpft hat, will das Vorhaben in der letzten Förderphase seine allgemeineren Ergebnisse vorlegen. Dies soll zum einen in Form von Ausstellungen und fundierten Katalogen geschehen. Es wird in Kooperation mit der Kunstbibliothek Berlin unter dem Titel "Weimar – Drehscheibe der Karikaturen in Europa" im Herbst 2006 eine Schau über die illustrierte Zeitschrift London und Paris (1798-1815) gezeigt und für 2009 ist am Musée de la Révolution française in Vizille eine Ausstellung über die durchgehenden revolutionsspezifischen Bild-Themen und visuellen Darstellungsweisen der politischen Graphik von 1789 bis 1871 geplant.

Zum anderen befindet sich ein mehrbändiges Handbuch zur Revolutionsikonographie des 18. und 19. Jh.s. in Vorbereitung, an dem eine Reihe namhafter Autoren aus Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, den Niederlanden, England und den USA mitarbeitet. Neben einer Reihe von Grundsatzbeiträgen (Graphikmarkt, Intermedialität, Narrativität, Bildgattungen, Medienlandschaften etc.) soll es 27 Artikel zur Entwicklungsgeschichte verbildlichter Konzepte wie "Constitution" und "Terreur" enthalten. Rund 90 Artikel fokussieren zudem vielgebrauchte Motive wie "Albtraum" und "Chronos", "Freiheitsbaum" und "Leichenzug", "Plebejer" und "Vulkan".

Arbeitsgruppe "Intermedialität"

In der AG Intermedialität sind kunst-, literatur- und geschichtswissenschaftliche Teilprojekte des SFBs vertreten, deren Gegenstände durch wechselseitige Text-, Bild- und Dingbezüge strukturiert sind. Die AG untersucht die mediale Bedingtheit von Erinnerung nicht nur im Hinblick auf die Erinnerungspotenziale einzelner Medien, sondern auch umgekehrt auf ihre formende Kraft für konkrete Erinnerungsprozesse sowie für komplexe Erinnerungskulturen. Vor dem Hintergrund der verstärkten Aufmerksamkeit der Forschung für die Medialität von Erinnerung ist das Erkenntnisinteresse der AG dahingehend spezifiziert, dass sie nicht einzelne Medien isoliert betrachtet, sondern sie immer über ihre Beziehung zu anderen Medien erfasst. In der aktuellen Förderphase konzentrierte sie sich mit der Medienkonkurrenz auf einen äußerst theoriefreudigen und selbstreflexiven Beziehungstyp, der unter dem Titel „Gedächtnisparagone“ gefaßt wurde. Unter dem historischen Terminus „Paragone“, dem Wettkampf der Künste, wird seit der Renaissance das Verhältnis insbesondere von Bild und Text sowie auch von Bild und Plastik kunsttheoretisch verhandelt. Gerade dann, so die Ausgangsthese, wenn es die eigene Kunst gegenüber benachbarten Künsten zu verteidigen gilt, wird ihre spezifische Medialität zum diskursiven tertium comparationis. Die Positionierung einer Kunst im Paragone hat eine Außen- und eine Innenseite: Voneinander abgehoben und in eine hierarchische Systematik überführt wird nicht nur das eigene gegenüber dem benachbarten Kunst-Medium. Indem die spezifische Medialität der eigenen Kunst festgelegt wird, zieht das vielmehr auch eine gattungstheoretische Binnendifferenzierung mit sich etwa im Sinne der Aufwertung der schöpferisch-mimetischen Malerei gegenüber der nachformenden Plastik oder des sukzessiven Dramas gegenüber der simultanen Lyrik. Als ergiebig für die AG erwies sich nun, die Ergebnisse der Paragone-Forschung, die sich programmatisch der Intermedialität widmet, mit der Erinnerungsforschung zu verbinden, genauer die schon in der griechischen Antike und vermehrt wieder seit der Renaissance kämpferisch vorgebrachte Differenzierung in verschiedene Medien(qualitäten) auf ihre Leistungsfähigkeiten für die Erinnerung hin zu befragen: In welchem Verhältnis stehen die Paragone-Debatten zur herrschenden Gedächtnismetaphorik, gibt es Leitmedien, und welchen Stellenwert haben hier ältere und neuere Medientechniken wie das Schreiben, das Bilden, das plastische Einprägen oder das Belichten für die jeweils herrschenden Gedächtnismodelle? Welche Rolle spielen Argumente der durativen Disposition im Medienvergleich, die jeweilige Materialität oder Reproduzierbarkeit für die Garantie von Stabilität, Dauer und Verfügbarkeit im kulturellen Gedächtnis? Und welchen Stellenwert kommt der (wahrnehmungs-)psychologischen Einprägsamkeit zu? Erst in der Zusammenschau der konkurrierenden Medienverhältnisse in der herrschenden Gedächtnismetaphorik, im Ringen um die Teilhabe am kulturellen Gedächtnis und in der Formung konkreter Erinnerungsprozesse erschließt sich die Historizität des Gedächtsnisparagone.