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Software (Kohlenstoff)

OctCarb

Sinn und Zweck des Programms

OctCarb ist ein Skript für Octave, mit dessen Hilfe sich Streudaten nicht-graphitischer Kohlenstoffe (engl. non-graphitic carbons) analysieren und auswerten lassen. Die sogenannten nicht-graphitischen Kohlenstoffe (NGCs) sind eine wichtige Klasse von sp2-basierten Kohlenstoffmaterialien, die eine Vielzahl von natürlichen und synthetischen Kohlenstoffen in Industrie und Forschung umfassen (z.B. Holzkohle, Aktivkohle, Glaskohlenstoff, Ruß, Steinkohle-Peche). Das Schüttgut kann für verschiedene elektrische und reibungsarme Anwendungen verwendet werden, während die porösen Derivate z.B. in der Gasspeicherung/-trennung verwendet werden. Auch lassen sich als Elektroden für Akkumulatoren und Superkondensatoren aus nicht-graphitischem Kohlenstoff herstellen. Kohlenstoffe aus Phenol-Formaldehyd-Harzen (PF-R), die sogenannten Glaskohlenstoffe, dienen als Behälter in Hochtemperaturanwendungen, da sie eine hohe chemische Beständigkeit aufweisen.

Physikalische Eigenschaften wie die thermische und chemische Beständigkeit sowie die elektrischen Merkmale stehen in direktem Zusammenhang mit der Mikrostruktur von NGCs (Abb. 1: Stapelausdehnung und Schichthöhe (La und Lc) sowie deren Unordnung (σ1 und σ3), durchschnittliche und minimale Schichtabstand (a3 und a3 min) sowie die durchschnittliche C-C Bindungslänge (lcc)). Allerdings ist die genaue quantitative Charakterisierung solcher Stoffe schwierig: Die Elektronenmikroskopie (TEM, HRTEM) sowie Raman-Spektroskopie zeigennur einen kleinen Ausschnitt der Probe. Daher wird häufig Weitwinkel-Röntgen-/Neutronenstreuung (WAXS/WANS) häufig verwendet, um quantitative Strukturparameter von NGCs zu erhalten. Aufgrund der breiten und überlagernden Reflexe (Abb. 2) ist eine Auswertung der Streudaten mit den sonst gängigen Methoden nicht möglich. Daher wird spezielle Software für die Analyse solcher Daten benötigt. Allerdings leidet die derzeit verfügbare Software für die Analyse dieser Daten unter gewissen Einschränkungen.

 

 

Abbildung 1: Grundstruktur von nicht-graphitischen Kohlenstoffen (NGCs):
NGCs bestehen aus Stapeln von turbostratisch angeordneten Graphenschichten (Übernommen von Ref. 1).

 

Abbildung 2: Beispielhafte Weitwinkelstreudaten von NGCs:
Die Gesamtstreuung ist eine Überlagerung von der Streuung der Schichten, der Stapel sowie der inkohärenten Streuung (Übernommen von Ref. 1).

 

Für alle Anwendungen ist eine quantitative Bestimmung der Mikrostruktur basierend auf experimentell zugänglichen Strukturparametern sowohl für die Abstimmung von Produktionsprozessen als auch für die Verknüpfung von Materialeigenschaften mit der Mikrostruktur von entscheidender Bedeutung. Letztere umfasst makroskopische Eigenschaften wie Härte, chemische Stabilität oder thermische und elektrische Leitfähigkeit und definiert somit die endgültige Anwendung. Die Gewinnung dieser Parameter ist möglich, indem die WAXS-Daten von NGCs unter Verwendung eines 2002 von Ruland & Smarsly[2] veröffentlichten Ansatzes ausgewertet werden. Mit Hilfe der Arbeiten von Pfaff, Badaczewski et al.[3, 4]  konnte ein Skript (OctCarb) entwickelt werden, welches für die frei verfügbare Software Octave verwendet werden kann, um damit die Streudaten automatisch auszuwerten und so die Mikrostrukur von NGCs valide zu quantifizieren.

 

Vorteile und Anwendung

Die wichtigsten Merkmale sind (nicht abschließend):

  • Komplett kostenlos und quelloffen für Windows, Mac und Linux
  • Anpassung verschiedener Mikrostrukrurparameter wie z.B.:
    • La und σ1 (durchschnittliche Schichtausdehnung und Unordnung)
    • Lc (durchschnittliche Stapelhöhe)
    • a3, a3 min und σ3 (durchschnittlicher und minimale Schichtabstand sowie Standardabweichung (Unordnung)
    • lcc (C-C Bindungslänge)
  • Berücksichtigung mehrerer Korrekturterme und Unterstützung unterschiedlicher Röntgenwellenlängen und Messgeometrien
  • Ausdünnungsfaktor für schnellere Berechnung der Anpassungskurve und schnellere automatische Anpassung sowie die Möglichkeit, am Anfang und Ende Punkte wegzulassen
  • Verschiedene Größen für X-Achse möglich (θ, 2θ, s, q)
  • Automatische Ausgabe und Speicherung aller Parameter sowie der Anpassungsgraphen als Text, Tabelle und Bild
  • Datenanpassung für Röntgen- und Neutronenstreuung möglich
  • Die komplexen mathematischen Berechnungen sind zwar für den Benutzer sichtbar, müssen aber nicht verändert oder manuell berücksichtigt werden
  • Komplett implementierter mathematisch bekannter Fit-Algorithmus (Levenberg-Marquardt)

The Oberfläche von Octave (Abb. 3) besteht im Wesentlichen aus einer Skript-Oberfläche, die Ausgabe der Ergebnisse (Abb. 4) erfolgt als Text, Tabelle und Bild. Alle Daten werden automatisch auf der Festplatte gespeichert.

 

Abbildung 3: Grafische Hauptbenutzeroberfläche (GUI) von Octave:
In der oberen Leiste können die Octave-Dateien (*.m) geöffnet und gespeichert sowie verschiedene Fenster  aktiviert und deaktiviert werden. Auf der linken Seite kann das aktuelle Arbeitsverzeichnis gewechselt werden und die aktuell verwendeten Variablen und ausgeführten Befehle werden dort angezeigt. Im unteren Bereich kann zwischen dem Befehlsfenster (Benutzeroberfläche für die Octave-Kommandozeile), dem Editor (zum Bearbeiten der Skriptdateien) und dem Variableneditor und der Dokumentation umgeschaltet werden (Übernommen von Ref. 1).

 

Abbildung 4: Ergebnisse der WANS-Verfeinerung mit dem Octave-Skript (OctCarb, oben links):
Neben den mikrostrukturellen Parametern in Textform, kategorisiert nach Stapel- und Schicht-Parametern, zeigt Octave die Messdaten und den Fit sowie die Abweichung auf und speichert alles in einer CSV-Datei und als Bilder (Übernommen von Ref. 1)

 

Abbildung 5: Rauschpegeltest mit simulierten WANS-Daten, die durch statistisches Rauschen mittels einer Gauß-Verteilung (σ = 0,05) (schwarz) verrauscht wurden:
Die resultierende Anpassung der verrauschten Daten (rot) liegt sehr nahe an der simulierten Kurve (blau). Der verwendete Rauschpegel entspricht dem typischen Rauschen eines echten WANS-Experiments. Die Abweichungen zwischen den ursprünglichen und verfeinerten Strukturparametern sind sehr gering, was bedeutet, dass ein solcher Rauschpegel keinen signifikanten Einfluss auf die resultierenden berechneten Mikrostrukturdaten hat. Die Daten entsprechen in etwa einem Harz, das bei mittleren Wärmebehandlungstemperaturen (1800 – 2500 °C) oder einem Pech bei niedrigeren Temperaturen (1200 – 2000 °C) behandelt wurde (Übernommen von Ref. 1).

 

Weitere Informationen, Kontakt und Download

Das vorgestellte Skript (OctCarb) wurde gründlich getestet und funktionierte dabei einwandfrei. Trotzdem gilt der folgende Haftungsausschluss. Die Software wird so wie sie ist als Open-Source-Software bereitgestellt. Fehlerberichte und Vorschläge sind dabei gerne willkommen (smarsly@uni-giessen.de oder carbon).

Das resultierende Skript (OctCarb), Anleitungen, Videos sowie weitere Informationen wurden unter https://github.com/osswaldo/NGCs bereitgestellt.

Ein Artikel über dieses Software-Tool wurde in der Zeitschrift C - Journal of Carbon Research veröffentlicht:

Osswald, O. & Smarsly, B. M. (2022). C. 8(4), 78.

 

Haftungsausschluss

Diese Software wird ohne Mängelgewähr bereitgestellt und jegliche ausdrückliche oder stillschweigende Gewährleistung, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die stillschweigende Gewährleistung der Marktfähigkeit und Eignung für einen bestimmten Zweck, wird ausgeschlossen. Die Autoren oder Urheberrechtsinhaber sind in keinem Fall haftbar für direkte, indirekte, zufällige, spezielle, beispiel- oder Folgeschäden (einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Beschaffung von Ersatzwaren oder Dienstleistungen; nutzungs-, daten- oder Gewinnverlust; oder Geschäftsunterbrechung), welche verursacht werden können, und auf jeder Theorie der Haftung, ob aus vertrag, gefährlicher Haftung oder Delikt (einschließlich Fahrlässigkeit oder anderweitig), die in irgendeiner weise aus der Verwendung dieser Software entsteht, selbst wenn auf die Möglichkeit solcher Schäden hingewiesen wurde.

 

Referenzen

[1] Osswald, O. & Smarsly, B. M. (2022). C. 8(4), 78
[2] Ruland, W. & Smarsly, B. (2002). J. Appl. Cryst. 35, 624–633
[3] Pfaff, T. et al. (2018). J. Appl. Cryst. 51, 219-229
[4] Pfaff, T., Badaczewski, F. M. et al. (2019). J. Phys. Chem. C 123 (33), 20532–20546