1 - Lorbeer
Apollon und Daphne
Der Dichter Ovid hat sein zu Beginn unserer Zeitrechnung erschienenes Werk Metamorphosen ganz dem Thema der Verwandlungsmythen gewidmet. Auslöser für die wundersame Verwandlung eines Menschen in eine andere Gestalt, ein Pflanze oder ein Tier, ist häufig eine Gefahrensituation, aus der es eigentlich kein Entrinnen gibt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Mythos von Apollon und Daphne. Die schöne Nymphe war vor den Nachstellungen des Gottes geflohen, aber dieser folgte ihr in einer wilden Hetzjagd und holte sie schließlich ein. Sie war zu erschöpft, um ihrem zudringlichen Verehrer Widerstand zu leisten und flehte ihren Vater, den Flussgott Penëus, um Hilfe an. Er möge den Körper, der Apollon so reizt, verwandeln. Was dann passiert, beschreibt Ovid mit den folgenden Worten:
Kaum hatte sie so gefleht, da ergreift eine Starre die Glieder;
zäher Bast umspinnt das Fleisch des geschmeidigen Leibes;
wie als Blätter die Haare, so wachsen die Arme als Zweige;
eben so schnell noch, haften in steifen Wurzeln die Füße;
Wipfel nimmt ein das Gesicht. Ein Glanz nur bleibt über allem.
Phœbus liebt sie noch jetzt; er legt an den Stamm seine Rechte, fühlt das Herz der Geliebten noch schlagen unter der Rinde;
und es umschlingt sein Arm wie Glieder die Zweige, mit Küssen
deckt er das Holz; und es weicht noch jetzt zurück vor den Lippen.
"Kannst du", so spricht der Gott, "nicht mehr die Gattin mir werden,
sollst mein Baum du doch sein. Es sollen, o Lorbeer, dich tragen
stets meine Leier, mein Haar, der Köcher; …
Und, wie mein jugendlich Haupt an den Locken die Schere nicht duldet, trage du immerfort den Schmuck des grünenden Laubes".
(Übersetzung: Erich Rösch)