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Avocado Wars: Kartelle, Kleinbauern und Korruption

uniforum am 7. April 2022

Politische Bildung und praktische Umsetzung – Geographie-Studierende entwickeln Planspiel zum Verständnis von Umweltkonflikten – Erfolgreiche Spielrunde mit Jugendlichen im Wetzlarer Jugendzentrum

Von Dorothea Hamilton und Alyssia Özbeyaz

Avocados sind in den westlichen Ländern beliebter denn je. Der Wasserbedarf für den Anbau ist hoch, Wälder werden abgeholzt, Regionen trocknen aus. Für die einen mit harter Arbeit verbunden, ist der Avocado-Anbau für andere ein lukratives Geschäft. Im Seminar »Ressourcen, Konflikte und Entwicklung« haben Bachelor-Studierende im Geographiestudium unter Leitung von Dr. Dorothea Hamilton ein Planspiel zum tieferen Verständnis von Umweltkonflikten entwickelt. »Avocado-Wars« macht die Umweltkonflikte auf anschauliche Weise erlebbar.

Im Wetzlarer Jugendzentrum spielten Jugendliche das Planspiel durch und lernten – mit Spaß an der Sache – viel über globale Zusammenhänge. Beteiligt an diesem Spieltag war zudem das Jugendbildungswerk der LAG Soziale Brennpunkte Hessen e.V., das primär außerschulische Bildungsformate für sogenannte benachteiligte Jugendliche anbietet und ein solch innovatives Format auch für benachteiligte Zielgruppen im Rahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit für geeignet hält.

»Avocado-Wars« wurde erstmals im Sommersemester 2020 durch die Studierenden erprobt und erhielt nach der ersten praktischen Umsetzung großen Zuspruch. Aus der engagierten Arbeit entwickelte sich der Wunsch, das Spiel auch für nicht-universitäre Zielgruppen umzusetzen. Die Herausforderung bestand nun darin, die Handlungspapiere in eine einfachere Sprache zu übersetzen und die Anweisungen für eine junge Zielgruppe zu kürzen.

Politische Ökologie

Die Studierenden hatten im Seminar zunächst einen besonders brisanten Konflikt mit Umweltbezug ausgewählt und auf Basis der Theorie der »Politischen Ökologie« das Planspiel entworfen. Vor dem Hintergrund aktueller Medienberichte war die Themenwahl rasch auf die Konflikte um den Avocado-Anbau in Zentralmexiko gefallen. Aber auch Wasserprobleme, illegale Landnahmen und die Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppen vor Ort sind mit dem Ausbau des »Super-Foods« verbunden.

Neben der Zusammenstellung und Verschriftlichung der reellen Rahmenbedingungen, Konfliktursachen sowie von Zukunftsszenarien war die Ausarbeitung von Rollenzuschreibungen zentral für die Umsetzung des Planspiels. Die Studierenden wählten fiktive Vertreterinnen und Vertreter von Interessengruppen auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene aus. Basierend auf den theoretischen Erkenntnissen aus dem Seminar verfassten sie Handlungspapiere, in denen aus der Perspektive der jeweiligen Akteurin bzw. des Akteurs der Konflikt, die Probleme und die Zielsetzungen beschrieben wurden.

»Die Besonderheit von Planspielen liegt in der Selbstwirksamkeit der Handelnden, die durch ihre Aktionen den Lauf des Geschehens beeinflussen können. Gleichzeitig werden Machtstrukturen deutlich«, erläutert Seminarleiterin Hamilton. »Wenngleich es sich um ein abstrahiertes Modell handelt, wurde darauf geachtet, bestimmte realitätsnahe Situationen zu erschaffen.« So saßen zum Beispiel die Vertreterinnen und Vertreter internationaler und nationaler Akteure in einem Raum, die lokalen und regionalen Vertreterinnen und Vertreter in einem anderen Raum. Die Kommunikation zwischen den Gruppen war nur mittels Briefen möglich. Dadurch wurde den Teilnehmenden bewusst, wie schwer es sein kann, auf Entwicklungsdynamiken in peripheren Regionen – beispielsweise illegale Landnahmen, Biodiversitätsverlust oder Menschenrechtsverletzungen – einzuwirken und Übergriffe anzuprangern.

Ungleiche Machtverteilung

Die ungleiche Machtverteilung führte auch im Jugendzentrum zu emotionalen und hitzigen Debatten. Fiktive Geschehnisse im Spielverlauf zeugten von der Intensität des Planspiels: die Entführung des Sohns des Wirtschaftsministers durch das Kartell, die Besetzung von Avocado-Plantagen durch Greenpeace, die enge Zusammenarbeit zwischen den Kleinbauern und dem Kartell, die Entwicklung des Gouverneurs zum korrupten Politiker und der gewaltvolle Anschlag auf Mitglieder der Bürgerwehr. Was hier wirkte wie ein Blockbuster, war das Resultat gut vorbereiteter Handlungspapiere, auf deren Basis die Teilnehmenden ihre Entscheidungen trafen.

Das Planspiel werteten alle Beteiligten als Erfolg, zumal nicht nur neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Avocado-Anbau und Gewalt vermittelt, sondern auch »die Machtstränge, die unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten aller Akteure und deren sich teils wandelnde Vertrauenswürdigkeit« aufgezeigt wurden, wie eine Teilnehmerin formulierte. Anhand des Fallbeispiels konnten abstrakte theoretische Überlegungen der Politischen Ökologie anschaulich dargestellt werden. Das Einfühlen in verschiedene Rollen ermöglichte einen Perspektivwechsel und verdeutlichte die Komplexität von Umweltkonflikten.

Erfreulich sind auch die Reaktionen: Einige Teilnehmende hinterfragten in der Abschlussdiskussion eigene Handlungs- und Konsummuster kritisch. Erste Überlegungen zu einer Fortführung des Planspiels schlossen sich an. Die Zusammenarbeit mit dem Wetzlarer Jugendzentrum und dem Jugendbildungswerk der LAG Soziale Brennpunkte Hessen e.V. verdeutlichte somit, welchen Mehrwert Planspiele für die politische Bildungsarbeit mit jungen Menschen bieten, auch um universitäre und kommunale Akteurinnen und Akteure stärker zusammenzuführen. In westlichen Ländern beliebt, aber beim Anbau für die betroffenen Regionen mit vielen Problemen verbunden: die Avocado. Die Frucht steht nun im Fokus eines Planspiels.

 

uniforum 35 (2022) Nr. 1 (Seite 8)