2006 Textilien
Köln, Museum für angewandte Kunst, 24.-26.11.2006
Beziehungsreiche Gewebe: Textilien im Mittelalter
Die Kunstgeschichte kann auf eine Tradition der v.a. ikonographischen und stilgeschichtlichen Erforschung historischer Textilien zurückblicken, die sich mit Kunsthistorikerinnen wie Betty Kurth; Marie Schuette, Leonie von Wilckens und Renate Kroos verbindet. Einzelne Werke wie der ‚Teppich von Bayeux’ oder der ‚Einhornteppich’ des Musée de Cluny fordern immer wieder neue Deutungen heraus und prägen durch zahlreiche Reproduktionen auch das populäre Bilderwissen vom Mittelalter. Die Bedeutung von Textilien für kirchliche, höfische und städtische Repräsentationsbedürfnisse ist erkannt, und mit der Aufwertung der Kunst aus Frauenklöstern ist deren umfangreicher Textilbestand in das Blickfeld der Forschung geraten. Es herrscht also kein Zweifel an der Bedeutung von Textilien in den Gesellschaften des Mittelalters. Doch scheint uns, daß das Spezialwissen zwar wächst, aber mit Ausnahme der aktuellen Forschungen zu Frauenklöstern kaum Dialoge zwischen stilgeschichtlichen, ikonologischen, sozial- bzw. geschlechtergeschichtlichen und liturgiewissenschaftlichen Ansätzen geführt werden und Kontakte mit den TextilspezialistInnen der musealen Sammlungen und den KollegInnen anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen eher zufällig als systematisch aufgenommen werden. Meist werden stilgeschichtliche und ikonographische Analysen der Bildprogramme von Bildteppichen und Paramenten vorgenommen, jene aber selten in ihren symbolischen Codierungen und in ihrer spezifischen Stofflichkeit und Medialität gewürdigt. Als Gewebe und mobile Träger von ‚Geschichten’ weisen sie einerseits eine große Nähe zum Text, aber auch zu anderen Bildmedien auf, zugleich machen sie aber in ihrer mal diaphanen, mal schimmernden und plastischen Materialität ein Wahrnehmungsangebot jenseits der von ihnen zur Erscheinung gebrachten Bilder und Zeichen.
Die Tagung möchte die Breite der derzeitigen Ansätze und Fragestellungen spiegeln und dieselben kritisch diskutieren, darüberhinaus die Entwicklung medien- und kulturwissenschaftlich geprägter Perspektiven anregen. Die Tagung richtet sich daher explizit an alle mediävistische Disziplinen. Wir verstehen die folgenden Themenfelder als eine erste Anregung für Tagungsbeiträge.
Mythen und Metaphern, Text und Textil
Hier könnten die mit Textilien und ihrer Herstellung verbundenen Mythen erörtert werden, so etwa die Bildthemen der handarbeitenden Maria und der Schicksale Arachnes und Philomeles, die in ganz unterschiedlicher Weise von Religion, Gewalt, Konkurrenz und geschlechtlich codierter Kommunikation handeln. Außerdem interessiert uns, wie das Verhältnis von Text und Textil in mittelalterlichen Schriftquellen thematisiert wird und ob sich daraus Rückwirkungen auf die Gestaltung von Textilien ergaben. Man denke an Bildteppiche, die mit einer Fülle von Spruchbändern und Tituli versehen sind, oder an einzelne mit Buchstaben verzierte Teile der liturgischen Gewandung.
Intermedialität
Immer wieder wurde nach den Anregungen gefragt, die von Texten, aber auch Wand- und Buchmalereien für die Fertigung von Textilien ausgingen. Doch erscheint diese (zumeist ikonographisch oder stilistisch orientierte) Perspektive zu einseitig. In welchem Zusammenhang und vor allem: mit welchen gestalterischen Zielen sind Übernahmen von Zierformen, Rahmen- und Bildstrukturen - etwa auch aus der Goldschmiedekunst – zu beobachten? Zu fragen wäre überdies, ob nicht auch umgekehrt Wandmalereien oder Miniaturen die Ornament- und Bildfülle von Textilien rezipieren.
Gewand und Körper
Wie werden in Bildern, in theologischen Traktaten und im höfischen Roman die Beziehungen zwischen Gewand, insbesondere einem beschrifteten, heraldisch, allegorisch oder narrativ bebilderten Kleidungsstück (z.B. die Haube des Bauernsohns Helmbrecht), und seinem Träger, und die Verschränkungen von Gewand- und Körpermetaphorik thematisiert? Im sakralen Kontext wären mögliche Themen das Verhältnis von Träger und Tuch im Schweißtuch der Veronika, der Schleier Mariens, die Gewänder Christi und der ‚Schleier des Fleisches’ (Hebr 10, 19-20) oder ganz konkret die christologischen Stickereien in Korporalienkästchen. Auch in Heiligenviten erscheint das Gewand nicht selten als Spiegel heiliger Körperlichkeit. Welche Rolle spielen dort und in ihren bildlichen Interpretationen beispielsweise Schleier, Vorhänge und Gewänder? Kaum berücksichtigt wurde auch bisher, in welcher Vielfalt Textilien im Reliquienkult zum Einsatz kamen. Nicht das Reliquiar, sondern kostbare Textilien, oftmals aus einem anderen Verwendungskontext stammend, boten die erste Hülle der heiligen Partikel.
Performativität und Raum
Hier sollte die Beweglichkeit mittelalterlicher Textilien und deren Gebrauch im Zusammenspiel mit spezifischen Räumen diskutiert werden. Kultbilder werden ver- und enthüllt, Räume können mit Altarvorhängen, Bildteppichen oder Fastenvelen in ihrem Erscheinungsbild verändert werden. In der Liturgie fungiert der in bebilderte Gewänder gehüllte Priester als Stellvertreter Christi und wird für kurze Zeit Bestandteil und Bezugspunkt der bildlichen Umgebung des Altars.
Die Bedeutung von Textilien als ‚portable grandeur’ für höfisches Zeremoniell und herrscherliche Erscheinung ist bekannt, Schwerpunkte der Untersuchungen waren dabei Burgund bzw. das frühneuzeitliche Frankreich. Wie verhält es sich mit anderen Höfen bzw. Ländern wie Spanien, über dessen mittelalterliche Textilien generell noch wenig bekannt zu sein scheint?
Textilien 2006 Tagungsprogramm
Prof. Dr. Silke Tammen
Institut für Kunstgeschichte
Justus-Liebig-Universität Gießen
Otto-Behaghel-Str. 10/G
35394 Gießen
Silke.C.Tammen@kunst.geschichte.uni-giessen.de
Kristin Böse, MA
Kunsthistorisches Institut der
Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz
50923 Köln
Kristin.Boese@uni-koeln.de