Geschichte des Instituts
Kleine Institutsgeschichte*
Hugo von Ritgen arbeitete als Architekt, Denkmalpfleger und Universitätsprofessor und war auch bildkünstlerisch tätig. Das Oberhessische Museum verwahrt ein umfangsreiches Konvolut an Aquarellen von seiner Hand. Ab 1849 und bis zu seinem Lebensende war Ritgen für die Restaurierung der Wartburg bei Eisenach in Thüringen zuständig. Sein heutiges Renommee resultiert maßgeblich aus dieser Tätigkeit, sein Wirken in Gießen und in der Region harrt noch der vertiefenden Erforschung.** Im Zuge der Neuordnung der Hochschullandschaft im Großherzogtum Hessen-Darmstadt wurde 1874 der Lehrstuhl für Architektur und Ingenieurwissenschaften an die 1869 eingerichtete Polytechnische Schule beziehungsweise ab 1877 Technische Hochschule Darmstadt verlegt. Hugo von Ritgen blieb jedoch in Gießen und lehrte fortan nicht mehr Baukunst, sondern Kunstgeschichte.
Nach Ritgens Tod 1889 war der Gießener Lehrstuhl für einige Jahre vakant und wurde erst wieder 1893 von dem Privatdozenten Adelbert Matthaei (1859-1924), einem Experten für französische Zisterzienserarchitektur, vertreten. Matthaei blieb allerdings nur kurz und wechselte schon zum Wintersemester 1893/94 als akademischer Zeichenlehrer und außerordentlicher Professor für Kunstgeschichte an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Erneut blieb der Lehrstuhl für einige Jahre nicht besetzt und wurde schließlich von dem Klassischen Archäologen Bruno Sauer (1861-1919) übernommen. 1897 erhielt Sauer die Ernennung zum außerordentlichen Professor für Archäologie und Kunstgeschichte, im darauffolgenden Jahr zum Direktor des Kunstwissenschaftlichen Instituts und des Kunst-, Münz- und Antikenkabinetts (später Archäologisches Institut) der Ludwigs-Universität. Für mehr als eine Dekade waren somit die beiden Disziplinen in einem Institut verbunden, und man pflegte eine enge Anbindung, vor allem der Lehre, an die kunstgeschichtlichen und archäologischen Objektbestände im gemeinsamen Haus.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Ludoviciana ihren Universitätsstatus verlor und zu der auf Landwirtschaft und Veterinärmedizin reduzierten Justus-Liebig-Hochschule wurde, musste auch das Kunstwissenschaftliche Institut den Betrieb einstellen. In das Gebäude in der Ludwigstraße zog 1946 das Amerikahaus ein. Die Bibliothek und nahezu alle anderen Lehrmittel des Instituts wurden an die Technische Hochschule Darmstadt überführt, wo die Architektur- und Kunstgeschichte erhalten blieb. Aber schon ab 1950 gab es auch an der Justus-Liebig-Hochschule wieder kunstgeschichtliche Lehrveranstaltungen, in der „Allgemeinen Abteilung“. Sie wurden von dem Privatdozenten Ottmar Kerber (1902-1986) zunächst im Rahmen von Lehraufträgen unterrichtet und gewährleisteten eine Kontinuität und Kultivierung des Faches vor Ort, die der Wiedereinrichtung einer Professur für Kunstgeschichte an der (ab 1957) Justus-Liebig-Universität zugutekam. 1965 wurde Günther Fiensch (1910-1978) auf den Lehrstuhl berufen und die Gießener Universität hatte damit wieder ein Kunstgeschichtliches Seminar, das seit 1972 – mit der Ernennung von Norbert Werner (1937-2019) – sogar zwei Professuren besaß.
Ebenfalls in den späten 1960er Jahren war mit der von der JLU übernommenen Hochschule für Erziehung auch ein Institut für Kunsterziehung, das heutige Institut für Kunstpädagogik (IfK), an die Gießener Universität gekommen. Verteilt auf die beiden Philosophika des neu errichteten Campusgeländes gab es somit zwei nun mehr auf die bildenden Künste als auf die Architektur fokussierten Institute im Aufbau, deren vielfältige Kooperationen und sicher auch Konkurrenzen noch der historischen Aufarbeitung bedürfen.
2003 wurde Silke Tammen (1964-2018), als Nachfolgerin von Norbert Werner, auf die zweite Professur am Gießener Institut für Kunstgeschichte berufen und verschaffte dieser ein dezidiert mediävistisches, bild- und materialwissenschaftlich akzentuiertes Profil. Tammen vertrat eine innovative und interdisziplinär besonders anschlussfähige Kunstgeschichte des Mittelalters. Vor allem Handschriften und Textilien, Reliquiare und Schmuckobjekte rückte sie nicht nur neu in den Blick, sondern verstand sie auch in ihrer sinnlichen Vieldeutigkeit zu erforschen und zu lehren.
Seit 2016 bzw. 2019 stehen Sigrid Ruby (geb. 1968; Schwerpunkt Neuere und Neueste Kunstgeschichte) und Markus Späth (geb. 1969; Schwerpunkt Kunstgeschichte des Mittelalters) dem Institut für Kunstgeschichte vor. Kooptiert ist die Professur für Kunstgeschichte am Institut für Kunstpädagogik, die seit 2008 Claudia Hattendorff (geb. 1963) innehat.
* Eine ausführlichere Version der Institutsgeschichte mit Nachweisen auch der Quellen bzw. Sekundärliteratur ist in Arbeit.
** Leben und Werk des Hugo von Ritgen werden derzeit von der Kunsthistorikerin Dr. Yvonne Rickert erforscht – im Rahmen eines vom Institut für Kunstgeschichte (Prof. S. Ruby) und dem FB Bauwesen der THM (Prof. N. Zieske, U. Wassermann) in Kooperation erarbeiteten Projekts.
Text: Sigrid Ruby