• Wer sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen will, muss sich auf Beschränkungen bei Reisen und in der Freizeit einstellen.
  • Die Teilnahme am öffentlichen Leben wird ab Herbst teurer.
  • Jurist und Ethikrat-Mitglied Steffen Augsberg kritisiert die Kommunikation der Politik: Es gehe nicht darum, Ungeimpfte zu bestrafen.

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Etwa 55 Prozent der Deutschen sind komplett gegen das Coronavirus geimpft. Knapp 63 Prozent haben zumindest die erste Dosis erhalten. Die Zahl Neuinfektionen steigt trotzdem – von der Herdenimmunität ist Deutschland noch ein Stück entfernt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder befürchtet eine "Pandemie der Ungeimpften". Die Politik erhöht daher den Druck auf diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen. Klar ist: Für sie werden im Herbst mehr Einschränkungen gelten als für Geimpfte.

Offizielle Impflicht? Denkbar, aber unwahrscheinlich

In Frankreich hat der Staat die Impfung für bestimmte Berufsgruppen verordnet, zum Beispiel im Gesundheitswesen. Grundsätzlich ist eine staatliche Impfpflicht auch in Deutschland rechtlich möglich, sagt Steffen Augsberg, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Gießen, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Allerdings wäre ein solch massiver Eingriff in die Grundrechte aus seiner Sicht nur in einer extremen Lage vertretbar. "Wir haben generell eine hohe Impfbereitschaft. Und die Impfquote könnte mit milderen Mitteln noch weiter gesteigert werden – zum Beispiel indem auf Marktplätzen oder in Baumärkten geimpft wird. Diese Mittel müssen zunächst ausgeschöpft werden", sagt Augsberg, der Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.

Bürgertests ab 11. Oktober kostenpflichtig

Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wollen das öffentliche Leben zwar auch für Getestete offenhalten. Sie haben sich darauf geeinigt, dass der Staat für Besuche in Altenheimen, in der Innengastronomie, bei Sport- und Freizeitveranstaltungen künftig eine Impfung, einen Genesenennachweis oder eben einen Test verlangt. Wer sich nicht impfen lassen will, kann also weiterhin über Tests am öffentlichen Leben teilnehmen.

Das wird aber einen Preis haben: Die "Bürgertests" werden ab 11. Oktober kostenpflichtig. Die Politik will so noch mehr Menschen dazu bringen, sich impfen zu lassen. "Wer dieses Angebot nicht annimmt, kann nicht dauerhaft damit rechnen, dass die Solidargemeinschaft ihm das finanziert", sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller.

Dass Unternehmer ihre Mitarbeitenden zu einer Impfung verpflichten, ist übrigens in den meisten Branchen nicht möglich: Dem stehe das Arbeitsrecht entgegen, erklärt Jurist Steffen Augsberg. Eine solche Pflicht müsste im Arbeitsvertrag aufgeführt sein.

Beschränkungen beim Reisen

Mehr Freiheiten haben Unternehmen aber im Umgang mit Kunden und Gästen. Für Restaurants, Reise- und Konzertveranstalter oder Kinos gilt die Vertragsfreiheit: Betreiber sind nicht verpflichtet jeden Kunden oder jeden Gast zu empfangen. Sie können eine Impfung zur Bedingung machen.

Der Reiseveranstalter Alltours zum Beispiel akzeptiert in seiner Hotelkette Allsun ab 31. Oktober nur noch geimpfte oder genesene Gäste. Für Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 17 Jahren genügt ein negativer Test. Der Konkurrent TUI will dagegen keine allgemeine Impfpflicht einführen.

Allerdings sind die Reiseveranstalter auch von Vorgaben der Zielländer abhängig: In Norwegen gilt für Landgänge etwa eine Impfpflicht. Daher nimmt das Kreuzfahrtschiff "Mein Schiff 1" von TUI Cruises ab 22. August nur noch vollständig geimpfte Passagiere mit. Auch andere Reedereien haben entsprechende Vorschriften angekündigt, zum Beispiel Hapag Lloyd Cruises und die norwegische Cruise Line.

Probleme können Ungeimpfte auch beim Grenzübertritt bekommen. In den USA bereitet die Regierung eine Impfpflicht als Voraussetzung für eine Einreise vor. Für Reisen innerhalb der Europäischen Union ist eine Impfung dagegen nicht verpflichtend – für Bürgerinnen und Bürger gilt innerhalb der EU die Freizügigkeit. Allerdings müssen sich ungeimpfte Reisende auf Freiheitsbeschränkungen (zum Beispiel eine Quarantänepflicht) einstellen, die für Geimpfte nicht mehr gelten.

Ins Stadion oder Hotel nur mit Impfung?

Auch in der Freizeit können Ungeimpfte das Nachsehen haben: Als erster Bundesligist hat der 1. FC Köln angekündigt, dass ein negativer Coronatest für Zuschauer nicht mehr ausreicht. Vom 28. August an dürfen nur noch geimpfte und genesene Fans ins Stadion.

Auch aus der Gastronomie gibt es ein Beispiel: Das Hotel Boutique Resort Obermühle in Garmisch-Partenkirchen führt ab 1. Oktober eine Impfpflicht für erwachsene Gäste ein. "Gastronomen und Hoteliers haben das Hausrecht inne", teilt der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga mit. Erste Hoteliers würden davon schon Gebrauch machen.

Noch handelt es sich um Einzelfälle. Doch es könnten mehr werden – das erwartet zumindest Ralph Brinkhaus. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU und CSU sagte der Welt, er gehe davon aus, dass Hoteliers, Clubs, Veranstalter sagen werden: "Sorry, bei mir kommst du nur mit einem Test nicht mehr rein." Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Rheinland-Pfalz forderte in der "Rhein-Zeitung" sogar massive Freiheitseinschränkungen für Ungeimpfte.

Kritik an "unglücklicher Kommunikation"

Jurist Steffen Augsberg bemängelt in dieser Debatte eine "ganz, ganz unglückliche Kommunikation" der Politik. Denn oft werde der Eindruck vermittelt, Impfmuffel sollten für ihre Haltung bestraft werden. "Wenn wir uns und andere Menschen deutlich weniger gefährden, wenn wir uns impfen lassen, können für Geimpfte keine Beschränkungen mehr gelten. Dann müssen Einschränkungen der Freiheitsrechte für sie auf jeden Fall wegfallen." Darum gehe es – und nicht darum, Ungeimpfte zu bestrafen. "Auch wenn das natürlich zwangsläufig zu einem Anreiz führt, sich impfen zu lassen."

Wie lange für Ungeimpfte noch Einschränkungen gelten, hängt auch von der Pandemielage ab. Derzeit gehe es darum, einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, sagt Steffen Augsberg. "Es kann aber einen Punkt geben, an dem das nicht mehr zu erwarten ist."

Das wäre der Fall, wenn eine hohe Impfquote erreicht ist und nur noch sehr wenige Menschen schwer erkranken. "Dann wäre es eine Entscheidung für einen riskanten Lebensstil, wenn man sich nicht impfen lässt. Eine Gesellschaft kann nicht jedes Risiko ausschließen. Das passiert bei gefährlichen Sportarten, im Verkehr oder bei anderen Erkrankungen auch nicht."

Über den Experten: Prof. Dr. Steffen Augsberg ist Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen und unter anderem Experte für das Recht des Gesundheitswesens. Seit 2016 ist Augsberg Mitglied des Deutschen Ethikrats.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Steffen Augsberg, Universität Gießen
  • Alltours: Pressemitteilung: Urlaub in allsun Hotels ab Winter nur für Geimpfte und Genesene - Kinder und Jugendliche benötigen einen negativen Corona-Test
  • Europäische Kommission: Digitales COVID-Zertifikat der EU
  • Impfdashboard.de: Aktueller Impfstatus https://impfdashboard.de/
  • tagesschau.de: USA planen Impfpflicht für ausländische Reisende
  • Welt.de: Ralph Brinkhaus: "Wir müssen zu einer Normalität zurückkehren, und zwar bald"

Corona-Gipfel mit Merkel: Das sind die Beschlüsse

Im Kampf gegen eine vierte Corona-Welle in Deutschland müssen sich Nicht-Geimpfte auf mehr Testpflichten einstellen - und Schnelltests ab 11. Oktober in der Regel auch selbst bezahlen. Das vom Bund finanzierte Angebot für kostenlose "Bürgertests" endet für alle am 10. Oktober © ProSiebenSat.1
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