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Übungsformationen. Das Üben der antiken Rhetorik als Praxis der Subjektivierung

(Arbeitstitel)

Von: Ruben Pfizenmaier M.A.
Betreuung: Prof. Dr. Gerald Siegmund

 

 

Gegenstand meines Dissertationsprojekt sind Praktiken des Übens und deren vielfältige Effekte. Mittelpunkt steht dabei die subjektivierende und desubjektivierende Wirkung des Übens.


Ausgehend von einem leibphänomenologischen Nachvollzug und unter Berücksichtigung praxistheoretischer Ansätze strebt meine Arbeit eine Beschreibung der unterschiedlichen Wirksamkeiten von Übungspraktiken an. Material und roter Faden der Arbeit bildet die antike Rhetorik, explizit Quintilians Ausbildung des Redners/Institutio oratoria aus dem 1. Jh. n. Chr. Entscheidende Erwartungen an Wirkungen einzelner Übungen sollen herausgegriffen, mit zeitgenössischen Konzepten aus insbesondere Phänomenologie und Praxistheorie nachvollzogen und auf ihre Plausibilität hin befragt werden. Auf diese Weise soll eine mehrschichtige und umfassende Beschreibung des Phänomens des Übens entstehen.

Die antike Rhetorik bietet sich aus unterschiedlichen Gründen an: Der Streit zwischen Philosophie und Rhetorik liefert ein großes Reservoir an Texten, in denen der Status der Rhetorik als Technik und die Frage nach dem Verhältnis der Rhetorik zu Theorie und Wissen diskutiert wird. Beide Disziplinen sind in gegenseitiger Ablehnung und Profilierung eng verbunden. In ihrer Praxis zielt die Rhetorik stets auf ein konkretes Ziel ab. Um dieses zu erreichen, verbindet sie die Beeinflussung von Kognition und Affekten, ist gleichermaßen rationales und ästhetisches Geschehen. Das Zusammenspiel von theoretischem Wissen und praktischem Üben sowie das Zusammenwirken von disziplinierenden, abrichtenden und offenen, unabgeschlosseneren Formen des Übens in der (Aus)Bildung des Redners bieten sich zur eingehenden Untersuchung an. Besonders anhand der Stegreifrede wird beispielhaft deutlich, dass das Ziel der Persuasion nie allein durch Skript und Vorbereitung erreicht werden kann, sondern sich letztlich in einer gelingenden Ausbeutung der Umstände und der Situation des Vortrags verwirklicht. Der Redner findet sich dabei selbst immer in Vollzügen wieder, deren Verlauf er nie komplett beherrschen kann. Um entsprechend souverän zu agieren, ist eine Ausbildung nötig, die in außerordentlicher Weise auf Übungen angewiesen ist. Diese Übungen werden seit Protagoras und den Sophisten und neben Theorie und Talent als gleichrangiger Teil der Ausbildung des Rhetors angesehen. Zudem stellt die Rhetorik eine genuin politische Praxis dar. Schließlich ist ermöglicht die Nähe zur Philosophie eine Kontrastierung des Übens in der Rhetorik mit den Selbsttechniken der antiken Philosophie. Die angestrebte Untersuchung des Phänomens soll so vertieft und abgerundet.

Auf diese Beschreibung aufbauend soll eine kraft- bzw. wirksamkeitsorientierte Theorie übend gebildeter Subjektivität entwickelt werden. Diese soll im Besonderen die ethischen und politischen Potentiale des Übens berücksichtigen.

Methodisch und terminologisch orientiert sich mein Projekt stark an Bourdieu, Merleau-Ponty und Foucault hinsichtlich der Beschreibung des Übens, im Blick auf die Theoretisierung geübter Vermögen an wirksamkeitsorientierten Ansätzen der frühen Ästhetik sowie an performativitätstheoretischen Positionen um Derrida und Butler. Die angestrebte Untersuchung von Subjektivierung vollzieht sich im Rückgriff auf die Begriffe héxis und Habitus und soll stark auf das transformierende Potential der leiblichen (Selbst)Erfahrung im Üben zulaufen. Damit soll ein Ansatz geschaffen werden, um die Spannung zwischen den Polen Struktur und individuellem Handeln, zwischen denen sich die zeitgenössische Praxistheorie verortet, neu zu denken. Außerdem soll meine Arbeit eine Evaluation der unterschiedlichen (politischen) Hoffnungen ermöglichen, die an verschiedenen Stellen in aktuellen Diskursen (vor allem im Anschluss an Foucaults Spätwerk) an Übungspraktiken gerichtet werden.