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Bekenntnis zur Verantwortung für die eigene Geschichte

Stellungnahme zur Berichterstattung in der „Gießener Allgemeinen“ vom 11. Januar 2017

Gemeinsame Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen, des Dekanats des Fachbereichs Medizin der JLU und des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM)


Nr. 6 • 11. Januar 2017
Die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), das Dekanat des Fachbereichs Medizin und das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) haben Vorwürfe, die die „Gießener Allgemeine“ in ihrer Ausgabe vom Mittwoch unter der Überschrift „Gelöschte Geschichte“ erhebt, mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Die Zeitung wirft darin den beteiligten Einrichtungen vor, die Beteiligung von Gießener Hirnforschern an den Euthanasie-Programmen der Nationalsozialisten zu verschweigen. Angesichts der Aufklärungsarbeit, die die JLU gerade in diesen Tagen zur Geschichte der Gießener Nervenklinik betreibt, weisen die JLU, ihr Fachbereich Medizin und das UKGM die erhobenen Vorwürfe zurück.

Zum Hintergrund: Die Justus-Liebig-Universität hatte im Herbst im Zuge von Medienberichten erfahren, dass es offenbar Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Gießener Nervenklinik und unzulässigen Medikamententests an Kindern in der Nachkriegszeit gibt. Um in Erfahrung zu bringen, ob das Medikament in Gießen an Testpersonen ausprobiert wurde, hat die JLU eigene umfangreiche Nachforschungen angestoßen, mit denen der JLU-Medizinhistoriker Prof. Dr. Volker Roelcke befasst ist. Über den Stand der Dinge hatte die JLU am 15. Dezember 2016 in einer Pressemitteilung informiert. Ein Journalist der „Frankfurter Rundschau“ bezeichnete die aktiven Nachforschungen der JLU auf Twitter daraufhin als „vorbildlich“.

Diese Pressemitteilung war offenbar der Anlass dafür, dass die „Gießener Allgemeine“ erstmals über die möglichen Gießener Verbindungen zu den umstrittenen Medikamentenversuchen berichtete. Im Zuge von eigenen Recherchen war der Autor dabei offenbar auf eine Internetseite der Neurologischen Klinik gestoßen, die die Geschichte der Gießener Nervenklinik und insbesondere der beiden Hirnforscher Prof. Dr. Julius Hallervorden und Prof. Dr. Hugo Spatz,  auf unzulässige Weise verkürzte und in einem positiven Licht darstellte. Längst ist bekannt, dass beide Wissenschaftler an den „Euthanasie“-Programmen der Nationalsozialisten beteiligt waren. Das UKGM hat nach der Berichterstattung in der „Allgemeinen“ den irreführenden Text umgehend aus dem Netz genommen, um ihn gemeinsam mit Prof. Roelcke vom Institut für Geschichte der Medizin mit dem Ziel einer historisch korrekten Darstellung zu überarbeiten. Es wurde davon abgesehen, die Seite mit einem Hinweis auf die beabsichtigten Korrekturen zu versehen.

Der „Gießener Allgemeinen“ wurde Anfang Januar auf eine entsprechende Anfrage hin mitgeteilt, dass der Text entfernt wurde, um ihn zu überarbeiten. Wie aus diesem Vorgang der Vorwurf abgeleitet werden kann, UKGM und JLU hätten „Geschichte“ gelöscht, erschließt sich den beteiligten Einrichtungen aber nicht.

Gerade die JLU hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie ein aktives Interesse daran hat, auch die dunklen Seiten ihrer Geschichte aufzuklären und dafür die Verantwortung zu übernehmen. So war die Zeit des Nationalsozialismus an der damaligen Ludwigs-Universität unter anderem geprägt von der Ausgrenzung jüdischer Wissenschaftler sowie Lehre und Forschung auf Grundlage der NS-Rassenideologie. Dass einige der damaligen Akteure auch in der Nachkriegszeit weiter wirken konnten, ist kein Ruhmesblatt und bedarf weiterer Aufklärungsarbeit. Die JLU und insbesondere ihr Fachbereich Medizin sehen es als Teil ihrer Aufgabe an, diese Aufklärung auch in Zukunft zu leisten.

 

 

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041