Forschungsprojekte
Forschungsprojekte am Institut
Am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft sind mehrere Forschungsprojekte angesiedelt, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden. Sie widmen sich aktuellen Fragestellungen an der Schnittstelle von Ästhetik, Politik und institutionellen Dynamiken in den darstellenden Künsten. Dazu zählen unter anderem das Teilprojekt Nachwuchsfestival im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe „Krisengefüge der Künste“ (Leitung: Prof. Dr. Gerald Siegmund), das Habilitationsprojekt Choreopower von Dr. Gerko Egert sowie das abgeschlossene Projekt minor aesthetics zur Selbstrepräsentation von Roma in der darstellenden Kunst von Dr. Lorenz Aggermann.
Die Projekte sind gefördert durch die![]() |
Nachwuchsfestivals
Nachwuchsfestivals — Zwischen Event und der Suche nach neuen Formen. Teilprojekt der DFG-Forschungsgruppe 2734: „Krisengefüge der Künste Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart“. Leitung: Prof. Dr. Gerald Siegmund. Mitarbeit: Benjamin Hoesch, M.A.
Teilprojekt der DFG-Forschungsgruppe 2734: „Krisengefüge der Künste Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart“
https://www.krisengefuege.theaterwissenschaft.uni-muenchen.de/index.html
Leitung: Prof. Dr. Gerald Siegmund
Mitarbeit: Benjamin Hoesch, M.A.
Festivals für junge Theaterschaffende in oder kurz nach der Ausbildung sind eine organisationelle und zugleich ästhetische Praxis, die in den vergangenen Jahren Konjunktur bekommen hat. Die Entwicklung von Nachwuchsfestivals als Produktions- und Präsentationsform verhält sich damit gegen die Erwartung von Stagnation und Rezession in aktuellen Krisendiskursen des Theaters. Nachwuchsfestivals zeigen meist einmal jährlich über einen Zeitraum von mehreren Tagen in räumlicher und zeitlicher Verdichtung Theaterarbeiten, die von jungen KünstlerInnen verantwortet werden. Seit dem Jahr 2000 ist allein im deutschsprachigen Raum eine zweistellige Anzahl entsprechender Festivals institutionalisiert worden, an denen oft gerade renommierte Stadt- und Staatstheater sowie Häuser der Freien Szene beteiligt sind.
Das Teilprojekt betrachtet die Häufung solcher Nachwuchsfestivals seit Beginn der Nuller Jahre als Symptom für Veränderungen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Das Symptom Nachwuchsfestival kann dabei aus zwei Perspektiven betrachtet werden: Für die veranstaltenden Organisationen generieren die Festivals öffentliche Aufmerksamkeit und machen die Rekrutierung von künftigem Personal transparent. Sie tragen damit zur Eventisierung des Theaterbetriebs bei und aktivieren mit der Nachwuchsförderung einen Legitimationsmythos, wie er auch in anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Unterhaltung, Musik, Sport oder Wissenschaft wirkt. Für die jungen KünstlerInnen organisieren solche Festivals den Einstieg ins Berufsleben. Sie dienen in diesem Rahmen der Erprobung von neuen Ästhetiken, die die KünstlerInnen auf dem Markt sichtbar machen und als Marke etablieren sollen. Aus beiden Perspektiven heraus ergeben sich paradoxe Verflechtungen mit dem institutionalisierten Theaterbetrieb, der ex negativo als Bezugspunkt stets erhalten bleibt. Denn die veranstaltenden Theaterhäuser nutzen die Festivals, um sich gegenüber ästhetischen und personellen Beharrungstendenzen des Theaters als aufgeschlossen für zeitgemäße Ästhetiken und progressive Produktionsweisen zu zeigen. Die jungen KünstlerInnen nutzen die Festivals ihrerseits, um sich als unabhängig von vermeintlich veralteten Strukturen des Literaturtheaterbetriebs zu präsentieren. Sie erproben eigenständige, den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragende Produktionsweisen und Kommunikationsstile, die neue Medien in ihre Arbeit ebenso einbeziehen wie sie die Grenzen zu anderen Kunstgattungen sowie zur Populärkultur überschreiten. In diesem Spannungsfeld kristallisiert sich eine Wahrnehmung der aktuellen Theatersituation in Bezug auf die Ausbildung, die Arbeitsbedingungen und die daraus resultierenden Stücke sowie deren Präsentationsmodi als eine krisenhafte heraus. Die Krise des Stadttheaters erweist sich in ästhetischer Hinsicht als äußerst produktiv.
Aus dem auffälligen Befund der Konjunktur eines Typus‘ des Organisationsmodells Theaterfestival simultan zu Krisenentwicklungen der Darstellenden Künste ergeben sich für das Teilprojekt die folgenden Ausgangsfragen:
- Wie gelingt es Theaterorganisationen durch Nachwuchsfestivals, im Moment institutioneller Krise neue hochproduktive Arbeitsverhältnisse zu entwickeln und künstlerisches Personal für die eigene Zukunft zu rekrutieren?
- Welche Auswirkungen haben Nachwuchsfestivals auf die Ausbildungs- und Berufskarrieren von TheaterkünstlerInnen? Welche Rolle spielen sie für die Bewältigung von Krisen der ausrichtenden Theaterorganisationen?
- Welche Chancen bieten Nachwuchsfestivals neben institutioneller Reproduktion für Innovationen zeitgenössischer Theaterästhetik?
Das Teilprojekt will durch die Beantwortung dieser Fragen das expansive und für aktuelle Theaterproduktion und –präsentation äußerst einflussreiche Feld der Nachwuchsfestivals in die theaterwissenschaftliche Diskussion der Entwicklung von Theaterinstitutionen hinsichtlich ihrer Arbeitsweisen und Öffentlichkeiten sowie der Ästhetik des Gegenwartstheaters einbringen. Die wissenschaftlich-kritische Erforschung von Aufkommen, Institutionalisierung,Entwicklung sowie Ästhetik von Nachwuchsfestivals will die im Praxisfeld bereits kontrovers geführte Diskussion bereichern, Standortbestimmungen vornehmen und zukünftige Perspektiven des Modells aufzeigen.
Choreopower
- Choreopower. Untersuchungen zur Macht der Bewegung. Von der DFG gefördert (Laufzeit 2017-202?). Habilitationsprojekt von Dr. Gerko Egert.
Von der DFG gefördert (Laufzeit 2017-202?)
Habilitationsprojekt von Dr. Gerko Egert
Wir befinden uns in einem Zeitalter der Bewegung. Noch nie war Bewegung in Bereichen des Kapitals, der Arbeit, der Kunst und der Subjektivierung so wichtig wie heute. Dieser Anstieg von Bewegung ist jedoch keine Zunahme von Freiheit, vielmehr entsteht mit ihr eine neue Form der Macht: eine Macht der Bewegung. Tanz und Choreographie sind neben Migration, Verkehr und Logistik dabei zentrale Schauplätze dieser Entwicklung. In den letzten Jahren haben sich sowohl Theoretiker/innen als auch Choreograph/innen vermehrt den Fragen der Steuerung bzw. Lenkung, eben: der Choreographie, von Bewegung gewidmet. Ausgehend von diesen Beobachtungen soll eine interdisziplinäre Theorie einer choreographischen Macht entwickelt werden. Auf welche Weise operiert heutzutage Macht in und als Bewegung?
Choreographische Politik ist vor allem eine verkörperte und prozessuale Politik der Bewegung. Wie lassen sich Bewegungen produzieren, wie lassen sie sich lenken und modulieren? In meinem Projekt untersuche ich die choreographische Macht in zwei Schritten: Erstens sollen Probenprozesse auf ihr implizites Wissen von Bewegungsmacht hin analysiert und befragt werden. In einem zweiten Schritt werde ich die so gewonnenen Untersuchungswerkzeuge auf größere Kontexte der Bewegung wie Verkehr, Migration und Logistik übertragen und zur Anwendung bringen. Wie kann Choreographie für eine Untersuchung von Macht in kulturellen Bewegungsszenarien fruchtbar gemacht werden? Wie lassen sich mittels der Choreographie gesellschaftliche und künstlerische Mikro- und Makroprozesse verbinden? Wie wirken aber auch umgekehrt gesellschaftliche Machttechniken auf die tänzerische Produktion von Bewegungen ein?
http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/329683971
Kurzbiografie
Gerko Egert ist Performance- und Medienwissenschaftler. Zurzeit ist er Privatdozent am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er war Vertretungsprofessor an der Freien Universität Berlin und der HBK Braunschweig. Er forscht zu Philosophien und Politiken der Bewegung, Kunst und radikaler Pädagogik, planetarischem Handeln, Tanz und Performance seit dem 20. Jh., Prozessphilosophie sowie (spekulativem) Pragmatismus. Neben seiner Promotion Berührungen. Bewegung, Relation und Affekt im zeitgenössischen Tanz (Transcript 2016, engl.: Routledge 2020) umfassen seine Publikationen: “Operational Choreography. Dance and Logistical Capitalism” (Performance Philosophy 2022) sowie den Sammelband Experimente lernen, Techniken tauschen. Ein spekulatives Handbuch (hrsg. mit Julia Bee, 2020). Zusammen mit Julia Bee betreibt er die Publikationsplattform nocturne.www.gerkoegert.com, www.nocturne-plattform.de
minor aesthetics
- minor aesthetics - zur Selbstrepräsentation von Roma in der darstellenden Kunst. Von der DFG gefördert (Laufzeit 2019-2022). Von Dr. Lorenz Aggermann.
Von der DFG gefördert (Laufzeit 2019-2022)
Von Dr. Lorenz Aggermann
Das Forschungsprojekt widmet sich den unterschiedlichen Formen der Selbstilisierung von Roma in der darstellenden Kunst. Ausgangspunkt sind die Inszenierungen des Theater Pralipe (von 1991 bis 2002 am Theater an der Ruhr, Mülheim, angesiedelt) sowie weitere Aufführungen und Performances von und mit Roma aus den letzten drei Dekaden. Durch den analytischen Fokus auf Autorschaft und damit einhergehend, auf Handlungsmöglichkeit und Deutungsmacht, ergänzt das Projekt die soziologische und ethnografische Forschung zur Diskriminierung und Marginalisierung von Roma sowie die literatur- und kunstwissenschaftliche Forschung zur (Trans-)Formation von ,Zigeuner‘-Bildern.
Neben der Aufgabe, die vielfältigen und vielgestaltigen Aufführungen zu dokumentieren, analysiert das Projekt vor allem das ästhetische Spiel mit Fremd- und Selbststilisierung. Indem die diskursiven und institutionellen Determinanten dieser Selbststilisierungen kenntlich gemacht und mit den Prämissen der autonomen Ästhetik abgeglichen werden, verfolgt das Vorhaben nicht zuletzt eine Kritik der vorherrschenden sozio-politischen Vorstellungen von darstellender Kunst. Was vermag Kunst als »Freiheit von Sozialen im Sozialen« zu versprechen, wenn der subjektive Status im Sozialen nicht unverbrüchlich garantiert ist?
Literatur
- Lorenz Aggermann: „›Zigeuner‹ als Maske des Fremden. Marginalisiertes Leben zwischen dem Realen und dem Fiktiven.“ in: Bloch, Natalie; Heimböckel, Dieter (Hg.): Theater und Ethnologie. Beiträge zu einer produktiven Beziehung. Tübingen: Narr 2016 (S.49–63)
- Lorenz Aggermann, Eduard Freudmann, Can Gülcü: Beograd Gazela. Reiseführer in eine Elendssiedlung. Klagenfurt: Drava 2008
Kurzbiografie
Lorenz Aggermann, studierte Theater-, Film und Medienwissenschaft und Europäische Ethnologie an den Universitäten in Wien und Berlin, ehe er an der Universität Bern promovierte. Aktuell verantwortet er das DFG-Projekt „minor aesthetics“ (2019-2021), das der Selbst- und Fremdrepräsentation von Roma in der (darstellenden) Kunst nachgeht.
Seine Publikationen umfassen die Studien „Der offene Mund“ (Berlin 2013), „Beograd Gazela“ (Klagenfurt 2008), sowie zahlreiche Artikel, die sich sozio-politischen, epistemologischen und aisthetischen Aspekten von (Musik)Theater widmen. Sein Augenmerk gilt zudem der Theatralität bzw. Inszenierung von alltäglichen, nicht-künstlerischen Phänomenen und Praktiken.