Inhaltspezifische Aktionen

„Blutschwitzen“ von Kälbern - Impfstoff in der Kritik

Gießener Tiermediziner erzielen Durchbruch bei der Erforschung des „Blutschwitzens“ von Saugkälbern – Impfstoff verantwortlich – Publikation in Veterinary Research

Nr. 228 • 31. August 2011

Tiermediziner standen vor einem Rätsel, Bauern waren in größter Sorge um ihre Kälber. Erstmals vor vier Jahren trat in Deutschland und einigen anderen europäischen Staaten eine tödliche Krankheit bei Saugkälbern auf, die durch unstillbare Blutungen gekennzeichnet ist. Die Blutungen entstehen als Folge des fast vollständigen Verlusts von Blut- und Knochenmarkzellen, wovon auch die für die Gerinnung notwendigen Blutplättchen betroffen sind. In Fachkreisen wird die Krankheit als Bovine Neonatale Panzytopenie (BNP) bezeichnet. Bei der Erforschung der Ursachen haben Gießener Tiermediziner nun einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt. Sie machen einen Impfstoff für die unstillbaren Blutungen verantwortlich, die letztlich die Tiere qualvoll verenden lassen. Gießener Virologen am Fachbereich 10 – Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) gelang es, die Mechanismen der Zerstörung der blutbildenden Zellen bei den Kälbern zu beschreiben.

In Europa sind über 4.000 BNP-Fälle bekannt geworden und haben zu erheblicher Unruhe in der Rinderhaltung geführt. Es gelang weder Krankheitserreger noch Giftstoffe als Ursachen der Erkrankung zu identifizieren, allerdings zeigte sich eine besondere Bedeutung des Kolostrums („Biestmilch") – der ersten Milch, die ein neugeborenes Kalb trinkt – für das Auftreten von BNP. Auch trat BNP vermehrt in solchen Rinderherden in Erscheinung, bei denen ein bekannter Impfstoff gegen die so genannte Bovine Virusdiarrhöe (BVD) verwendet wurde (PregSure®, Pfizer).

Zur Aufklärung der Ursachen von BNP hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im vergangenen Jahr einen Forschungsverbund unter Koordination von Prof. Klaus Doll (Leiter der Klinik für Wiederkäuer der JLU) ins Leben gerufen, an dem sich Wissenschaftler von vier tierärztlichen Bildungsstätten in Deutschland beteiligen. Kürzlich konnte von Veterinärmedizinern der JLU gezeigt werden, dass im Kolostrum von Kühen, bei deren Kälbern BNP aufgetreten ist, Antikörper nachzuweisen sind, die mit weißen Blutzellen der Kälber reagieren.

Einem Forscherteam um Prof. Till Rümenapf aus dem Institut für Virologie der JLU ist es jetzt gelungen, MHC-I als Zielantigen zu identifizieren, gegen das die mütterlichen, BNP auslösenden Antikörper gerichtet sind. MHC-I kommt auf allen Körperzellen vor und spielt eine zentrale Rolle im Immunsystem. Es hat sich gezeigt, dass bei manchen Muttertieren Antikörper gegen solche Varianten von MHC-I gebildet werden, die auch im BVD Impfstoff enthalten sind, vermutlich als Verunreinigung durch die im Produktionsprozess verwendeten Zellen. Hat das Kalb zufällig das gleiche MHC-I Molekül, binden die mütterlichen Antikörper daran und führen zur Zerstörung der blutbildenden Zellen. Dies weist auf die potentielle Gefahr für alle Impfstoffe hin, bei deren Herstellung Zellen derselben Spezies verwendet werden, für die der Impfstoff vorgesehen ist. Andere Impfstoffe gegen BVD mit anderen Zusammensetzungen verursachten diese Probleme jedoch nicht, betonen die Gießener Veterinärmediziner.

Die Forschungsergebnisse von Fabian Deutskens und Kollegen wurden jetzt in Veterinary Research publiziert und sind dort frei zugänglich (open access).
       

  • Titel der Veröffentlichung

Fabian Deutskens, Benjamin Lamp, Christiane M Riedel, Eveline Wentz, Günter Lochnit, Klaus Doll, Heinz-Jürgen Thiel, Till Rümenapf
Vaccine-induced antibodies linked to Bovine Neonatal Pancytopenia (BNP) recognize cattle Major Histocompatibility Complex class I (MHC I)
Veterinary Research 2011, 42:97 doi:10.1186/1297-9716-42-97

  • Weitere Informationen:

www.veterinaryresearch.org/content/42/1/97
www.veterinaryresearch.org

  • Kontakt: 

Institut für Virologie des Fachbereichs 10 - Veterinärmedizin
Prof. Dr. Till H. Rümenapf
Frankfurter Straße 107
35392 Gießen
Telefon: 0641 99-38356 / 38371
Fax: 0641 99-38359

 

Herausgegeben von der Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041



Schlagwörter
Forschung