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»Impfpflicht für Berufsgruppen denkbar«

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Vor dem entscheidenden Pieks steht die Aufklärung. 	FOTO: DPA
Vor dem entscheidenden Pieks steht die Aufklärung. FOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Gießen (csk). Juristen impfen nicht. Aber auch sie arbeiten manchmal an einer Immunisierung. So betonten die Teilnehmer im Gesundheitsrechtlichen Praktikerseminar der Justus-Liebig-Universität am Mittwochabend gleich mehrfach, dass die Covid-19-Impfstoffe in der Europäischen Union eben keine Notfallzulassung, sondern eine reguläre Lizenz erhalten hätten. Das sei trotz des längeren Prozesses richtig gewesen, erklärte Christoph Weinrich, Leiter der Stabsstelle Recht bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Denn alles andere öffne einer »Delegitimierung« der Impfungen nur Tür und Tor. Stephan Hofmeister, Arzt und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, warnte in diesem Sinne davor, »illegitime Abkürzungen« zu nehmen und Verschwörungstheoretikern leichtfertig »Oberwasser« zu verschaffen.

Vor dem Pieks steht also die Aufklärung. Und vor der Aufklärung steht die Organisation. Beide Aspekte sorgten im Seminar für Diskussionen. Steffen Augsberg, Mitglied im Deutschen Ethikrat und Professor für Öffentliches Recht an der JLU, warf die Frage auf, ob individuelle Gespräche mit dem Impfarzt unter dem bestehenden Zeidruck praktikabel seien.

Das Problem existiere besonders in Pflegeheimen, berichtete Hildegard Nebel von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Verteilte Formulare überforderten manche Bewohner, und Impfteams hätten oft nicht die Zeit für detaillierte Risikoaufklärung. Hofmeisters Vorschlag, die Gespräche von einem Hausarzt machen zu lassen, sahen die Juristen in der Runde aber wegen Haftungsfragen kritisch.

Impfpflicht gegen Hepatitis B

Noch deutlich schärfer kritisierten sie die Debatten um eine Impfpflicht, die die Bundesregierung frühzeitig und kategorisch ausgeschlossen hatte. Die neuerlichen Vorstöße kämen »zur Unzeit« und seien leicht als »politischer Testballon« zu erkennen, sagte Augsberg. Schließlich könne eine Pflicht erst erlassen werden, wenn ausreichend Impfstoff verfügbar sei. Grundsätzlich wäre sie nach Hofmeisters Ansicht für bestimmte Berufsgruppen vorstellbar. Ähnliches gebe es zum Beispiel bereits bei Hepatitis B.

Kaum Widerspruch erregte die Impfreihenfolge, wie sie die Impfverordnung festlegt. Mehrere Seminarteilnehmer plädierten hier für maximalen Pragmatismus und verwiesen eine Einzelfallgerechtigkeit in das Reich des Wunschdenkens. So solle man etwa Pflegeheimbewohner, die wegen ihres Alters von der Rechtslage her keine höchste Priorität hätten, dennoch ruhig frühzeitig impfen, meinte Augsberg. Während man andernfalls auch ein »Praktikabilitätsproblem« schaffe, ermögliche dieses Vorgehen als Nebeneffekt etwas Normalität im »inneren Gefüge« eines Heimes.

Was den Alltag am Gießener Uniklinikum angeht, berichtete der Ethikbeauftragte Matthias Brumhard von einer unter den Beschäftigten generell hohen Impfbereitschaft. Seiner Erfahrung nach sei der Biontech-Impfstoff überdies »sehr gut verträglich«. Den Vorschlag einiger Wissenschaftler, die nach drei Wochen eigentlich vorgesehene zweite Impfung zu verschieben, um jetzt mehr Menschen impfen zu können, bewertete Brumhard kritisch. Schlimmstenfalls bestehe bei einer nicht optimalen Immunisierung relativ vieler Personen sogar die Gefahr, »dass man Mutationen weiter anheizt«.

Augsberg schloss das Seminar, das die Impfungen in seinem Titel »zwischen Rettung und Zumutung« verortete, mit einem Statement zu den Zulassungsverfahren. Genau genommen resümierte der Satz aber auch die gesamte Situation mit Blick auf neue Mutationen und wieder steigende Inzidenzen: »Angesichts der Dramatik des Geschehens können wir nicht sagen, dass es auf ein paar Tage nicht wirklich ankommt.«

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