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Die 3R-Prinzipien und die Güterabwägung in Kontext von Ethik, Recht und Praxis

  • Die vom Zoologen William M.S. Russel und Mikrobiologen Rex L. Burch im Jahre 1959 eingeführten 3R-Prinzipien sind Common Sense in der Tierversuchsforschung geworden. Sie sind in verschiedenen Gesetzgebungen verankert, werden in ethischen Richtlinien hervorgehoben und an Universitäten an Kompetenzzentren institutionalisiert. Interessanterweise wurden die 3R vor den Anfängen der akademischen Tierethik in den siebziger Jahren publiziert, zu einer Zeit wo noch niemand über die Five Freedoms, Menschenrechte für Menschenaffen oder die Würde von Tieren diskutierte.

    Trotz den unbestrittenen Erfolgen der 3R darf sechzig Jahre nach deren Veröffentlichung gefragt werden, inwiefern die 3R noch zeitgemäß sind. Wie wurden die 3R in den letzten sechzig Jahren weiterentwickelt, welche alternativen Ansätze können ihnen entgegengesetzt werden? In den Kontext verschiedener ethischen Richtlinien und Positionspapieren wissenschaftlicher Verbände gesetzt, wird gezeigt, dass die 3R Prinzipien für unterschiedliche moralphilosophische Positionen adaptiert werden können und verschiedene Rollen bei der (moralischen) Zulässigkeitsprüfung von Tierversuchen einnehmen. So können die 3R Prinzipen z.B. als alleiniger goldener Standard angesehen, in den Prozess der Güterabwägung eingebunden oder durch Belastungsobergrenzen eingeschränkt werden. Da sich diese Positionen zum Teil fundamental entgegenstehen, was die moralische Berücksichtigung von Tieren betrifft, fragt sich abschliessend, welche Argumente für oder gegen die jeweiligen Positionen sprechen.

     

    Im Kontext des behördlichen Genehmigungsverfahrens stellt die Überprüfung der Einhaltung der 3R-Prinzipien die Voraussetzung für die Prüfung auf ethische Vertretbarkeit dar. Auf das allgemeine Rechtsprinzip der Angemessenheit, entspricht die Prüfung auf Einhaltung der 3R der Sicherung des Gebots der “Unerlässlichkeit”, das eine angemessene Maßnahme erfüllen soll. Erst wenn Unerlässlichkeit gegeben ist, kann über die Angemessenheit im engeren Sinne entscheiden werden – was im Genehmigungsverfahren von Tierversuchsvorhaben der Prüfung auf ethische Vertretbarkeit entspricht.  Daraus folgt, dass eine erlässliche Maßnahme nicht ethisch vertretbar sein kann, aber eben auch, dass eine Maßnahme nicht allein schon aufgrund ihrer Unerlässlichkeit ethisch vertretbar ist.

     

    Solche logischen Klärungen sind taugliche Hilfsmittel, die eine Beurteilung im Alltag der Behörde erleichtern. Doch sorgt die Prüfung auf “ethische Vertretbarkeit” für tiefgehendere Zweifel: Wie weit reicht die Verantwortung der Behörde? Welches Gewicht hat diese Entscheidung – gerade im Blick auf den öffentlichen Auftrag? Und wie können BehördenvertreterInnen sich begründet abgrenzen? Immanuel Kant hat für solche Probleme eine Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Vernunft vorgeschlagen. Der Gewinn dieser Unterscheidung für die Prüfung auf ethische Vertretbarkeit von Tierversuchsvorhaben steht zur Diskussion.

     

    Die 3R bilden zusammen mit pathozentrischer und konsequentialistischer Moraltheorie den normativen Rahmen der Richtlinie 2010/63/EU, welche Tierversuche in EU-Mitgliedsstaaten reguliert. Zentraler Bestandteil der Richtlinie ist die Schaden-Nutzen-Analyse, in welcher der potentielle Nutzen gegen Schmerzen und Leiden der Versuchstiere unter „Berücksichtigung ethischer Überlegungen“ evaluiert werden soll. Was genau „Schäden“ sind und wie diese zu beurteilen sind darüber wurde schon viel geschrieben und ist vieles bekannt. Die prospektive Beurteilung von „Nutzen“ hingegen stellt Antragsteller wie Behördenvertreter vor vergleichsweise weit größere Probleme. Es ist zum einen unklar was alles als legitimer „Nutzen“ bewertet werden soll. Zum anderen herrscht Uneinigkeit wie verschiedene Formen von Nutzen, z.B. epistemischer und praktischer Nutzen relativ gewichtet werden sollen. Zudem wird immer noch diskutiert in wie weit die zeitliche Nähe und Realisierungswahrscheinlichkeit von erwartetem Nutzen mit in Betracht gezogen werden sollen. In diesem Zusammenhang sollen logische Schwächen und Grenzen der Reichweite einer prospektiven Beurteilung von Nutzen diskutiert und Vorschläge für die Überwindung dieser Limitierungen besprochen werden.

  • Leitung: MMag. Kerstin Weich
  • Für: interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
  • Wann: 05.11.2019
  • Wo: 3R-Zentrum JLU Gießen, Campus Veterinärmedizin JLU Gießen
  • Programm
  • Teilnehmerzahl: 30
  • Anmeldung: per