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Vier neue Atomkerne entdeckt

Internationales Wissenschaftlerteam mit Beteiligung der Universität Gießen dringt in „bislang unerforschte Gebiete der Landkarte der Isotope“ vor

Nr. 176 • 29. September 2015

An der Elektronik des Experimentaufbaus: PD Dr. Sophia Heinz (GSI/JLU) und der Student Devaraja Malligenahalli (Manipal), der im Rahmen seiner Doktorarbeit bei GSI die Messdaten des Experiments analysierte. Foto: Gabi Otto, GSI

Ein internationales Team um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des GSI Helmholtzzentrums Darmstadt hat vier neue Atomkerne entdeckt. Bei den Kernen handelt es sich um jeweils ein Isotop der Elemente Berkelium und Neptunium sowie um zwei Isotope des Elements Americium. Die Entdeckung gilt als Meilenstein für die Entwicklung neuer Methoden zur Synthese bisher unbekannter Kerne der schwersten Elemente.

In ihrem Experiment bei GSI beschossen die Forscher eine 300 Nanometer dünne Folie aus Curium mit Calcium-Atomkernen. Dabei können die Atomkerne der beiden Elemente zur Berührung gebracht werden und bleiben für die winzige Zeitspanne von einer trilliardstel Sekunde aneinander haften. Bevor sie wieder auseinander brechen, können sie eine große Anzahl von Kernbausteinen – Protonen und Neutronen – austauschen. Dabei können auch neue, bisher unbekannte Kerne als Endprodukte entstehen. Die im GSI-Experiment entdeckten Isotope sind in solchen sogenannten Transferreaktionen entstanden.

Derzeit wird in Labors weltweit die Möglichkeit erforscht, Transferreaktionen zur Synthese neuer Kerne zu verwenden, die schwerer sind als Uran. Dies ist notwendig geworden, da die herkömmlichen Methoden mittlerweile weitgehend erschöpft sind. „Wir freuen uns sehr, dass das in unserem Experiment nun zum ersten Mal gelungen ist. Die aktuellen Ergebnisse ermöglichen es, in bislang unerforschte Gebiete auf der Landkarte der Isotope vorzudringen. Von besonderer Bedeutung sind unsere Ergebnisse für die Erforschung superschwerer Elemente. Insbesondere neue Isotope von superschweren Elementen, die eine besonders große Zahl an Neutronen enthalten, sind mit keiner anderen Methode herstellbar“, erläutert die Leiterin der Experimente, Sophia Heinz vom GSI Helmholtzzentrum und Privatdozentin am II. Physikalischen Institut der JLU Gießen.

Jedes chemische Element besitzt verschiedene Isotope. Die Isotope unterscheiden sich durch die Anzahl der Neutronen im Kern und damit in ihrer Masse. Bislang kennen wir etwa 3.000 Isotope von den 114 chemischen Elementen des Periodensystems. Wissenschaftliche Abschätzungen gehen davon aus, dass noch über 4.000 unentdeckte Isotope existieren. Die jetzt entdeckten Isotope besitzen weniger Neutronen und sind damit leichter als die bisher bekannten Isotope des jeweiligen Elements. Durch ihre geringe Neutronenzahl gelten sie als sehr „exotisch“ in ihrem Aufbau. Sie sind nicht stabil und zerfallen, je nach Isotop, nach wenigen Millisekunden oder Sekunden. Solche exotischen Kerne sind besonders interessant für die Weiterentwicklung von theoretischen Modellen, die die Kräfte in Atomkernen beschreiben.

Zum Nachweis der Kerne verwendeten die Wissenschaftler eine hochempfindliche Methode, die erst die Entdeckung der neuen Kerne ermöglichte. Kernstück der Methode ist ein Filter aus elektrischen und magnetischen Feldern, der bereits in den 1970er Jahren am II. Physikalischen Institut der JLU Gießen in enger Zusammenarbeit mit GSI Mitarbeitern entwickelt wurde und seit 1976 bei GSI zur Synthese superschwerer Kerne verwendet wird. Die Elemente 107 bis 112 wurden in den 1980er und 1990er Jahren an diesem Aufbau entdeckt. Mit kleinen Abwandlungen „zweckentfremdeten“ nun die Forscher dieses Instrument für die von ihnen angewandte Methode der Transferreaktionen zur Erzeugung neuer Kerne.

Am Experiment beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der JLU Gießen, des GSI Helmholtzzentrums, der TU Darmstadt, des Manipal Centre for Natural Sciences in Indien, der Japan Atomic Energy Agency, des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA und des Joint Institute for Nuclear Research in Russland. Eine besonders enge Zusammenarbeit besteht dabei zwischen JLU, GSI und Manipal. Initiiert wurde sie von Prof. Gottfried Münzenberg, der Anfang der 1970er Jahre in Gießen promovierte und maßgeblich an der Konstruktion des Filters beteiligt war.

  • Kontakt:

, II. Physikalisches Institut
Heinrich-Buff-Ring 16, 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-33317

 

 

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041

Schlagwörter
Forschung