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Collegium Gissenum 2016

Wozu brauchen wir Philosophie?


Die Zeiten, in der die Philosophie der Ort war, an dem die Welt erklärt und umfassende theoretische und praktische Orientierung versprochen wurde, sind lange vorbei. Vor allem durch den Siegeszug der empirischen Wissenschaften hat die Philosophie dramatisch an Gewicht verloren. Und der Schrumpfungsprozess scheint anzudauern. Wenn sich die Philosophie anschickt, doch einmal Erklärungsansprüche zu erheben, beispielsweise mit Blick auf Fragen nach der Natur des Bewusstseins oder des sprachlichen Verstehens, finden ihre Auskünfte angesichts der hoch getakteten Erfolgsmeldungen kognitionswissenschaftlicher Forschung kaum Gehör. Betrachtet man das Bild, das die Philosophie in der Öffentlichkeit abgibt, sollte man annehmen, dass sie als erklärende Wissenschaft demnächst abdanken wird. Ihre ‚Forschungsergebnisse‘ sind die letzten Regungen eines altehrwürdigen und mittlerweile doch leicht angestaubten Faches – Regungen, die sich allein dem Umstand verdanken, dass die empirischen Wissenschaften eben noch nicht alle Winkel des Wissbaren ausgeleuchtet haben. Entsprechend hat man oft den Eindruck, als reduziere die Philosophie ihren Status freiwillig auf so etwas wie die Rolle einer ‚Begriffspolizei‘, die mit erhobenem Zeigefinger ermahnt, man solle doch seine Begriffe präzise definieren. Wenn Philosophen schon nichts mehr zu unserem Weltverständnis beitragen, dann, so der Gestus, können wir ja wenigstens unsere Begriffe sauber ordnen!

 

Das Collegium Gissenum 2016 möchte der Frage nachgehen, ob philosophische Erklärungen nicht vielleicht doch einen eigenständigen Beitrag zu unserem Weltverstehen liefern können. Zu diesem Zweck werden sechs Vorträge aus verschiedenen Bereichen der Philosophie ausloten, was genuin philosophische Auskünfte sein und worin ihre – womöglich unverzichtbaren – Verstehensleistungen bestehen könnten.

  

Das Programm

28.04. Prof. Dr. Geert Keil, Humboldt-Universität zu Berlin

Was ist Zeit – und warum fällt die Antwort so schwer?

Die Frage, was Zeit sei, ist eine typische philosophische Was ist-Frage, wie Sokrates sie seinen Gesprächspartnern zu stellen pflegte.
Sokratische Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass wir alle Ressourcen für die Beantwortung in uns selbst vorfinden, aber aus irgendwelchen Gründen Schwierigkeiten haben, auf dieses implizite Wissen zuzugreifen. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist gut geeignet, um sich die Eigenart des philosophischen Beitrags zu unserem Weltverständnis vor Augen zu führen.

Achtung: Dieser Vortrag findet um 19:00 Uhr im Raum AUB 3 der Alten Universitätsbibliothek (Bismarckstraße 37, ggf. Zugang über Rückseite/Keplerstraße) statt.

 

12.05. Prof. Dr. Gottfried Gabriel, Friedrich-Schiller-Universität Jena (ehem.)

Philosophen - Spezialisten fürs Allgemeine?

Die Ankündigung der Vortragsreihe "Wozu brauchen wir Philosophie?" fragt danach, ob die Philosophie auf inhaltliche Erklärungen verzichte und sich mit der Rolle einer "Begriffspolizei" begnüge, ohne "zu unserem Weltverständnis" noch etwas beizutragen. Der Vortrag wird demgegenüber dafür argumentieren, dass unser Weltverständnis gerade in begrifflichen Unterscheidungen maßgeblich vorgeprägt wird. Daraus wird die These abgeleitet, dass Philosophie wesentlich in der Explikation kategorialer Unterscheidungen besteht und daher weniger durch inhaltliche Bereiche als vielmehr durch ihre aufs Allgemeine gehende Methode bestimmt ist.

Achtung: Dieser Vortrag findet um 19:00 Uhr im Raum AUB 3 der Alten Universitätsbibliothek (Bismarckstraße 37, ggf. Zugang über Rückseite/Keplerstraße) statt.

  

19.05. Prof. Dr. Daniel Cohnitz, Utrecht University

Die Gravitationswellen der Philosophie

„Wozu brauchen wir Philosophie?“ lautet der Titel dieser Vortragsreihe. „Wozu brauchen wir Astrophysik?“ war zumindest für einige Tage in diesem Frühjahr unproblematisch zu beantworten. Die Astrophysik beschert uns faszinierende Erkenntnisse über das Universum, wie beispielsweise der direkte Nachweis von Gravitationswellen, die Einstein hundert Jahre zuvor vorhergesagt hatte. Warum geht es der Philosophie nicht auch manchmal so? Warum füllen sich die Medien und sozialen Netzwerke praktisch nie mit Meldungen über die neuesten Erkenntnisse der Philosophie? In diesem Vortrag will ich mich auf die Suche nach den Gravitationswellen der Philosophie machen. Ist die gegenwärtige scheinbare Irrelevanz der Philosophie darin begründet, dass sie keine Erkenntnisse zutage fördert, oder liegt das Problem woanders? Was kann die Philosophie tun, um ihre Relevanz zurückzugewinnen? Muss sie ihre Themen und Fragestellungen ändern, oder ist es nur eine Frage der richtigen PR-Strategie?

Achtung: Dieser Vortrag findet um 19:00 Uhr im Raum AUB 2 der Alten Universitätsbibliothek (Bismarckstraße 37, ggf. Zugang über Rückseite/Keplerstraße) statt.

  

09.06. Prof. Dr. Markus Wild, Universität Basel

"Wohin uns, gleichsam wie ein Wind, die Vernunft trägt, dahin müssen wir gehen" - Erkenntnis, Empathie und Engagement

Zu Platons Höllengleichnis gehört der Gedanke, dass sich beim Aufstieg aus der Höhle der ganze Mensch umwendet. Darin drückt sich die ursprüngliche Idee der antiken Philosophie als Lebensführung aus. Weil sich mit der Zuwendung zur Philosophie eben der ganze Mensch umwendet, muss diese Wendung sowohl seine kognitiven als auch seine emotionalen und sozialen Fähigkeiten betreffen. Diese drei Fähigkeiten artikulieren sich in der Philosophie als Erkenntnis, Empathie und Engagement.

19:00 Uhr, Margarete-Bieber-Saal, Ludwigstraße 34

  

23.06. Prof. Dr. Holm Tetens, Freie Universität Berlin (ehem.)

Leben wir in einem nachmetaphysischen Zeitalter? - Von der Unverzichtbarkeit der Metaphysik.

Wir leben in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, und der bescheinigen viele Philosophen, sie habe die Metaphysik überwunden und
hinter sich gelassen und sei in ein nachmetaphysisches Zeitalter eingetreten. Aber diese Diagnose eines nachmetaphysischen Zeitalters ist selber ein metaphysisches Urteil über unsere Zeit, und zwar ein problematisches. In Wahrheit ist die Metaphysik so aktuell wie eh und je. Gerade die wissenschaftlich-technische Zivilisation ist auf eine kontroverse Debatte der Philosophie über verschiedene metaphysische Optionen angewiesen.

19:00 Uhr, Margarete-Bieber-Saal, Ludwigstraße 34

  

07.07. Dr. Raphael van Riel, Universität Duisburg-Essen

Falsche Fragen, Verstehenslücken und philosophische Analysen

Vor einigen Jahren hat der prominente Physiker Steven Hawking die Philosophie für tot erklärt - es hätte sich herausgestellt, dass die Fragen, die sie einst antrieben, naturwissenschaftlich zu klären seien. Gegenwartsphilosophen hat diese Diagnose weitgehend kalt gelassen, was unter anderem sicher daran liegt, dass das von Hawking skizzierte Bild der Philosophie wenig mit Philosophie, wie sie heute akademisch betrieben wird, zu tun hat. Theorien über „große Fragen“, etwa nach dem Wesen des Menschen oder dem Ursprung des Universums, sind Versuchen gewichen, zentrale Begriffe zu analysieren, wie den des Wissens, der Intentionalität, der sprachlichen Bedeutung, der Person und des Kunstwerks. Was aber genau ist der Witz solcher Begriffsanalysen? Im Vortrag wird eine Funktion philosophischer Analysen diskutiert: Sie können helfen, irreführende Fragen zu identifizieren und dazu beitragen, Lücken in unserem Weltverstehen zu schließen. 

19:00 Uhr, Margarete-Bieber-Saal, Ludwigstraße 34

 

Sie können das Programm auch als Plakat herunterladen.


Margarete-Bieber-Saal

Margarete-Bieber-Saal (Karte)

 

Kontakt

Prof. Dr. Gerson Reuter
Institut für Philosophie, Professur für Philosophie mit dem Schwerpunkt Philosophie der Lebenswissenschaften
Rathenaustraße 8, 2. Stock, Raum 205
35394 Gießen
Telefon: + (49)-641-99-15532
E-Mail: 

 

Martina Büttner und Daniel Höft
Institut für Philosophie
Rathenaustraße 8, 2. Stock, Raum 209
35394 Gießen
Telefon: + (49)-641-99-15522

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