Justiz:Keine Freigabe für Geimpfte

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Zahlreiche Wirte drängen auf eine Öffnung ihrer Betriebe, hier ein Café in Sachsen-Anhalt. (Foto: Matthias Bein/dpa)

Gericht lehnt Öffnung von Senioren-Gaststätte für Immunisierte ab - und ruft damit Kritik hervor.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Gerichte bleiben zurückhaltend, Geimpften wieder mehr Freiheiten einzuräumen. Ein Seniorenzentrum im Landkreis Lörrach wollte sein Café nur für Geimpfte und Genesene wiedereröffnen - reserviert für Bewohner und Mitarbeiter der Einrichtung. Das Landratsamt hat dies abgelehnt. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat die Weigerung der Behörde nun als rechtmäßig bestätigt, wie schon zuvor das Verwaltungsgericht Freiburg. Begründung: Es sei wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt, ob Geimpfte und Genesene nicht doch noch infektiös seien und damit das Virus weitergeben könnten. Ähnlich hat vor ein paar Tagen das Verwaltungsgericht Neustadt entschieden. Dort wehrte sich ein mit dem Biontec-Impfstoff geimpftes Ärztepaar gegen eine zehntägige Quarantäne, die verhängt worden war, weil ihre im selben Haus, wenn auch inzwischen isoliert im Obergeschoss lebende Tochter positiv auf Corona getestet worden war. Das Gericht hielt die Quarantäne für gerechtfertigt.

Dabei hat der VGH durchaus Berichte aus Israel zur Kenntnis genommen, wonach eine Impfung auch die Weiterverbreitung des Virus verhindern könne. Die Daten seien derzeit aber weder in einem Fachmagazin noch als "Preprint" veröffentlicht und hätten auch keinen wissenschaftlichen Begutachtungsprozess durchlaufen. Sobald belastbare wissenschaftliche Aussagen vorlägen, müsse freilich die Landesregierung ihre Corona-Verordnung entsprechend anpassen.

Die übergroße Vorsicht im Umgang mit Geimpften stößt bei Fachleuten zunehmend auf Kritik. Steffen Augsberg, Rechtsprofessor in Gießen und Mitglied des Deutschen Ethikrats, empfahl bei einer Online-Veranstaltung der Karlsruher Justizpressekonferenz einen differenzierteren Umgang mit Ansteckungsrisiken. Hundertprozentige Gewissheiten werde man auf absehbare Zeit ohnehin nicht erhalten, deshalb sei die spannende Frage: "Welches Maß an Wahrscheinlichkeit sind wir bereit hinzunehmen?" Wenn man auf den wirklich eindeutigen und unzweifelhaften Nachweis warte, dass von Geimpften keine Gefahr mehr ausgehe, dann könne man den Lockdown wohl nie beenden. "Aber das ist ein Maß an Sicherheit, das wir sonst nicht verlangen." Man dürfe ein "tastendes Vorgehen" nicht dadurch unmöglich machen, dass man hundertprozentige Sicherheit verlange.

Nach Einschätzung von Andrea Kießling, Wissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum, reichen die Erkenntnisse zu Biontec dafür aus, dass Geimpfte nicht mehr ansteckungsverdächtig seien. Eine Quarantäneanordnung wie die des Verwaltungsgerichts Neustadt hält sie deshalb für problematisch - auch deshalb, weil der damit verbundene Freiheitsentzug ein tiefer Grundrechtseingriff sei. Dagegen sei eine Maskenpflicht trotz Impfung hinnehmbar.

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