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Vom Aussterben der Minderheitensprachen

Sprachenpolitik in Russland im Fokus eines DFG-Projekts an der Universität Gießen – Internationale Konferenz in Kasan (Russland)

Nr. 191 • 20. Oktober 2014

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gießener Projekts zur Sprachenpolitik während der Tagung in Kasan. Foto: Ruth Bartholomä
In Russland gibt es über 150 Nationalitätensprachen – viele dieser Minderheitensprachen sind vom Aussterben bedroht. Mit der Sprachenpolitik Russlands beschäftigt sich ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Der Fokus des Projektes liegt auf der Wolgaregion, wo beispielsweise die Titularsprachen der Republiken Mari El und Tschuwaschien nur einen schwachen Stand haben. Vertreterinnen und Vertreter aller Wolgarepubliken waren zu einer Konferenz über Sprachenpolitik eingeladen, die im Oktober an der Partneruniversität der JLU in Kasan (Russland) stattfand. Die Konferenz organisierten Katja Pankova, Daniel Müller und die Leiterin des DFG-Projekts Prof. Dr. Monika Wingender, alle vom Institut für Slavistik der JLU.

Trotz der langen Tradition sprachpolitischer Strategien zum Management der enormen Sprachenvielfalt in Russland sind viele Minderheitensprachen heute in einer prekären Lage, andere hinken in ihren realen Funktionen ihrem Potenzial hinterher. Die Ursachen dafür sind vielschichtig: Manchmal entscheiden einfach nur pragmatische Erwägungen, doch lieber nur die Mehrheitssprache zu erlernen und zu gebrauchen. Manchmal sind es aber auch politische Entscheidungen wie die Bildungsreform in Russland von 2007, mit der die vormals gesetzlich verbrieften regionalen und nationalen Komponenten im Bildungssystem – zugunsten des Russischen –  abgeschafft wurden.

Die enorme Sprachenvielfalt in Russland ist eine Herausforderung für die Politik, wie kürzlich auch der Europarat erfahren musste: Angesichts der immer noch ausstehenden Ratifizierung der Europäischen Sprachencharta durch Russland war dort von 2009 bis 2012 ein gemeinsames Projekt von EU, Europarat und Russischer Föderation durchgeführt worden, um in einer Simulation der Anwendung der Charta grundlegende Probleme und Herausforderungen der Sprachenvielfalt in Russland offen legen zu können. Im Fokus der Konferenz stand nun die Frage, ob internationale Standards des Minderheitenschutzes das Management der enormen Sprachenvielfalt in Russland unterstützen oder eher stören: Können im Westen wirksame Konzepte des Minderheitenschutzes den Staaten im östlichen Europa einfach übergestülpt werden, obwohl hier die Geschichte des nation building vielerorts gänzlich verschieden von der des westlichen Europas verlief?

„Internationale Standards dürfen nicht einfach mechanisch auf die multilingualen Staaten im Osten übertragen werden, auch wenn internationale Verpflichtungen wie die Mitgliedschaft im Europarat dies verlangen“, fasst Prof. Dr. Monika Wingender die Diskussion während der Konferenz zusammen. „Dadurch werden ethnische und Sprachenkonflikte eher befördert als verhindert.“ Auch die Ukraine sei ein Beleg dafür, wie durch eine starre Übertragung internationaler Standards im Minderheitensprachenschutz wie der Sprachencharta die Situation in einem multinationalen Staat destabilisiert werden kann.

  • Kontakt


Institut für Slavistik
Otto-Behaghel-Straße 10D, 35394 Gießen
Telefon: 0641 99-31180
E-Mail: Monika.Wingender@slavistik.uni-giessen.de

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041

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Forschung