Promotionsprojekt
Vom Tiroler "Kinderdorf" zur internationalen "Entwicklungshilfe". Kinderhilfe und Gesellschaftsvisionen, 1945-1979
Betreuer*innen: Prof. Dr. Katharina Stornig (JLU Gießen); Prof. Dr. Johannes Paulmann (IEG Mainz)
Das kulturgeschichtliche Dissertationsprojekt beschäftigt sie sich mit internationaler Kinderhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel von Gründungs- und Internationalisierungsprozessen des Vereins SOS-Kinderdorf. Der Fokus liegt dabei auf Argumentationsmustern rund um Begriffe der Kindheit und Familie sowie den daran anknüpfenden Hilfspraktiken.
Das Vereinsnetzwerk SOS-Kinderdorf wurde 1949 unter dem Eindruck der unmittelbaren Nachkriegszeit zur Aufnahme von Waisen im österreichischen Tirol gegründet. Als besonderes Merkmal der Organisation ist unter anderem ihre geschlechtsspezifische Strukturierung hervorzuheben: Kinder wurden von "Berufsmüttern" in eigens gebauten Dörfern betreut, deren Vorsitz ein männlicher "Dorfleiter" innehatte. Damit sollte den Kindern in Abgrenzung zu zeitgenössischen Heimmodellen eine "Familienstruktur" geboten werden. Ab den 1950er Jahren wurde SOS-Kinderdorf zunehmend international tätig und stellt heute ein weltweit aktives Netzwerk dar, das sich als nichtstaatliche, unabhängige und überkonfessionelle Hilfsorganisation für Kinder in Not ausweist.
Das Projekt fragt danach, warum und auf welche Weise sich ‚westliche‘ institutionelle Hilfe für Kinder internationalisierte. Ausgehend von deren lokalen Etablierung soll der Prozess der Internationalisierung auf sich wandelnde Begriffe von Hilfe, Kindheit und Hilfsbedürftigkeit geprüft und an spezifische Interessengruppen geknüpft werden. Das Dissertationsvorhaben kombiniert Analysen auf der Ebene des öffentlichen medialen Diskurses, auf der Ebene organisationsinterner Kommunikation der Mitarbeitenden sowie auf institutionell-struktureller Ebene und zeigt, wie das Konzept von Kinderhilfe durch komplexe Motiv- und Interessenlagen von Staaten, Organisationen und Personen strukturiert wurde. Kinderhilfe ist demzufolge als historisches Phänomen in seinem kulturellen, sozialen und politischen Kontext zu untersuchen. Essentiell sind hierbei die Identifizierung und Analyse von vermeintlich universell gültigen Vorstellungen von Familie, Kindheit und Fürsorge in Narrativen und Praktiken.