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Grammatik des Neuhochdeutschen zwischen Gegenwart und Geschichte
Termin und Ort:
23.-25. Mai 2024, Rauischholzhausen
Als die wohl wichtigste Erkenntnis der modernen Sprachgeschichtsforschung dürfte gelten, dass Sprachstabilität wie Sprachwandel eng mit Variation verbunden sind. Dabei unterscheidet sich die vertikalisierte „Sprachdynamik“ (Schmidt/Herrgen 2011) des Gegenwartsdeutschen mit Sicherheit erheblich von der horizontalen älterer Sprachstufen (Ágel 2015), auch wenn einschlägige empirische Studien fehlen. Klar ist jedoch, dass das Nhd. als die Kernzeit der „Vertikalisierung des Varietätenspektrums“ (Reichmann 1988) und der Herausbildung konzeptioneller Schriftlichkeit keine bloße ,Schnittstelle‘ zwischen Gegenwart und Geschichte ist, sondern eine ,Varietätenumwälzungsepoche‘ mit besonderen theoretischen, methodischen, inkl. korpustechnologischen, und empirischen Herausforderungen im Spannungsfeld von „Differenzierung und Integration“, „Erhaltungsbereich und Neuerungsbereich“ und „Konstanten und Inkonstanten“ (Sonderegger 1979: 202 ff.) darstellt. Entsprechend wachsen der Beschreibungsanspruch und die Erklärungskomplexität: Wie hängen struktureller und soziostilistischer Sprachwandel bzw. strukturelle und soziostilistische Sprachstabilität in einem sich vertikalisierenden Varietätenspektrum zusammen? Welche internen und externen Faktoren spielen dabei eine Rolle und wie interagieren diese? Welche Rolle könnte intraindividuelle Variation (Schiegg 2022) bei Sprachstabilität und Sprachwandel spielen?
Die nhd. Brücke, die zwischen Gegenwart und (älterer) Geschichte zu schlagen ist, scheint also konstruktionsaufwendig, ja konstruktionsaufwendiger zu sein als jede andere Brücke zwischen historischen Sprachepochen. Die geplante Tagung hat zum Ziel, einen Beitrag zur Konstruktion dieser nhd. grammatischen Brücke zwischen Gegenwart und Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen zu leisten:
- sowohl aus der Sicht der Gegenwartsgrammatik wie auch aus der Sicht älterer historischer Sprachstufen (vorzugsweise des Fnhd.) auf das Nhd. oder eben aus beiden Richtungen,
- sowohl mit empirischem wie auch mit methodischem oder theoretischem Fokus auf das Nhd.,
- mit und ohne Bezug zu unserem Korpus (zum Korpusrelease s. https://annis.germanistik.uni-giessen.de).
Zitierte Literatur
Ágel, Vilmos (2015): Die Umparametrisierung der Grammatik durch Literalisierung. Online- und Offlinesyntax in Gegenwart und Geschichte. In: Eichinger, Ludwig M. (Hg.): Sprachwissenschaft im Fokus. Positionsbestimmungen und Perspektiven. Jahrbuch 2014 des Instituts für Deutsche Sprache. Berlin/München/Boston: de Gruyter, 121–155.
Reichmann, Oskar (1988): Zur Vertikalisierung des Varietätenspektrums in der jüngeren Sprachgeschichte des Deutschen. Unter Mitwirkung v. Christiane Burgi, Martin Kaufhold und Claudia Schäfer. In: Munske, Horst H. / Polenz, Peter von / Reichmann, Oskar / Hildebrandt, Reiner (Hg.): Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Berlin/New York: de Gruyter, 151–180.
Schiegg, Markus (2022): Flexible Schreiber in der Sprachgeschichte. Intraindividuelle Variation in Patientenbriefen (1850–1936). Heidelberg: Winter (Germanistische Bibliothek 75).
Schmidt, Jürgen Erich / Herrgen, Joachim (2011): Sprachdynamik: Eine Einführung in die moderne Regionalsprachenforschung. Berlin: Schmidt (Grundlagen der Germanistik 49).
Sonderegger, Stefan (1979): Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Diachronie des Sprachsystems. Bd. 1: Einführung – Genealogie – Konstanten. Berlin/New York: de Gruyter.
Vorträge
Mechthild Habermann (Erlangen-Nürnberg): Formen der Redewiedergabe in der Texttradition des Prosaromans „Melusine“ (1473/74 bis ca. 1800)
Simon Kasper (Düsseldorf): Varianten in der Relegation. Auf- und Abstiegsdynamiken von Konstruktionen in der variationslinguistischen Vertikale
Jürgen Erich Schmidt (Marburg): Varianten in der Relegation. Raumstrukturen beim Auf- oder Abstieg
Sonja Zeman / Veronika Gacia (Augsburg): Explorationen in GiesKaNe: Grammatik des Neuhochdeutschen zwischen Nähe, Distanz und Narration
Melitta Gillmann (Duisburg-Essen): Da- und wo-Sätze im Spannungsfeld von Nähe und Distanz
Volker Emmrich / Mathilde Hennig / Philipp Meisner (Gießen): Nominale Komplexität zwischen Nähe und Distanz
Elena Smirnova / Fabian Fleißner (Neuchâtel): Funktionsverbgefüge im Neuhochdeutschen: Vorschlag einer Systematisierung aus Sicht der diachronen Entwicklung seit dem Frühneuhochdeutschen
Jörg Bücker (Düsseldorf): Diachron und typologisch zentrale Entwicklungen im adpositionalen Bereich aus Sicht einer Sprachstufengrammatik (nicht nur) des Neuhochdeutschen
Tanja Ackermann / Semra Kizilkaya (Bielefeld): Affiziertheit und Variation in der nominalen Objektmarkierung des Neuhochdeutschen
Dagobert Höllein (Passau/Bonn): Argumentstrukturen im Neuhochdeutschen
Vilmos Ágel / Marcel Linnenkohl / Karolin Schäfer (Kassel): Satzbaupläne im Neuhochdeutschen
Antje Dammel (Münster): (Wie) Interagiert funktionale Schichtung mit Domäne und Konzeption? Eine Exploration in GiesKaNe an wohl und man/ein
Luise Kempf (Bern): Anaphorisches d–selb- als Verlierer der Sprachgeschichte – neue Evidenzen aus dem GiesKaNe-Korpus
Dániel Czicza (Mannheim): sehen + Partizip II: Evidentialität in Distanz
Simon Pickl / Marlene Hartinger (Salzburg): Doppelpartizipial-konstruktionen als niedrigfrequentes Phänomen im Neuhochdeutschen

Referenzkorpora des Deutschen:
Konzepte, Methoden, Perspektiven
Termin und Ort:
27.-29. September 2017, Rauischholzhausen
Zu Recht legt die DFG großen Wert darauf, dass die geförderten Projekte Strategien der Nachhaltigkeit und Interoperabilität verfolgen. In diesem Sinne besteht das Ziel unserer Tagung darin, gleich zu Beginn unseres Langfristvorhabens in einen engen Austausch mit bestehenden Vorhaben zur korpuslinguistischen Erfassung älterer Sprachstufen zu treten. Die Eingeladenen – insbesondere die Vertreter der verschiedenen Referenzkorpusprojekte – möchten wir einerseits darum bitten, den aktuellen Stand ihrer Projekte, deren theoretische Grundlagen und die sich aus letzteren ergebenden methodischen Anforderungen an die Korpusarbeit zu präsentieren. Andererseits würden wir uns über Berichte aus dem ,Alltag der Korpusarbeit‘ freuen: Welche Tools haben sich bewährt, welche Klippen waren zu umschiffen, welche korpusmethodischen Probleme und Lösungen haben sich bei konkreten Fragestellungen herauskristallisiert?
TeilnehmerInnen
Referenzkorpus AlthochdeutschKarin Donhauser, Rosemarie Lühr
Ulrike Demske, Stefanie Dipper
Referenzkorpus Mittelniederdeutsch
Ingrid Schröder, Sarah Ihden
GerManC
Martin Durell
Historical Low German
Anne Breitbarth, Sheila Watts, George Walkden
RIDGES
Anke Lüdeling, Carolin Odebrecht, Thomas Krause
DTA
Alexander Geyken
DeReKo
Marc Kupietz
Syntaktische Grundstrukturen des Neuhochdeutschen
Projektleitung: Mathilde Hennig, Vilmos Ágel
MitarbeiterInnen: Stephanie Lotzow, Volker Emmrich, Monika Henkel, Dagobert Höllein
Hilfskräfte: Nilüfer Cakmak, Philipp Meisner, Laura Sievers, Nina Reichenbach