Abstract
Wer in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen möchte und keine medizinische oder kriminologische Indikation vorweisen kann, muss eine Schwangerschaftskonfliktberatung in Anspruch nehmen. Diese Beratung, die somit eine zentrale Position im Komplex des Schwangerschaftsabbruchs einnimmt, wurde bisher weder im gesellschaftlichen Diskurs noch in der Forschung viel beachtet.
Ihr gesetzlicher Auftrag, der in §219 des Strafgesetzbuchs und im Schwangerschaftskonfliktgesetz beschrieben wird, ist nicht eindeutig. Er bewegt sich in Ambivalenzen zwischen dem „Schutz des Ungeborenen“ und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Die Beratung solle zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen, aber ergebnisoffen und nicht bevormundend sein.
Ausgehend von dieser Ambivalenz habe ich mittels leitfadengestützter qualitativer Interviews untersucht, wie die Schwangerschaftskonfliktberaterinnen diesen Auftrag verstehen und in der Praxis umsetzen. Es hat sich gezeigt, dass der gesetzliche Auftrag unterschiedlich interpretiert wurde und durch seine Ambivalenz individuelle Gewichtungen hervorrief. Geprägt von ihren Einstellungen zum Abbruch und dem (vermeintlichen) Konflikt der beratenen Person führen die Beraterinnen die Beratung so durch, wie sie ihrem Verständnis nach am besten für die beratene Person ist. Als Ziel der Beratung wurde von verschiedenen Interviewpartnerinnen die gute Entscheidung genannt. Eine Entscheidung muss jedoch scheinbar für die Beraterinnen nachvollziehbar und mit ihren Werten übereinstimmend sein, um als gut anerkannt zu werden. Eine Entscheidung für einen Abbruch wurde tendenziell als schwerer und negativer eingeschätzt als eine Entscheidung für die Fortsetzung der Schwangerschaft. Mit Foucault (1976) verstehe ich die Beratungspflicht so auch als einen biopolitischen Zugriff auf schwangere Personen, mit der das Denken und Fühlen bezüglich der Schwangerschaft beeinflusst wird. Zusammenfassend ließ sich somit feststellen, dass die Pflichtberatung nicht nur eine staatliche Entmündigung darstellt, sondern auch die Beratungsneutralität nur bedingt gegeben ist.