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Bericht über internationalen Workshop an der Justus-Liebig-Universität Gießen 24. - 26. Oktober 2014

Bericht über internationalen Workshop an der Justus-Liebig-Universität Gießen

24. - 26. Oktober 2014

In Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltete das Franz von Liszt-Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen vom 24. bis 26. Oktober 2014 einen internationalen Workshop zum Thema „Establishing Constitutional Courts: Drivers of Democracy or Government of Judges?“. Dieser bildete zugleich den Abschluss des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Forschungsprojekts „Verfassungsgerichtsbarkeit und Demokratisierung im frankophonen Westafrika“, das seit 2012 von Prof. Dr. Thilo Marauhn und Prof. Dr. Brun-Otto Bryde an der Universität Gießen geleitet wird.

Verfassungsgerichtsbarkeit ist seit 1945 zu einem regelrechten Exportschlager geworden. Die zu Beginn der 1990er Jahre einsetzende „Dritte Welle der Demokratisierung“ ging auch in Westafrika mit weitgehenden Verfassungsreformen oder neuen Verfassungen einher, welche zumeist eine Stärkung der Verfassungsgerichtsbarkeit und Ausweitung ihrer Kompetenzen vorsahen. Verfassungsgerichte müssen sich ihre Stellung im politischen Machtgefüge aber erst erarbeiten. Diese Erfahrung eint Verfassungsgerichte weltweit. Der Workshop ging den Fragen nach, welchen Herausforderungen sich Verfassungsgerichte in der Aufbauphase gegenübersehen und wie sie gegebenenfalls auftretende Hindernisse überwinden können. Dabei handelt es sich um ein bisher zumindest für die ausgewählte Region kaum erforschtes Thema, das angesichts der Bedeutung der Verfassungsgerichte für die demokratische Entwicklung Westafrikas mehr Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren sollte.

Der Workshop bot den Teilnehmern ein international hochkarätig besetztes Forum für eine kritische und intensive Debatte. 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Minister, Verfassungsrichter und praxisnahe Experten aus neun afrikanischen Staaten (Benin, Burkina Faso, Côte d´Ivoire, Ghana, Mali, Niger, Senegal, Togo, Südafrika) sowie aus Deutschland, Frankreich und den USA kamen in Gießen zusammen. Die Form von drei Roundtables mit kurzen Impulsvorträgen vier ausgewählter Teilnehmerinnen und Teilnehmer und einer anschließenden Diskussion ermöglichte sowohl einen Erfahrungsaustausch als auch eine lebhafte Debatte über Rolle und Herausforderungen der Verfassungsgerichtsbarkeit insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Der gesamte Workshop wurde auf Englisch und Französisch abgehalten und alle Redebeiträge simultan übersetzt. Dies erlaubte eine problemlose Verständigung, aktive Teilnahme an den Diskussionsrunden und auch einen konstruktiven (und leider immer noch sehr seltenen) Austausch zwischen frankophonen und nicht frankophonen Ländern.

Eröffnet wurde der Workshop von Prof. Dr. Thilo Marauhn und Dr. Arne Wulff, dem Leiter des Rechtsstaatsprogramms Subsahara-Afrika. Prof. Babacar Kanté, Vize-Präsident des senegalesischen Verfassungsgerichts a.D. und Professor an der Universität Gaston-Berger (Senegal), hielt am Freitag Abend den Eröffnungsvortrag. Er erinnerte unter dem Titel „Constitutional Courts as main actors in transition to democracy“ an die Rolle von Verfassungsgerichten in den Transformationsprozessen Ende der 1980 Jahre. Dabei stellte er auf die Legitimität von Verfassungsrichtern, ihre Kapazität und ihren Willen, sich Akzeptanz zu verschaffen, sowie auf die Neubildung von autonomen Verfassungsgerichten im modernen Sinn ab. Professor Kanté wies dem Verfassungsrichter eine doppelte Funktion im afrikanischen Kontext zu. Er solle im traditionellen Verständnis substantiellen Konstitutionalismus und damit die Unterwerfung unter das Recht garantieren, daneben aber auch den Streit der politischen Kräfte befrieden und stabilisieren. Dem Schutz von Menschenrechten komme aktuell hingegen nur geringe Bedeutung zu. Für Prof. Kanté gibt es zwei divergierende Tendenzen in der Entwicklung der Verfassungsgerichte: zum einen eine maximalistische Tendenz durch eine exzessive Interpretation der Kompetenzen oder gar Weisungen in Richtung der Politik (im frankophonen Raum verkörpere das Verfassungsgericht in Benin diese Tendenz); daneben gebe es jedoch auch eine minimalistische Haltung, wenn Verfassungsgerichte sich lediglich darauf beschränkten, die Konformität von staatlichem Handeln mit der Verfassung zu überprüfen (das Verfassungsgericht Senegals stehe für diese Kategorie). Im weiteren Verlauf der Tagung wurde dieser Gegensatz immer wieder aufgegriffen. Der landesspezifische Kontext bestimme diese divergierenden Tendenzen. Die fortschreitende Internationalisierung und Regionalisierung, insbesondere Kooperationen zwischen Verfassungsgerichten sowie bessere Vernetzungen würden die Rechtsprechung der verschiedenen Verfassungsgerichte jedoch einander annähern. Im Anschluss gab es eine lebhafte Debatte vor allem über die Frage, inwieweit Verfassungsrichter politische Akteure sind bzw. sein sollten.

Der erste Roundtable am Samstag unter dem Titel „Constitutional Courts, in search for an identity“ machte deutlich, dass die Herausbildung eines eigenen Status und die Anfangssuche nach einer eigenen Identität die Verfassungsgerichte in ihrer Aufbauphase weltweit eint. Dafür wurden sowohl die Beispiele des Bundesverfassungsgerichts und des französischen Conseil constitutionnel als auch von afrikanischen Verfassungsgerichten genannt. Neben dem Willen des Verfassungsgebers bei der Festlegung der Kompetenzen komme auch der Selbstwahrnehmung des Verfassungsgerichts bei der Verfassungsauslegung der jeweiligen Rechtsgrundlagen entscheidende Bedeutung zu. Erörtert wurde auch die Frage, ob es ein afrikanisches Modell von Verfassungsgerichtsbarkeit oder zumindest Besonderheiten und Charakteristika der afrikanischen Verfassungsgerichte gibt. Unter Leitung von Prof. Dr. Thilo Marauhn diskutierten darüber als Experten Dr. Daba Diawara, Prof. Alioune Fall, Prof. Kpodar und Prof. Danwood Chirwa. Sie ordneten den Verfassungsgerichten verschiedene Rollen als Überwachungsorgan oder als Partner politischer Akteure und sogar eine edukative Funktion zu.

Hierauf aufbauend beschäftige sich der zweite Roundtable „Without fear, favour or prejudice? External influences on constitutional judges“ mit der Unabhängigkeit von Verfassungsgerichten. Prof. Dr. Brun-Otto Bryde führte die Diskussion zwischen Prof. Théodore Holo, Dr. Mamadou Dagra, N´Dory Claude Vincent N´Gbesso und Prof. Dr. Silvia von Steinsdorff. Dabei wurden sowohl politische und wirtschaftliche als auch soziale Einflüsse auf Verfassungsgerichte ausgemacht und die Frage diskutiert, ob Verfassungsrichter selbst politisch agieren und agieren dürfen. Die Experten arbeiteten heraus, welche Rolle die Verfassungsgerichte im Zusammenspiel der Gewalten einnehmen, insbesondere im Hinblick auf die Gewaltenteilung und die Problematik einer in den ausgewählten Jurisdiktionen häufig übermächtigen Exekutive. Die Politisierung der Ernennung von Verfassungsrichtern sei eine wesentliche Herausforderung. Ausführlich wurde erörtert, dass Verfassungsgerichte die Umsetzung ihrer Entscheidungen im Blick haben müssen. Auch in etablierten Demokratien müssten Verfassungsrichter sich ihre Autorität immer wieder neu erarbeiten.

Die Macht eines Verfassungsgerichts hängt wesentlich von der Ausgestaltung seiner Kompetenzen ab. Dabei gehen die Ansichten darüber, welche Zuständigkeiten ein Verfassungsgericht haben darf und soll, weit auseinander. Die Frage, ob Verfassungsrichter trotz fehlender expliziter Zuständigkeit Verfassungsänderungen überprüfen dürfen und sollen, wurde im dritten Roundtable „Guardian or master of the Constitution“ diskutiert. Prof. Charles Fombad moderierte die Runde von Prof. Frédéric Joel Aivo, Prof. Albert Bourgi, Dr. Rachel Ellett und Prof. Augustin Loada. Besonders in Afrika gefährden ständige Verfassungsänderungen mitunter die Konsolidierung von demokratischen Systemen. Dabei standen aktuelle Entwicklungen zur zeitlichen Begrenzung von Mandaten der Staatspräsidenten im Mittelpunkt. Senegal, Burkina Faso, Uganda, Tansania und Malawi wurden als Beispiele genannt. Vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher historischer und politischer Voraussetzungen haben sich die Kompetenzen und die Aktivität der Verfassungsgerichte diversifiziert. An die schon von Prof. Kanté zu Beginn der Tagung genannte Bandbreite von sehr mächtigen bis hin zu faktisch nicht existierenden Verfassungsgerichten wurde erinnert. Die Sonderrolle des besonders aktiven Verfassungsgerichts in Benin wurde dabei wiederholt hervorgehoben. In der anschließenden Diskussion wurden drei unterschiedliche Funktionen der Verfassungsgerichtsbarkeit besonders herausgestellt: die Kontrolle von Wahlen, die Kontrolle der Beziehungen von Regierung und anderen Staatsorganen sowie der Schutz von Menschenrechten. Die Ansichten darüber, in welchen Bereichen eine eher aktivistische Haltung der Verfassungsgerichte notwendig sei, gingen auseinander.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Vortrag von Prof. Heinz Klug, der sich mit der Rolle von Verfassungsgerichten bei der Sicherung der Demokratie beschäftigte. Er bezog sich in seinem Vortrag auf die Entwicklung und Sonderrolle des Verfassungsgerichts Südafrikas. Dabei hob er hervor, dass die hervorragende Anerkennung, die es afrika- und sogar weltweit genießt, nicht von Beginn an vorgezeichnet, sondern durch Entscheidungen im Dialog mit der Politik schrittweise klug und mit großer Sensibilität für die Fragilität des politischen Umbruchs erarbeitet wurde.

Der Workshop leistete einen wichtigen Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Afrikaforschung, indem er eine außerhalb der frankophonen Forschungslandschaft wenig beachtete Region in den Mittelpunkt stellte und Experten aus verschiedenen Ländern an einen Tisch brachte. Die Teilnehmer waren sich einig, dass insbesondere die Rolle der Verfassungsgerichte in Westafrika weiter zu erforschen ist. Durch die vorangegangene Projektarbeit und den Workshop hat sich ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern etabliert. Dieses soll für einen kontinuierlichen Austausch und gemeinsame Projekte genutzt werden.