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Facebook und der Datenschutz: Eine unendliche Geschichte

von Michael Bartel

Datenschutz und Politik
Normalerweise sind offene Briefe an Politiker gerichtet. Wenn jedoch Politiker selbst einen solchen öffentlichen Appell verfassen, dann scheint einiges im Argen zu liegen. Genau dies ist am 5. April 2010 geschehen: Facebook hat seine neue Datenschutzrichtlinie seinen Mitgliedern zur Diskussion vorgeschlagen. Diese Aktion war für die deutsche Verbraucherschutzministerin, Ilse Aigner (CSU), Grund genug einen offenen Brief an den Gründer und CEO von Facebook, Mark Zuckerberg, zu schreiben. Damit hat die Debatte um den Datenschutz in Sozialen Netzwerken einen neuen Höhepunkt erreicht. Nebenbei wird somit deutlich, welchen Stellenwert Facebook in Deutschland inzwischen eingenommen hat.

Facebook und Verbraucherschutz
Wie schon die letzte Diskussion über die neuen Nutzungsbedingungen von Facebook im Februar 2009 gezeigt hat, geht es im Wesentlichen um die kommerzielle Verwertung von privaten Nutzerdaten. In ihrem „Appell für mehr Datenschutz“ fordert Aigner „die eklatanten Missstände zu beheben“ und droht damit ihre „Mitgliedschaft zu beenden“, sollte Facebook ihre datenschutzrechtlichen Bedenken nicht ernstnehmen. Damit sieht sich die deutsche Verbraucherschutzministerin in guter Gesellschaft: Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest warnen vor Facebook. Inzwischen haben Politiker eine überparteiliche Facebook-Gruppe gegen Facebook gegründet: „Facebook Privacy Control - NOW!“.

Reaktionen in der Presse
Entsprechend groß ist die Resonanz in der deutschen Presse. Das Spektrum der Reaktionen reicht von polemischer Ablehnung bis hin zur Häme. Im Kern wird der Politik vorgeworfen, sie verkenne die Realitäten im Web 2.0. Die FAZ spricht von Aigners Eigentor und wirft ihr vor, Facebook nicht zu „kapieren“. Die Frankfurter Rundschau veröffentlicht eine bissige Antwort auf den offenen Brief und erklärt, dass es Facebook einen „feuchten Kericht kümmert“, ob Aigner ihr Profil löscht oder nicht. Spiegel Online beruft sich auf den Chaos Computer Club um deutlich zu machen, dass die wirtschaftlichen Absichten der Netzwerke offensichtlich seien: „Die Politik kann vielleicht mit Wattebällchen werfen oder den Finger heben. Das interessiert Facebook nicht im geringsten.“ Schließlich haben die deutschen Nutzer mit einem „amerikanischen Unternehmen eine Nutzungsvereinbarung“ abgeschlossen. Und dieses Unternehmen hat einen Wert zwischen 11,5 und 15 Milliarden Dollar. „Der Wert des Unternehmens besteht in seiner Datensammlung, in dem, was Facebook über seine 400 Millionen Nutzer weiß.“ Dabei handelt es sich um Konsum- und Verhaltensgewohnheiten, die die Nutzer freiwillig und kostenlos zur Verfügung stellen. Von diesem Standpunkt aus fragt Breitband-Online, ob der Vorwurf an Facebook wirklich gerechtfertigt ist und nicht eher auf die Naivität der Nutzer zielen sollte. In diesem Sinne ist auch Zuckerbergs Meinungsäußerung zu verstehen, dass die Privatsphäre als solche „überholt“ ist.

Reaktionen in der Blogosphäre
Nicht weniger zugespitzt, dennoch differenzierter gibt sich die deutsche Blogosphäre. Im Gegensatz zu den etablierten Pressemedien finden sich hier von Beginn an auch ernstzunehmende Analysen, die den Wandel des Datenschutzdenkens und der Kommunikationskultur in Sozialen Netzwerken thematisieren. So behauptet Matthias Schwenk auf carta.info: „Die Drohung, das Profil zu löschen, ist ungefähr so klug, als würde die Ministerin androhen, ihren Pressereferenten zu entlassen und die Stelle vakant zu lassen, nur weil irgendwo die Belange des Verbraucherschutzes verletzt werden. Man beraubt sich doch nicht einfach eines wichtigen Kommunikationskanals, denn Facebook ist genau das: Ein Kanal zur Kommunikation und nicht nur ein einfaches Produkt, das man nach Belieben auch mal boykottieren kann.“ Christian Heller stellt die gewagte These auf, dass die Privatsphäre ein ähnlich absurdes Konstrukt wie der Schutz von geistigem Eigentum sei und deren Neudefinition auch als „emanzipative Chance“ begriffen werden könne. Dass die Diskussion am eigentlichen Problem vorbeigeht, wenn sie sich allein auf den individuellen Datenschutz konzentriert, darauf weist auch Christoph Kappes hin. In seinem „Zwischenruf“ zeigt er, dass die Macher von Facebook nicht nur dabei sind deutsche Datenschutzgesetze zu umgehen, sondern ein ganz neues technologiebasiertes Management von Identitäten aufbauen, das sich nicht mehr allein auf einen Anbieter konzentriert. Das Stichwort hier lautet Facebook Connect und betrifft einen Verbund von mindestens 80.000 Internetseiten. Wie weit und großflächig Inhalte aus Facebook im Internet gestreut werden, macht eine Visualisation von Matt McKeon deutlich: Sie zeigt „The Evolution of Privacy on Facebook“.

Auf der re:publica 2010 kommentierte der Journalismus-Professor und Star-Blogger, Jeff Jarvis, die Debatte um Facebook und den Datenschutz als „das deutsche Privatsphären-Paradox“. Demnach sorgen sich die Deutschen wie kaum eine andere Nation um ihre Privatsphären, lassen aber in gemischten Saunen alle Hüllen fallen. Jarvis, der in seinem Blog freizügig über seine Protastakrebs-Erkrankung geschrieben hat und davon „unglaublichen Nutzen“ ziehen konnte, behauptet messianisch: „Es gibt die Weisheit in der Masse. Wenn du dein Wissen nicht öffentlich machst, dann bist du asozial.“

In der Summe haben die Reaktionen auf den offenen Brief von Ilse Aigner vor allem eines gezeigt: In Sachen Datenschutz ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und die nächsten technologischen Innovationen im Web 2.0 stehen schon in den Startlöchern – bei Google, Apple und Microsoft. Fortsetzung folgt.