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Bühnentod zwischen Religion und Politik

DFG bewilligt großes Projekt zu Märtyrerdramen der frühen Neuzeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Nr. 21 • 30. Januar 2014

Märtyrerdramen sind vor dem Hintergrund heftiger religiöser Auseinandersetzungen in ihrer jeweiligen Epoche zu sehen und einzuordnen.  Ihre Helden agieren nicht nur als gelobte Vertreter einer bestimmten Religion, sie werden vor allem auch als Heilige stilisiert. In der Forschung  zum Drama der Reformationszeit führten die Märtyrer bislang ein Schattendasein. Die Gießener Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Cora Dietl, Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), will die Lücke in der deutschen Theater- und Dramengeschichtsschreibung im Rahmen eines großen Forschungsprojekts schließen.

Von einer der „teureren literaturwissenschaftlichen Unternehmungen“ spricht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihrem Bewilligungsbescheid, den Prof. Dietl in diesen Tagen erhielt: Über eine halbe Million Euro stellt die DFG dem Projekt „Inszenierungen von Heiligkeit im Kontext der konfessionellen Auseinandersetzungen. Protestantische und katholische Märtyrerdramen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts“ zur Verfügung. Zwei Doktorandinnen oder Doktoranden sowie eine Post-Doktorandin oder ein Post-Doktorand  werden drei Jahre lang gemeinsam mit Prof. Dietl mit Märtyrerdramen eine Textsorte der frühen Neuzeit aufarbeiten, die bislang weitgehend von der Forschung ignoriert worden ist.

„Das Märtyrerdrama ist weder eine genuin katholische Textsorte noch ist das protestantische Märtyrerdrama eine Erfindung des großartigen Barockdichters Andreas Gryphius“, erklärt die Gießener Literaturwissenschaftlerin und Initiatorin des Projekts. Vielmehr sei das Thema des aufopfernden Todes für den rechten Glauben schon bald nach Beginn der blutigen Verfolgung der frühen Protestanten und nach Luthers lobender Anerkennung der „standhaften Märtyrer“ Heinrich Voes und Johann van Esschen – die 1523 den Feuertod gefunden hatten – auf die Bühne gekommen.

Dietl beschreibt mit dem historisch-literarischen Kontext die Ausgangsbasis ihrer Untersuchungen:  In verschiedenen Regionen des deutschsprachigen Gebiets, vor allem aber in lutherischen Regionen, entstanden dramatische Darstellungen des in vorbildlicher Christusnachfolge stehenden Tods biblischer, frühchristlicher, zeitgenössischer, aber auch mittelalterlicher Märtyrer und Märtyrerinnen. Die Autoren bedienten sich dabei sowohl der eindrücklichen theatralen Mittel des vorreformatorischen geistlichen Spiels als auch einzelner Elemente des modernen humanistisch geprägten Dramas, das insbesondere auf die Überzeugungskraft kunstvoller Rhetorik setzte.

Die Blutzeugen werden auf der lutherischen Bühne zu einem Spiegel der im Reich bedrohten „wahren“, „reinen“ Lehre. Für die katholische Seite dagegen bleibt das Märtyrerdrama (außerhalb des Jesuitenordens) eine nicht sehr häufig vertretene Sonderform des Heiligenspiels, das sich aus der mittelalterlichen Tradition weiterentwickelt.  Wie schließlich beide Seiten ihre Protagonisten nicht nur als Vertreter ihrer eigenen Konfession, sondern vor allem auch als Heilige stilisieren und welches Ideal der Heiligkeit durch die Texte und ihre Performanz vertreten wird, ist Hauptgegenstand der Untersuchung.

Prof. Dietl und ihr Team werden neben regionalen theologischen Strömungen auch lokale Patrozinien (Schutzherrschaften) und Frömmigkeitstraditionen berücksichtigen. Sie werden zudem die Positionen der anderen protestantischen Konfessionen im Reich mit in den Blick nehmen, die das Märtyrerthema nur in anderen Textsorten thematisieren. Die Überlegungen hierzu werden zu einer Diskussion des allgemeinen, epochenüberschreitenden Phänomens der Funktionalisierung der Idee von Heiligkeit und der performativen Qualität von Literatur für religiöse und politische Zwecke überleiten.

Das jetzt anlaufende DFG-Projekt zielt auf eine Reihe von Editionen bislang unbeachteter Texte, auf eine Monographie, die aus literatur- und theaterhistorischer Sicht neues Licht auf das Zeitalter der konfessionellen Kulturen werfen wird, sowie auf einen Tagungsband, der das deutsche Märtyrerdrama international kontextualisiert.

Eng bezogen wird das Projekt auf ein Parallelprojekt in der Schweiz, wo dem Märtyrer- und Heiligenspiel im Konflikt zwischen reformierter und katholischer Kirche im 16. und 17. Jahrhundert eine deutlich andere Rolle zukam.

Die DFG bescheinigt der Prof. Dietl „ein innovatives Untersuchungsprogramm, mit dem die konfessionelle, geographische und historische Vielfalt des frühneuzeitlichen Märtyrertheaters erstmals systematisch erschlossen wird.“  Auf die Forschungsergebnisse dürften nicht nur Literaturwissenschaftler gespannt sein. Mit Sicherheit wird manche Märtyrergestalt im neuen Licht erscheinen.

  • Weitere Informationen

www.coradietl.de
www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb05/germanistik

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041

 

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Forschung