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Visuelle Darstellung des Holocaust im digitalen Zeitalter

Internationales Forschungskonsortium widmet sich der Analyse und Vermittlung von filmischen Dokumenten des Holocaust – Professur für Fachjournalistik Geschichte an EU-Projekt beteiligt

Nr. 149 • 10. August 2018


Der Holocaust ist ein zentraler Bezugspunkt europäischer Geschichte und eine Art „negativer Gründungsmythos“ der Europäischen Integration. Die Frage nach seinen bisherigen Darstellungen und seiner Darstellbarkeit stellt sich im digitalen Zeitalter nochmals neu. Ein Konsortium aus 13 österreichischen, deutschen, israelischen und französischen Forschungseinrichtungen, Museen, Gedenkstätten und Technologieentwicklern wird gemeinsam mit amerikanischen Partnern dazu beispielgebende Konzepte und Anwendungen entwickeln. Die JLU-Historikerin Prof. Dr. Ulrike Weckel, Professur für Fachjournalistik Geschichte, ist an dem EU-Projekt beteiligt, das ab Januar 2019 vier Jahre lang mit insgesamt fünf Millionen Euro gefördert wird. Davon geht rund eine halbe Million Euro nach Gießen.

Im Projekt „Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age“ („Visuelle Geschichte des Holocaust: Kuratieren im digitalen Zeitalter“), das vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft in Wien in enger Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum koordiniert wird, geht es um die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Technologien bei der Bewahrung, Erschließung und Vermittlung von Dokumenten zum Holocaust. Im Kern wird es um die Frage gehen: Was bedeutet es, filmisches und anderes Kulturgut von höchster geschichtlicher Brisanz digital zu kuratieren?

Im Zentrum des Projekts stehen die filmischen Dokumente, die von alliierten Streitkräften in befreiten Konzentrationslagern sowie an anderen Stätten nationalsozialistischer Verbrechen angefertigt wurden. Obwohl sie nur einen bestimmten Aspekt des Holocaust zeigen, haben sie die leere Stelle der fehlenden Bilder besetzt und die Vorstellung vom Holocaust nachhaltig geprägt. Diese auf Archive in den USA, Großbritannien, Russland und anderen früheren Sowjetrepubliken verstreuten Filmdokumente werden erstmals zentral zusammengeführt, nach neuesten Kriterien digitalisiert, analysiert und erschlossen, um sie in weiterer Folge mit Fotografien, Schriftdokumenten, Oral History Interviews mit Überlebenden, Kameraleuten und anderen Zeugen, aber auch mit später produzierten filmischen Werken zu verknüpfen.

Prof. Weckel und ihr Team werden vorrangig Textquellen in diversen Archiven ausfindig machen und sie so aufbereiten, dass das digitalisierte Filmmaterial damit verlinkt werden kann. „So werden sich künftig schon bei der Sichtung der Filmaufnahmen über unsere Datenbank viele Fragen klären lassen“, erklärt sie. „Unter welchen Umständen sind die Aufnahmen entstanden? Gab es Anweisungen für die Kameraleute, was gefilmt werden sollte? Welche der Aufnahmen wurden von den Alliierten nach Kriegsende für sogenannte atrocity films verwendet und welche nicht? Wo wurden diese Filme gezeigt? Welche Reaktionen des zeitgenössischen Publikums sind überliefert?“

Bei der Arbeit mit den Filmen kommen verschiedenste digitale Technologien zum Einsatz, darunter avancierte Digitalisierung, automatische Bild- und Textanalyse, zeitbasierte Annotation und standortbezogene Dienste. Ein Ziel ist die Herstellung neuer Sinnzusammenhänge für die Forschung in Fachgebieten wie Geschichte, Film- und Medienwissenschaft, Cultural Studies und Computerwissenschaft. Darüber hinaus werden neuartige Vermittlungsanwendungen für Gedenkstätten, Museen und Bildungseinrichtungen erprobt. Mehrere Gedenkstätten sind als Partner direkt am Konsortium beteiligt: die KZ Gedenkstätte Dachau, die KZ-Gedenkstätte Mauthausen und die Gedenkstätte Bergen-Belsen.

Das Projekt „Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age“ wird im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 als Innovation Action mit rund 5 Mio. Euro gefördert. Es wurde aus 37 Anträgen erstgereiht. Die Projektlaufzeit beträgt vier Jahre mit Start im Januar 2019. Das Teilprojekt an der JLU wird mit 525.000 Euro gefördert.

  • Kontakt

, Professur für Fachjournalistik Geschichte
Historisches Institut
Telefon: 0641 99-28300

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon: 0641 99-12041