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Oberseminar/Kolloquium der Osteuropäischen Geschichte im SoSe 18

Ja, Andrei Iwanowitsch. Ein Dokumentarfilm von Hannes Farlock im Kinocenter in Gießen (Kooperation mit dem GCSC/Tobias Haberkorn) EINTRITT FREI

Wann

25.06.2018 von 19:30 bis 22:00 (Europe/Berlin / UTC200)

Wo

Kinocenter in Gießen

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Hannes Farlock: "Dieser Film ist unserem Freund Andrei Iwanowitsch gewidmet. Andrei ist einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslager Buchenwald, und unter ihnen einer der wenigen der geistig und körperlich noch mitten im Leben steht. Er wohnt in Minsk in Weissrussland. Wir lernten uns vor fünf Jahren kennen, ich war gerade aus Deutschland wegen eines Jobs nach Belarus gezogen. In meiner Freizeit engagierte ich mich in der Geschichtswerkstatt Minsk. Die Geschichtswerkstatt, ein belarussisch-deutsches Projekt, ist aktiv in der historischen Bildung und unterstützt Überlebende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.


Vor vielen Jahren hatte ich mich in meinem Zivildienst in Krakau in Polen um ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz gekümmert, Erinnerungsarbeit war mir damals zum Anliegen geworden. In der Geschichtswerkstatt jedenfalls lernte ich Andrei Iwanowitsch kennen. Da er sich auf eine Reise nach Deutschland vorbereitete, lernten wir zusammen deutsch. Sein Lerneifer aber ging darüber hinaus, und so begannen wir uns häufiger auch privat zu treffen um Deutsch zu sprechen. Je besser wir uns über die Jahre kennenlernten, je mehr er von sich, seinem Leben, seinen Ansichten preisgab, desto mehr faszinierte er mich. Irgendwann begriff ich es als Verpflichtung, Notwendigkeit und großartige Chance, etwas davon festzuhalten.


Ich wollte keinen Weiteren dieser düsteren und belehrenden Filme über Zeitzeugen machen, es sollte etwas direkt am Leben sein, etwas was Andrei’s heiterem Geist und munterem Lebenseifer entspricht.


Durch ein Dokumentarfilm-Projekt mit dem belarussischen Fernsehen lernte ich den wunderbaren Kameramann Dzianis Sakalouski kennen, der 2016 zum besten Kameramann in Belarus gewählt wurde. Bei einem Treffen mit Andrei Iwanowitsch sprang der Funke sofort über, kurz darauf begannen die Dreharbeiten.


Wir begleiteten Andrei über ein Jahr mit der Kamera, wir ernteten mit ihm Honig auf seiner Datscha, saßen mit seiner Nachbarin bei Wodka und Wurststullen beisammen, fuhren gemeinsam mit ihm und seinem besten Freund Albert Albertowitsch zum 70. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds nach Weimar, trafen gemeinsam Martin Schulz den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments und jetzigen Vorsitzenden der SPD, filmten Andrei in unzähligen Alltagssituationen, an seinem Geburtstag mit seiner Freundin Galina Mihailovna, durchwachten mit ihm eine Nacht auf seiner Arbeitsstelle. Eines verstanden wir in dieser Zeit. So einen außergewöhnlichen Menschen hatten wir zuvor noch nie getroffen. Nicht mit seinem Schicksal hadernd, jedem Tag und jedem Menschen mit Neugier begegnend, leidensgeprüft aber nicht verbittert, heiter. Jemand, der von allen Menschen die mit ihm zu tun haben und die wir im Laufe dieses Jahres getroffen haben, als lebensfroh und hilfsbereit geschildert wurde. Ein guter Mensch. Ein Mensch, der sich im Alter von 91 Jahren jeden Tag beharrlich dem Fremdsprachenstudium widmet und alles Neue mit kindlichem Eifer erfasst, seine Datscha komplett alleine bewirtschaftet und sich und seine Freunde mit Gemüse und Obst selbst versorgt, zwei Mal in der Woche eine Doppelschicht als Nachtwächter einlegt, in zahlreichen Komitees aktiv ist, der mit seiner Freundin ein aktives Liebesleben pflegt. 
Der Film kann nicht beantworten ob Andrei Iwanowitsch wegen oder trotz seiner tragischen Lebensgeschichte der geworden ist der er ist.

 

Er aber zeigt jemanden, dem sein tragisches Schicksal und seine bis heute schwierigen Lebensumstände nicht die Würde und Lebensfreude nehmen konnten, der sich und seinen Glauben an das Gute in der Welt niemals aufgegeben hat. Dies wird einst wohl sein größtes Vermächtnis sein.

 

Der Titel des Films soll dem Rechnung tragen. Ist das „Ja“ im Titel in der deutschen Version als Ermutigung gedacht, soll die russische Lesart, wo das „Ja“ (russ: Я) für das Wort „Ich“ steht, Andreis selbstbewusste Haltung zur Welt betonen.


Der Film bietet zudem seltene Einblicke in ein liebenswertes und zu Unrecht fast vergessenes Land im Herzen Europas, Belarus."


Text entnommen vom Regisseur Hannes Farlock (Homepage "Ja Andrei Iwanowitsch")