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Thema und Zielgruppe

Ausgangsbedingung
 Erzählen ist menschlich. Diese geradezu schlicht anmutende These findet ihren Ausdruck auch in MacIntyres Diktum vom Menschen als „storytelling animal“[1]. Narrativieren ist ein für die „menschliche Erfahrungsbildung“ unverzichtbares anthropologisches „Muster der Formgebung“. Narrationen verleihen dem Struktur, das vorher ungeordnet war. Dies allein macht es wert, die narrativen Gefüge von „symbolischen und mentalen Repräsentationen wie Diskursen, Texten oder kognitiven Strukturen“ zu untersuchen.[2] Aus Sicht der Bildungswissenschaften und -institutionen sind die Prozesse des Narra­tivierens aber auch deshalb von Interesse, weil erst sie den Lernenden ermöglichen, Erfahrenes – im Sinne von Wissen und Anwendung – selbstständig narrativ zu strukturieren und sich damit das Erfahrene zu erschließen. Zu fragen ist nach den produktiven und rezeptiven Bildungspotenzialen von Erzählhandlungen und Erzählungen und wie sich diese für den Bereich des Lernens nutzbar machen lassen. Dies geschieht in einem bewusst interdisziplinär und themenzentriert gestalteten Rahmen, gebildet von Fachleuten aus den Bereichen Volkskunde, Phi­losophie, Ethnologie, Literaturwissenschaft, Erziehungswissensschaft, Psychologie, Sozialwissenschaft, Naturwissenschaft, Fremdsprachendidaktik, Heil- und Sonderpädagogik sowie der Geschichts­wissenschaft und -didaktik.
 

Lernen und Erzählen
 Erzählen ist im bildungs­wissenschaftlichen Kontext von großer Bedeutung. Nicht ohne Grund bildet Erzählfähigkeit heute eine zentrale Kategorie in verschiedenen Kompetenzmodellen. Es ist davon auszugehen, dass Lehren und Lernen, Bilden und Bildung viel mit Erzählen können und mit Erzählungen deuten können zu tun haben. Kurz: Ein komplexeres kulturelles Lernen ohne Erzählen scheint kaum möglich. Nicht nur weil wir beim Erzählen Informationen organisieren und Sinn und Bedeutung konstruieren, sondern auch weil wir unser Leben und Handeln stets in Form narrativer Strukturen begreifen und denken, die uns als allgegenwärtige diskursive Praxis soziokulturell bedingter Denk- und Kommunikationsstrukturen begegnen. Unsere Welt ist erzählend und Erzählung zugleich, mit und in ihr lässt sich vortrefflich erzählen. Zudem verfügen Erzählungen über ein besonderes gedächtnisförderndes Potenzial: In Erzählungen gebettetes Erfahrenes lässt sich oft besser behalten und erinnern, als die vermeintlich objektiven, aber leider ‚gesichtslosen‘ Daten und Fakten.
 

Ziel(-gruppe)
 Die Tagung will die theoretischen, empirischen und pragmatischen Ressourcen eruieren, die sich mit der (Re-)Integration des Narrativen in den Bereich des Lehrens- und Lernens nutzbar machen lassen. Dies geschieht durch Initiierung eines interdisziplinären und themenzentrierten Austauschs über theoretische, empirische und pragmatische Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Lernen und Erzählen, an dem möglichst viele an Prozessen des Lehrens- und Lernens interessierte Fächer teilnehmen.
 

Die Tagung richtet sich an alle, die sich für Fragen zum narrativen Paradigma, die Zusammenhänge zwischen Lernen und Erzählen sowie die Prozesse des Lernens und Lehrens interessieren. Dies umschließt sowohl alle Personen, die professionell im Bildungssektor tätig sind, als auch diejenigen, die sich wissenschaftlich mit bildungs- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigen. Die Tagung ist zudem eine promotionsrelevante Veranstaltung für die Mitglieder sämtlicher Sektionen des Gießener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften.
 

Veranstalter
 Veranstalter der Tagung ist die interdisziplinäre Sektion Bildung, Erziehung, Sozialisation des Gießener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften (GGK) der Justus-Liebig-Universität. Auf der Basis der erfolgreichen Arbeit am GGK konnte 2006 auf diesem Modell aufbauend im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder das International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) gegründet werden, dessen Angebot eng mit dem des GGK verknüpft ist. Gründungsdirektor des GGK ist Prof. Dr. Ansgar Nünning.
 

In der Sektion arbeiten mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fächerübergreifend zu Fragen des formellen und informellen Lernens. Verantwortlich für die Konzeption und das Programm der Tagung sind Alena Berg, Thorsten Fuchs, Anke Fuchs-Dorn, Stephan Goik, Olaf Hartung und Ivo Steininger.

 

[1]     Alasdair Chalmers MacIntyre: After Virtue. A Study in Moral Theory, Notre Dame 1984 [1981], S. 216.

[2]     Birgitt Neumann: Narrativistische Ansätze, in: Ansgar Nünning (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften, Stuttgart 2005, S. 160 -163, hier S. 160.