Newsletter 4/2022
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Editorial
Liebe Freundinnen und Freunde des ZMI,
liebe ZMI-Aktive,
die Vorlesungszeit des Jahres 2022 geht zu Ende, Weihnachten naht. Es war ein schwieriges, aber dennoch in vielem auch ein schönes Jahr.
Neben der Besorgnis und Anteilnahme, die der Angriffskrieg in der Ukraine und die Proteste im Iran hervorrufen, wandte das ZMI seine Aufmerksamkeit auch anderen gewaltvollen und freiheitsbeschränkenden Konflikten zu: Die Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch war eines der zentralen Themen der Vorwahlen in den USA und damit auch der ZMI-Veranstaltung ”Life after Dobbs: How the Supreme Court Is Influencing the Midterms and Cultural Politics in America and Germany”. Erstmals wieder in Präsenz fand die Diskussion in der – zugegebenermaßen etwas unterkühlten – Universitätsaula statt. Mit der Online-Reihe „‘Smarte‘ Gewalt“ wurde der Blick wiederum auf Gewaltphänomene im privaten und häuslichen Leben gerichtet. Sie nehmen mit der zunehmenden Technologisierung und Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens zu – wie etwa Cyberstalking.
Schön war, dass wir uns an der Universität wieder viel häufiger persönlich begegnen und austauschen konnten. Das ZMI konnte seine Weihnachtsfeier in kleiner Runde wieder in Präsenz veranstalten. Unter den Wichtelgeschenken gab es neben säkularen Christbaumkugeln und Weihnachtsbüchern eine merkliche Tendenz zu warmen Kleidungsstücken. Nicht zuletzt dank der Decken aus dem Uni-Shop sowie Kaminfeuer aus dem Beamer war bei sinkenden Temperaturen glücklicherweise steigende Stimmung zu verzeichnen.
Wir freuen uns bereits auf die vielfältigen Aktivitäten im kommenden Jahr: die Vortragsreihe „Infrastrukturen“, den zweitägigen Workshop „Social Media in der Wissenschaftskommunikation“ sowie das Erscheinen des Interaktiva-Bandes „Bilder der Pandemie“ – um nur einige zu nennen.
Das ZMI schließt nun erstmal seine Pforten, um sie im Januar in aller Frische wieder zu öffnen.
Wir wünschen Ihnen bis dahin einen erholsamen und winterlichen Jahreswechsel – und für 2023 uns allen vor allem: ein friedlicheres Jahr.
Herzliche Grüße
Ihre
Jutta Hergenhan
Inhalt ZMI-NEWSLETTER 4/2022
Andreas Langenohl, Kornelia Hahn (Hg.): „Öffentliches Leben“: Gesellschaftsdiagnose Covid-19
Vortragsreihe der Sektion „Educational Linguistics“ im Januar 2023
„StaMM“-Ringvorlesung: „Grundwissen Migration“
„Stigma Hartz IV?“: Gerechtigkeitsvorstellungen von erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehern
Ankündigung Reihe „Social Media und Wissenschaftskommunikation“
Aktivitäten und Events der letzten Monate
Online-Workshop-Reihe „‚Smarte‘ Gewalt“ am 22. und 29. November 2022
Gießener Netzwerktag für Deutsch als Zweitsprache (GiDaZ)
„Stimmen aus der Praxis“-Reihe mit Frederik von Castell, Maximilian von Lachner
Lesung und Ausstellung „Äquatorialguineische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Spanien“
Neues aus dem DaF-/DaZ-Bereich
Eröffnungsvortrag von Tamara Zeyer auf DaF-Tag in Freiburg am 12. November 2022
Germanistische Begegnungstagung in Südostasien vom 12. bis 15. November 2022
Neues aus der Georg Büchner-Seniorprofessur
Presse-Echo zu Aufführungen in Strasbourg, Rom, Paris, Frankfurt
Interviews und Kritiken zur gerade erschienenen „A House of Call“-CD von Heiner Goebbels
Freiheit in der Forschung: Elif Özmen im Gespräch bei „Wissenschaft im Dialog“
News
Andreas Langenohl, Kornelia Hahn (Hg.): „Öffentliches Leben“: Gesellschaftsdiagnose Covid-19
plötzlich gravierende Veränderungen des sozialen Lebens, die die aktuelle Situation als tragisches Krisenexperiment fungieren lassen – ein Experiment, das sich besonders auch im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Öffentlichkeit und die soziologische Beobachtung empirischer Öffentlichkeiten zeigt. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks öffentlicher Kommunikation hat die Covid-19-Pandemie global zu fast vergleichbaren gesellschaftspolitischen Reaktionen geführt: Das öffentliche Leben ist innerhalb kürzester Zeit und flächendeckend wie nie zuvor eingeschränkt worden. Diese Einschränkung wird als fraglose Gegenmaßnahme kommuniziert, die sich aus der Art der pandemischen Bedrohung rational ableitet. Aus einer öffentlichkeitssoziologischen Sicht manifestiert sich in dieser Reaktion eine Gesellschaftsdiagnose mit Universalismusanspruch, die indes ambivalent bleibt: In Zeiten von Epidemien gilt öffentliches Leben als ebenso gefährlich wie gefährdet. Der Sammelband „'Öffentliches Leben': Gesellschaftsdiagnose Covid-19“ wurde 2022 von Prof. Kornelia Hahn und Prof. Andreas Langenohl herausgegeben.
In dem Sammelband erscheint auch ein Beitrag von Prof. Nicole Zillien und Nico Wettmann mit dem Titel „Zum experimentellen Denkstil der Corona-Gesellschaft“, in dem sie am empirischen Beispiel der Pandemiesituation der Frage nachgehen, wie sich vor dem Hintergrund eines gesellschaftlich-politischen Entscheidungs- und Handlungsdrucks der öffentliche Umgang mit einem qua Definition konflikthaften und stets vorläufigen wissenschaftlichen Wissen gestaltet.
Kornelia Hahn, Andreas Langenohl (Hg.): „Öffentliches Leben“: Gesellschaftsdiagnose Covid-19. Wiesbaden: Springer, 2022. Reihe: Medienkultur im digitalen Zeitalter. 259 S., Print: 59,99 Euro
ISBN 978-3-658-37439-6
E-Book: 978-3-658-37440-2
Vortragsreihe der Sektion „Educational Linguistics“ im Januar 2023
Im Januar 2023 findet eine Vortragsreihe der ZMI-Sektion „Educational Linguistics“ zu aktuellen Themen der DaF-Forschung statt. Die drei Vorträge beleuchten das Potenzial konversationsanalytischer Ansätze für die L2-Erwerbsforschung, aktuelle Perspektiven auf den berufsbezogenen Deutschunterricht sowie neueste Entwicklungen rund um virtuelle Lernorte für DaF-Lerner*innen. Die Vortragsreihe wird von Dr. Milica Lazovic ausgerichtet, die aktuell die Professur für Deutsch als Fremdsprache an der JLU Gießen vertritt. Alle Vorträge finden hybrid statt.
Den Anfang macht am Dienstag, den 10. Januar 2023, Dr. Sam Schirm (Universität Bielefeld) zu „L2-Spracherwerb in der Interaktion untersuchen: Konversationsanalytische Perspektive“. Die Veranstaltung findet von 10:15 bis 11:45 Uhr in Raum B210 (Philosophikum I, Otto-Behaghel-Straße 10B, Gießen) statt.
Am Dienstag, den 17. Januar 2023, spricht Dr. Tamara Zeyer (Universität Gießen) zu „Berufsbezogener Deutschunterricht: Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven. Die Veranstaltung findet von 16 bis 17:30 Uhr in Raum E005 (Philosophikum I, Otto-Behaghel-Straße 10B, Gießen) statt und wird digital übertragen (Zugangscode: 410288).
Am Dienstag, den 31. Januar 2023, folgt der Vortrag von Dr. Almut Ketzer-Nöltge (Universität Leipzig) zu „Virtuelle Lernorte für Deutsch als Fremdsprache: Potentiale und Praxisbeispiele“. Die Veranstaltung findet von 16 bis 17:30 Uhr in Raum E005 (Philosophikum I, Otto-Behaghel-Straße 10B, Gießen) statt und wird digital übertragen (Zugangscode: 410288).
„Infrastrukturen“: Sozial- und geisteswissenschaftliche Vortragsreihe der Sektion „Macht – Medium – Gesellschaft“
Den Anfang machte am Mittwoch, den 23. November 2022, ein soziologischer Online-Vortrag unter dem Titel „Signal und Rauschen – Informationsinfrastrukturen zwischen Klima und Kapital“: Dr. Andreas Folkers (JLU, Institut für Soziologie/ Institute for Advanced Study, Princeton) widmete sich Informationsinfrastrukturen und analysierte, wie sich die Finanzwelt über Klimarisiken informiert. Im Vortrag wurde der Informationsmetabolismus nachgezeichnet, durch den Klimadaten in Finanzinformationen, Risikokennzahlen und schließlich in Preissignale umgewandelt werden, wobei kritisch hinterfragt wurde, was bei dieser Übersetzung von Umwelt- in Finanzinformationen verloren geht.
Im Januar 2023 wird die Reihe fortgesetzt mit einem Vortrag von Prof. Torsten Meyer (Professur für Kunst und ihre Didaktik mit dem Schwerpunkt aktuelle Medienkultur an der Universität zu Köln) am Dienstag, den 17. Januar 2022, um 18:15 Uhr (Raum H08a, Philosophikum II, Karl-Glöckner-Straße 21H & online über Webex) zu „Imaginäre Aktanten – Quasi-Subjekte in algorithmischen Medienkulturen“. Vor dem Hintergrund von Jacques Lacans Modell des psychischen Apparates als Verknotung des Realen mit dem Symbolischen und dem Imaginären und Michel Serres' Konzeption der Quasi-Objekte lassen sich einige Mischwesen, die die algorithmische Medienkultur in Form von Suchmaschinen, Werbealgorithmen, Buchempfehlungen, Partnerbörsen und anderen künstlichen Intelligenzen produziert, als Quasi-Subjekte beschreiben. Diese Quasi-Subjekte bevölkern die sozialen und kommunikativen Umwelten der algorithmischen Medienkulturen und sorgen dafür, dass sich das Symbolische vom Imaginären über das Reale schiebt und damit die tendenziell neurotisch geprägte existentielle Struktur der Moderne überlagert wird durch eine tendenziell psychotische Stimmung des 21. Jahrhunderts.
Prof. Kornelia Hahn (Professur für Soziologie an der Paris Lodron Universität Salzburg) spricht am Donnerstag, den 9. Februar 2022, um 18:15 Uhr (Raumangabe folgt) zu „Soziale Digitalisierung. Wie gesellschaftliche Transformationen die Digitaltechnik beförderten“.
Veranstaltungsankündigungen
„Vom Projektseminar zur Ausstellung“ – Führungen zur Kabinettausstellung „Kunst im und nach dem NS: Zum Umgang mit Arbeiten von Walter Kröll (1911‒1976)“
Die Ausstellung „Kunst im und nach dem NS: Zum Umgang mit Arbeiten von Walter Kröll (1911‒1976)“ entstand in Zusammenarbeit mit einem Projektseminar des Kunsthistorischen Instituts der JLU Gießen. Wie man von der Feldforschung zu einer fertigen Ausstellung kommt, erklären die Studentinnen Marie-Louise Schreiner und Anna Lena Fischer.
Die Veranstaltungsreihe „Kunstpause“ bietet Berufstätigen und allen Interessierten mit Kurzführungen einen schnellen Kunstgenuss und findet jeden letzten Mittwoch im Monat von 12:30 Uhr bis 12:50 Uhr im Alten Schloss statt.
Die Führungen sind kostenlos.
22. Januar 2023 Große Führung um 11 Uhr (ca. 60 Minuten)
25. Januar 2023 „Kunstpause“ um 12:30 - 12:50 Uhr
Ort: Oberhessisches Museum, Altes Schloss, Brandplatz 2
„StaMM“-Ringvorlesung: „Grundwissen Migration“
Die Wissenschaftliche Geschäftsführerin des ZMI, Dr. Jutta Hergenhan, hält im Rahmen der Ringvorlesung „Grundwissen Migration“ des Interdisziplinären Studienangebots Migration und Menschenrechte „StaMM“ der JLU am 23. Januar 2023 einen Vortrag zum Thema „Migration und Geschlecht“. Es geht um geschlechtsspezifische Gründe, Erfahrungen und Verläufe von Migration sowie um strukturelle Diskriminierung und Ausblendungen in Diskursen um Migration und Geschlecht. Der Vortrag findet in Präsenz im Zoologischen Hörsaal statt. Hier finden Sie das Programm der StaMM-Ringvorlesung.
„Stigma Hartz IV?“: Gerechtigkeitsvorstellungen von erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehern
Als die Bundesregierung im Herbst 2022 ihre Pläne zum Bürgergeld im Bundestag zur Abstimmung vorlegte, kritisierten die Konservativen den Gesetzesentwurf scharf und blockierten ihn im Bundesrat. In der öffentlichen Debatte suggerierte Friedrich Merz, dass mit Einführung des Bürgergeldes Menschen mit einer regulären Beschäftigung gegenüber den Bezieher*innen von Transferleistungen benachteiligt würden. Der Streit stellt nicht nur einen Schlagabtausch zwischen Ampel-Regierung und konservativer Opposition dar, sondern reaktivierte erneut die Gerechtigkeitsvorstellungen, mit denen die Einführung des Arbeitslosengeld II – landläufig bekannt als Hartz-IV – einmal begründet wurde.
Diese Gerechtigkeitsvorstellungen finden sich nicht nur bei Regierung und Opposition, sondern auch in der gesamten Bevölkerung. Doch wie blicken Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II selbst auf diese Fragen nach Gerechtigkeit?
Im Rahmen der Veranstaltung am Dienstag, den 31. Januar 2023 werden ab 18 Uhr Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu Gerechtigkeitsvorstellungen von Arbeitslosengeld II Bezieher*innen (GEVOAB) in der Alten Universitätsbibliothek (Raum 206, Bismarckstr. 37, 35390 Gießen) vorgestellt. Das vom Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geförderte Projekt wurde am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen durchgeführt.
„Politik und Geschlecht in der Populärkultur“: Vortrag von Jutta Hergenhan über fiktive Staatspräsidentinnen in französischen TV-Serien
Im Rahmen der Ringvorlesung des Instituts für Politikwissenschaft der JLU spricht Dr. Jutta Hergenhan am 1. Februar 2023 zu „Politik und Geschlecht in der Populärkultur“ am Beispiel von fiktiven Staatspräsidentinnen in französischen TV-Serien. Anhand der beiden Serien L’État de Grace und Baron noir wird gefragt, wie die Ausübung des höchsten Staatsamts durch eine Frau in einem Staat imaginiert wird, in dem – wie in Frankreich – das Präsidentschaftsamt mit weitreichenden Regierungsbefugnissen ausgestattet ist. Mit welchen filmischen Mitteln werden Geschlechterdiskurse geführt und politisch-institutionelle Kontroversen verhandelt? Welche Verbindungslinien zu historischen Konstellationen von Politik und Geschlecht treten zutage? Die Veranstaltung findet online statt. Der Link ist bei Lukas Reissner erhältlich.
Ankündigung Reihe „Social Media und Wissenschaftskommunikation“
Zweitägiger Online-Workshop „Social Media in der Wissenschaft“ für Promovierende und Postdocs an der JLU
Die zweitägige Veranstaltung mit Vorträgen, praktischen Workshops und abschließender Podiumsdiskussion mit dem Titel „Social Media in der Wissenschaft“ wird von ZMI (Dr. Jutta Hergenhan), GCSC (Benjamin Roers), GGS (Dr. Kerstin Lundström) und PCMO (Dr. Diana Hitzke) gemeinsam organisiert. Sie findet am 8. und 9. Mai 2023 statt. Verschiedene Vorträge sollen insbesondere Doktorand*innen und Postdocs Impulse für den praktischen Umgang mit Social Media während der Qualifikationsphase geben. Zudem werden wissenschaftliche Perspektiven der Social-Media-Kommunikation diskutiert.
Der einleitende Vortrag von Prof. Hannah Schmid-Petri (Lehrstuhl Wissenschaftskommunikation, Universität Passau) am 8. Mai 2023 befasst sich mit wissenschaftlichen Perspektiven auf Social Media. Im darauffolgenden Workshop zu cross-medialer Wissenschaftskommunikation mit Laura Baumgarten („Frau Abgeordnete“) und mit Jasmin Lörchner („HerStory“) geht es darum, wie Wissenschaftler*innen eine Kommunikationsstrategie für ihr eigenes Projekt finden können.
Der zweite Tag (9. Mai 2023) beginnt mit einem Impuls zur Wissenschaftskommunikation an der JLU Gießen von Dr. Eva Diehl und Dr. Anne-Kathrin Weber. Den anschließenden Workshop mit dem Titel „From Twitter to Mastodon – Microblogging for Young Researchers“ leitet Dr. Christian Nawroth. Er richtet den Fokus auf den Gebrauch von Twitter für Nachwuchswissenschaftler*innen und diskutiert auch Alternativen. Auf der abschließenden Podiumsdiskussion sprechen u.a. Prof. Judith Ackermann (Forschungsprofessur Soziale Medien und Performance in der Sozialen Arbeit, FH Potsdam) und Dr. Solvejg Nitzke (Literatur- und Kulturwissenschaft, TU Dresden). Die Diskussion wird von Dr. Jutta Hergenhan (ZMI) moderiert.
Weitere Informationen werden im kommenden ZMI-Newsletter bekannt gegeben.
Aktivitäten und Events der letzten Monate
„Von der Notwendigkeit und Schwierigkeit feministisch zu arbeiten“: Vortrag von Greta Olson auf dem femme.festival Gießen
Am 23. September 2022 hielt Prof. Greta Olson einen Vortrag mit dem Titel „Von der Schwierigkeit und Notwendigkeit feministisch zu arbeiten“ für das femme.festival Gießen. Fazit des Vortrags war, dass der Weißzentrismus und Mittelschichtszentrismus von dominanten Formen des Feminismus anerkannt und kritisch reflektiert werden muss, ohne jedoch diese berechtigen Kritikpunkte als Zickenkrieg gegen Clichébilder verschiedener Positionen darzustellen. Als Antwort auf eine Frage wurde auf die Notwendigkeit einer Öffnung aktivistischer Räume für mehrfachmarginalisierte Menschen betont.
Das Vortragshonorar von 250 Euro wurde an Wildwasser e.V. Gießen gespendet. Wildwasser e.V. ist eine Beratungsstelle, die von (sexualisierter) Gewalt betroffenen Menschen Unterstützung bietet und auch Anbieter für Fortbildungen und Selbsthilfegruppen zu diesem Thema ist. Das femme.festival entstand 2019 aus dem feministischen Stammtisch Femme*tisch in Pit‘s Pinte. Dort kam die Idee für ein intersektionales feministisches Festival auf, welches als Plattform für FLINTA* dienen soll, um ihre Kunst und Politik zu teilen. Dieses Jahr fanden in diesem Kontext neben einer Ausstellung zu „Feministische Wunderkammer“ diverse Workshops statt, unter anderem zum Umgang mit Catcalling oder konsensuellem Flirten. Zudem gab es einen Vortrag von Kristina Hänel über ihre Erfahrungen als Abtreibungsärztin.
”Naming and Resisting Anti-Feminist and Anti-LGBTQIA Narratives and Tropes: Philology as Political Practice”: Introductory Keynote by Greta Olson for the Annual Conference of the Austrian Association for American Studies
On October 21, 2022, Prof. Greta Olson held the introductory keynote for the 49th Annual Conference of the Austrian Association for American Studies (AAAS) titled ”Narrative, Environment, Social Justice” in Salzburg. In her keynote, ”Naming and Resisting Anti-Feminist and Anti-LGBTQIA Narratives and Tropes: Philology as Political Practice,” she talked about the structural setbacks of the COVID-19 pandemic and their impact on women* and LGBTQIA+ persons, as well as BIPoC. Among other points that she made, ”Corona has queered us all” stands out. Quoting Mick B. Brewer, she argued that in order to survive the pandemic, people had to adapt techniques of mediated connectivity that queer people have used for decades.
Olson also went on to talk about dominant white feminism(s), which exclude minorities, trans women and feminine identifying non-binary persons. She talked about male-centeredness and erasure of lesbianism in Pride and then went on to mention efforts to escape the kingdom of patriarchal femininity, one example being the switch from ’woman’ to ’womxn’, which includes trans women, feminine-identifying non-binary people as well as cisgender women.
Midterms-Event with Greta Olson, Laura Borchert and Michaela Dudley: ”Life after Dobbs: How the Supreme Court Is Influencing the Midterms and Cultural Politics in America and Germany” on November 7, 2022
The pre-midterm event ”Life after Dobbs: How the Supreme Court Is Influencing the Midterms and Cultural Politics in America and Germany” was held by the section ”Media and Gender” of the Center for Media and Interactivity (ZMI) on November 7, 2022. The ZMI, which celebrated its 20th anniversary last year, has a tradition of observing U.S. politics and held multiple events, for example the U.S. Election Night in 2016 or the for the last midterms in 2018, titled ”Voting for Trump. What do the U.S. midterm elections mean for Trump and us?”. During this informative event about the U.S. midterms, Dr. Michaela Dudley, a Black trans woman and activist from the States, talked about the life-changing impact that the Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization, the landmark decision banning abortion nationwide that overrode the 1973 decision Roe v. Wade, had on all uterus-having persons in America. Prof. Greta Olson introduced the audience to Dobbs v. Jackson and the way the American legal and political system works, while Laura Borchert, who wrote her dissertation about how the American legal system treats queer people, talked about how Dobbs and the Supreme Court’s politics influence minority rights in the U.S.
Right at the beginning, Dudley underlined the importance and impact that anti-democratic decisions like that can and will have on Germany and worldwide. She then went on to talk about her childhood during the 1960s as a queer Black person, and expertly compared those events to political realities now, for example the turning away of voter registrants from ballots through various means. Dudley also stressed the importance of activists in encroachingly anti-democratic times like these – two of her quotes most applicable here are ”Don’t give up” and ”These people are on the streets for me,” the latter of which is what she thought in her youth when she witnessed the events of the Stonewall Riot, where people rioted against queerphobic laws. She also quoted Angela Davis: ”Freedom is a continuous battle.”
”Life after Dobbs” combined academic and activist spaces and the author of this text thinks it more than fitting that a person like Michaela Dudley, who represents both of these things, was given the microphone to offer a personal and professional analysis of the midterms. Her intersectional perspective as a Black trans woman, coming from multiple marginalized communities, provided a refreshing and important look on the political climate in the U.S. The activist energy with which she spoke showed that it is more than her right to make and take the space she deserves – especially because, as she said, people tend to look for ’mild’ persons (read: most fitting to the white or straight gaze) to represent an entire community.
Online-Workshop-Reihe „‚Smarte‘ Gewalt“ am 22. und 29. November 2022
Am Dienstag, den 22. November 2022, startete die Online-Workshop-Reihe „‘Smarte‘ Gewalt“. In ihrem Einführungsvortrag gab Prof. Nivedita Prasad (Alice Salomon Hochschule Berlin) einen Überblick über Formen und Verbreitung von digitaler Gewalt, in dem sie zunächst über die verschiedenen Definitionen sprach. Andere Begriffe umfassen beispielsweise auf Informations- und Kommunikationstechnik gestützte Gewalt, Cyberstalking, digitale Gewalt im sozialen Nahraum oder den Begriff „Bedrohung, Stalking, Nötigung begangen mit ‚Tatmittel Internet‘“, welcher in der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes verwendet wird. Prasad unterstrich, dass digitale Gewalt nicht getrennt von analoger Gewalt funktioniere, sondern vielmehr eine Ergänzung oder Verstärkung von Gewaltverhältnissen und -dynamiken darstellt. Häufig werde im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt digitale Gewalt außen vorgelassen, oder sie werde auf psychische Gewalt reduziert. Doch es gäbe immer wieder Vorfälle, in denen digitale Gewalt zu physischer und/ oder sexueller Gewalt geführt habe. Der Unterschied zu dem Begriff Hate Speech sei, dass es sich hierbei um einen Angriff gegen (meist öffentliche) Personen, Gruppen oder Haltungen handle, mit dem Ziel, Deutungshoheit über gesellschaftlich umkämpfte Themen (wie Feminismus oder Schwangerschaftsabbrüche) zu erlangen. In vielen Fällen von Hate Speech kennen sich angreifende und betroffene Personen im analogen Leben nicht. Dahingegen geht es bei digitaler Gewalt im sozialen Nahraum vor allem um Angriffe gegen Frauen in Beziehungen, nach Beziehungen oder wenn Frauen ein Beziehungsbegehren ablehnten. Aus Tätersicht kann es hierbei auch darum gehen, eine Trennung zu verhindern oder aber sich für eine Trennung zu „rächen“. Neben der Überwachung mit Hilfe von Smartphones oder Smart Home-Geräten nennt Prasad als weitere Formen digitaler Gewalt im sozialen Nahfeld das sogenannte Doxing, bei dem es sich um das Veröffentlichen von Kontaktdaten handelt; die bewusste Verbreitung von Gerüchten; Deepfaking, wobei Gesichter von Personen in pornografischen Darstellungen eingefügt werden; Hacken von Konten; die öffentliche Aufforderung, Personen zu schaden; oder Cyberstalking. Viele Besonderheiten des Internets, wie etwa die vermeintliche Anonymität oder dass Nachrichten schnell, kostenlos und unabhängig vom Standtort versendbar sind, bergen Gefahren, die von Tätern ausgenutzt werden können. In der heutigen Zeit gäbe es quasi kein Entrinnen außer absoluter Internetabstinenz – was jedoch kein ernsthafter Vorschlag zur Prävention digitaler Gewalt sein könne.
Abschließend hielt Prasad fest, dass es wichtig sei, digitale Gewalt als wirkmächtig anzusehen und die damit verbundenen Folgen zu beachten. Jedoch sei die rechtliche Situation im Gegensatz zu analoger Gewalt oft unklar. Auch stünden spezifische Unterstützungsstrukturen zu digitaler Gewalt noch am Anfang.
Mit einem Bericht aus der Praxis knüpfte Angela Wagner (Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt) an den Einführungsvortrag von Nivedita Prasad an. Die Beratungsstellen bieten umfassende Beratung und Hilfe in akuten Krisen und werden laut Wagner „von Frauen und Mädchen aus allen Schichten und Kulturen frequentiert“. Ein Leitgedanke der Arbeit der Beratungsstelle sei die Stärkung des Rechtsbewusstseins von Frauen, sowie das Herstellen von Schutz und sicheren Lebensverhältnissen. Einschließlich des Jahres 2021 hat die Beratungsstelle 370 Fälle schwerer digitaler Gewalt dokumentiert. Leichtere Fälle digitaler Gewalt würden in der Beratungsstelle eher selten thematisiert, was auch daran liege, dass ein Bewusstsein über die Strafbarkeit oft fehle. Ziel der Beratung ist es die verschiedenen Ebenen der Angriffe zu identifizieren, die Folgen zu benennen und ein Vorgehen zu skizzieren. Deswegen gehe es auch darum, Betroffenen zu vermitteln, dass digitale Gewalt zeitnah beendet werden kann, wenn frühzeitig und gezielt dagegen vorgegangen wird. Darauf zu hoffen, dass der Täter das Interesse an der Bedrohung verlieren würde, reiche leider nicht. Es bestünden jedoch gute Chancen Aufnahmen löschen zu lassen, ihre Verbreitung einzudämmen und Täter zur Verantwortung zu ziehen, wenn zeitnah gehandelt werde.
Beim zweiten Teil der Workshop-Reihe, am Dienstag, den 29. November 2022, sprachen Chris Köver (netzpolitik.org, Berlin) und Tim Herrscher (WEISSER RING e.V., Mainz). Chris Köver widmete sich in ihrem Vortrag dem Phänomen Cyberstalking, welches sie als „beharrliche Nachstellung, Belästigung und Verfolgung einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg, die mit Hilfe internetfähiger Medien und Geräte geschieht“ definiert. In Anknüpfung an Nivedita Prasad unterstrich Köver, dass Stalking, insbesondere im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt, keineswegs neu sei, sondern dass sich im digitalen Raum vielmehr alte Handlungsweisen mit neuen Mitteln fortsetzten. Digitale Gewalt bleibe dabei oftmals nicht im digitalen Raum, sondern verlagere sich sehr schnell in die analoge Welt, indem zum Beispiel ungewollte Bestellungen an die persönliche Adresse des Opfers gesendet werden.
Köver zeigte drei Wege auf, mit denen Personen über das Smartphone Stalking betreiben: Stalkerware, Zugang zu Accounts (Google, Facebook, ICloud usw.), sowie Legale Dual-Use-Apps. Stalkerware sind Spionage-Apps, die auf dem Handy installiert werden und der überwachenden Person ermöglichen, alles auf der Tastatur mitzulesen oder Kamera und Mikrofon zu aktivieren. Sogenannte legale Dual-Use Apps, in denen Nutzer*innen freiwillig persönliche Daten teilen (z.B. Find my Phone, Parental Monitoring etc.), können ebenfalls ein Einfallstor für den Missbrauch durch Täter*innen sein. Häufig unterschätzt werden hingegen vermeintlich „banale Wege“, wie im Einverständnis geteilte Passwörter, der Zugang zu Accounts, sowie das freiwillige Teilen von Daten. Köver hob hervor, dass die „Technik im Überwachungskapitalismus“ sowie die geschlechtsspezifische „Sozialisierung“, in denen FLINTA Personen der Zugang zum Erwerb technischer Kompetenzen noch immer häufig erschwert werde, in diesem Bereich „gegen uns arbeitet“. Daher sei es langfristig wichtig, Medienkompetenz und „digitale Mündigkeit“, vor allem für vulnerable Gruppen zu fördern, um sich gegen digitale Gewalt „verteidigen zu können“.
Im Anschluss stellte Tim Herrscher die NoStalk App der Hilfsorganisation Weisser Ring e.V. vor. Mit Hilfe der 2018 entwickelten Tagebuch-App lassen sich Stalking-Vorfälle per Foto-, Video-, sowie Sprachaufnahmen chronologisch dokumentieren und bei Polizei sowie vor Gericht, als Beweise anbringen. Die App soll Betroffenen dabei helfen, selbstbestimmt und aktiv gegen Stalking vorzugehen. So sollen langfristige Stalking-Folgen für die Betroffenen (wie z.B. Angst, Scham, Verdrängung, u.a.) vermieden und die strafrechtliche Verfolgung der Taten ermöglicht werden.
An die Vorträge schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die einige Fragen aufwarf. So wurde beispielsweise gefragt, inwieweit die Verlagerung von Gewalt in den digitalen Raum mit der Herausbildung neuer Täter*innen-Profile einhergeht. Zudem fanden rechtliche Aspekte digitaler Gewalt in der Workshop-Reihe bisher wenig Beachtung. Diese würde man gerne, so die Veranstalter*innen, in einer Fortsetzung der Workshop-Reihe aufgreifen. Insgesamt gelang es der Reihe, zahlreiche interessante Einblicke in das Thema zu geben und Praxis und Theorie miteinander in einen Austausch zu bringen.
International Conference ”The Emergence of Gendered Power Structures since Early Modern Times: Practices, Norms, Media”: November 23 to 25, 2022
The Research Network ”Gender • Power Relations • State” (GMS) hosted the International Conference ”The Emergence of Gendered Power Structures since Early Modern Times: Practices, Norms, Media”, which took place at the Herder-Institute Marburg from November 23 to November 25, 2022. In her opening keynote ”Contested Modernity in Family Gender Regimes”, the first keynote speaker Prof. Myra Marx Ferree (University of Wisconsin-Madison) spoke on contemporary contestations over both gender and national identity as features of modern politics. She noted that the present demographic transition is far from complete, but it suggests wider, highly contested changes in politics, including the rise of nationalism as a response to the challenges of connecting family and nation as forms of social membership, and the declining practical significance for the nation-state as a political form. Click here to watch the video of ”Contested Modernity in Family Gender Regimes” on our YouTube-Channel.
The following two days each of the six panels featured three lectures, that focused on the leading categories of gender, power relations, and state. The first session on November 24 started with the keynote speaker Prof. Helen Watanabe-O’Kelly (University of Oxford), who spoke about ”Images of Female Power from Elizabeth I of England to Angela Merkel”, showing female politicians and the changes of their outward appearance over time. Click here to watch the video ”Images of Female Power from Elizabeth I of England to Angela Merkel” on our YouTube-Channel.
The keynote ”Unbridgeable Differences? Gender Constructions in the Early Modern Period”, held by Prof. Claudia Ulbrich (Freie Universität Berlin), thematized that politically active women are framed as exceptions most of the time, since women are usually seen as mothers, wives and/or subjects in the binary gender system of western cultures.
Prof. Birgit Sauer (University of Vienna) discussed in her keynote ”The State as an Intersectional and Gendered Relation of Violence”, how the state as a contested strategic field can be seen as the condensation of intersectional gendered relations of domination. Describing the modern state as a gendered relation of violence, she dealt with issues like intervention of the state in the private sphere and gender-inequality in state institutions. Click here to watch the video ”The State as an Intersectional and Gendered Relation of Violence” on our YouTube-Channel.
A full report of the conference will be published on our ZMI-Website.
„Nachhaltige Sicherung wichtiger und unverzichtbarer Forschungsresultate“ – Vorstellung am 19. Oktober 2022 der überarbeiteten Datenbank der frühen Texte der Holocaust- und Lagerliteratur von 1933 bis 1949
Die frei zugängliche Online-Datenbank der frühen Texte der deutschsprachigen Holocaust- und Lagerliteratur von 1933 bis 1949 ist das Ergebnis einer langjährigen Kooperation zwischen der Universitätsbibliothek Gießen und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (AHL). Am Mittwoch, den 19. Oktober 2022, konnte im Zeitschriftenlesesaal der UB Gießen die neue Version der Datenbank, die um neue wichtige Funktionen ergänzt wurde, vorgestellt werden. Neben den bibliografischen Einträgen und inhaltlichen und biografischen Annotationen enthält sie nun etwa auch Georeferenzen in Form von Personen- und Ortsseiten sowie Kartenmaterial.
Prof. Alexander Goesmann, Vizepräsident für Wissenschaftliche Infrastruktur, betonte in seiner den Abend eröffnenden Begrüßungsansprache vor den zahlreich erschienenen Gästen, dass das gemeinsame Projekt der AHL als Forschungseinrichtung und der UB als Infrastrukturanbieterin die „nachhaltige Sicherung wichtiger und unverzichtbarer Forschungsresultate“ gewährleiste und bezeichnete die Kooperation deshalb als ein „gelungenes Beispiel für eine institutionelle Zusammenarbeit in der Universität und eine Transformation wichtiger Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit“. Auch Bibliotheksdirektor Dr. Peter Reuter nannte die Zusammenarbeit „beispielhaft“ und „vorbildlich“ und hob darüber hinaus den Seltenheitswert des Oskar-Singer-Raumes – eines eigens zu diesem Zweck eingerichteten Präsentations- und Arbeitsraums in der UB, in dem u. a. die frühen Texte ausgestellt werden – hervor.
Gerade an der Schnittstelle zur sogenannten post-memorialen Periode haben literarische Werke eine besondere Bedeutung, erklärte Prof. Sascha Feuchert (Leiter der AHL). In weiten Teilen aber sind es gerade die frühen Texte, die heute weitgehend vergessen und aus dem kollektiven und kulturellen Gedächtnis gedrängt worden sind. Es sei deshalb wichtig, dass es Institutionen gebe, die sich bemühen, diese „Testamente der individuellen Erinnerung“, so Dr. Charlotte Kitzinger (wissenschaftliche Mitarbeiterin und Geschäftsführerin der AHL), auch nach dem Zeitalter der Zeitzeugen zu bewahren und zugänglich zu machen. Ziel des Projektes sei es, diese Werke für die öffentliche, wissenschaftliche und didaktische Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen, sodass sie die Chance erhalten, Teil des Erinnerungsdiskurses zu werden. Nach der kurzen Vorstellung einiger früher Texte sowie ihrer Rezeptionsgeschichte las Schauspieler Dr. Roman Kurtz vom Gießener Stadttheater aus dem bis heute weltweit sehr bedeutsamen Werk „Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager“ (1946) von Viktor E. Frankl. Abschließend präsentierte Michael Freiberg, Fachreferent der UB, der das informationstechnische Konzept der Datenbank erstellt hat, die Online-Datenbank und zeigte ihre Nutzung auf.
„Ich hoffe, dass mein Bericht euch in eurer humanistischen, demokratischen Haltung stärkt“ – Zeitzeuge und Holocaust-Überlebender Leon Weintraub zu Gast an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur am 15. November 2022
Am Dienstag, den 15. November 2022, waren Dr. Leon Weintraub und seine Frau Eva-Maria Loose Weintraub zu Besuch an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (AHL) der Justus-Liebig-Universität Gießen. Vor rund 100 Studierenden aus den Lehramts- und Masterstudiengängen sprach Weintraub anlässlich seiner im September 2022 im Wallstein Verlag erschienenen Memoiren „Die Versöhnung mit dem Bösen. Geschichte eines Weiterlebens“, die im Gespräch mit der Journalistin Magda Jaros entstanden sind und einen ausführlichen Stellenkommentar von Prof. Sascha Feuchert enthalten, über seine Kindheit, seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern, das Studium der Medizin in Göttingen nach Kriegsende, seine Karriere in Polen und über die Auswanderung nach Schweden aufgrund der anti-semitischen März-Unruhen 1968.
Weintraub wurde 1926 als fünftes Kind einer polnisch-jüdischen Familie in Lodz geboren. Im Alter von 13 Jahren erlebte er den Einmarsch der Wehrmacht nach Polen. Im Winter 1939 wurde seine Familie in das Getto Lodz/Litzmannstadt umgesiedelt und er musste Zwangsarbeit verrichten. Im August 1944 wurde er gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Schwestern im Zuge der Auflösung des Gettos in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Seine Mutter sah er dort zum letzten Mal. Einige Wochen nach seiner Ankunft gelang es ihm, aus Auschwitz-Birkenau zu entkommen: Einem spontanen Entschluss folgend schloss er sich unbemerkt von den Wachen einem Transport von Arbeitshäftlingen in das KZ Groß-Rosen an. In den letzten Monaten des Krieges wurde Weintraub in die Lager Flossenbürg, Natzweiler-Struthof und Offenburg deportiert. Im April 1945 konnte er mit anderen Gefangenen auf einem Transport in Richtung Bodensee fliehen, als der Zug von Alliierten bombardiert wurde. Er wurde schließlich kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges von französischen Streitkräften in der Nähe von Donaueschingen befreit. Im Herbst 1946 gelang es ihm, trotz fehlenden Abiturs und nur geringer Deutschkenntnisse ein Studium an der Medizinischen Fakultät in Göttingen aufzunehmen. Nach dem erfolgreichen Abschluss kehrte Weintraub 1950 nach Polen zurück und praktizierte als Gynäkologe und Geburtsarzt in Warschau, wo er im Januar 1966 promoviert wurde. Die antisemitischen Unruhen von 1968 zwangen ihn aber, seine Heimat erneut zu verlassen und in das „neutrale Schweden“ zu emigrieren.
Bis heute lebt Leon Weintraub mit seiner zweiten Frau Eva-Maria in Stockholm und ist seit vielen Jahren als Zeitzeuge gegen das Vergessen aktiv. Ausgehend von seinen Erfahrungen betonte er gegenüber den zahlreichen Zuhörer*innen, wie wichtig es sei, „Mensch zu bleiben“. Seinen 90-minütigen Vortrag schloss er mit den Worten: „Ich hoffe, dass mein Bericht euch in eurer humanistischen, demokratischen Haltung stärkt.“
Lesung und Gespräch mit Sascha Feuchert und Wolf Kaiser zur Anthologie „Der papierene Freund. Holocaust Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher“ am 17. November 2022
„Wir brauchen Freunde, ein intimes Gegenüber, um zu überleben. Was aber, wenn in Krisensituationen kein guter Freund erreichbar ist und die Krise auch darin besteht, alleine zu sein, sich vor Verfolgung verstecken und fliehen zu müssen?“, so die Einleitung von Prof. Sascha Feuchert in das Gespräch mit dem Herausgeber Dr. Wolf Kaiser. „Dann“, so führte Feuchert weiter aus, „besteht die Möglichkeit, sich einem papierenen Freund zuzuwenden, einem Tagebuch, das Zeugnis für einen selbst ablegt, wenn das eigene Leben beendet und geraubt wird“.
Wolf Kaiser, Historiker und ehemaliger Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, hat in seiner Anthologie „Der papierene Freund. Holocaust Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher“ 30 solcher „Textdenkmäler“ zusammengetragenen. Das Werk, das im Mai 2022 als zwölfter Band der gemeinsamen Schriftenreihe der Arbeitsstelle Holocaustliteratur und der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung im Metropol Verlag erschienen ist, stellte er nun am Donnerstag, den 17. November 2022, im Rahmen einer innerhalb der Veranstaltungsreihe „Erinnern, mahnen, wachsam sein“ organisierten Lesung im Jugend- und Kulturzentrum der Stadt Gießen vor. Die Anthologie versammelt Auszüge aus in neun Sprachen verfassten Tagebüchern von jüdischen Kindern, Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen, die während des Holocaust Halt im Schreiben suchten, und veröffentlicht sie erstmals in deutscher Sprache.
In einem Gespräch mit Sascha Feuchert über die Genese des Buches erklärte Wolf Kaiser, dass ihn vor allem beeindruckt habe, „wie die jungen Schreiber ihre Erfahrungen, die sie machen mussten, beschreiben und reflektieren, aber auch, wie aktiv sie sich damit auseinandersetzen“. Bei der Zusammenstellung der Tagebücher sei es ihm wichtig gewesen, möglichst viele dieser auch geografisch unterschiedlichen Erfahrungen einzufangen. Dass sie „gut geschrieben“ seien, sei zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für die Aufnahme der Auszüge in den Band gewesen. Dennoch könnten sich einige der Texte in ihrer literarischen Qualität durchaus mit dem wohl bekanntesten papierenen Freund, dem Tagebuch der Anne Frank, messen lassen, so seine Einschätzung.
Die anschließende Lesung durch den Schauspieler Pascal Thomas vom Stadttheater Gießen bestätigte dies eindrucksvoll: Die Bandbreite der Texte reichte von naiven Notizen von Kindern, die nicht wissen, was ihnen bevorsteht, bis hin zu Niederschriften von Jugendlichen, die unter dem Eindruck der schrecklichen Realität ihres bevorstehenden Todes eine große Reife und Klarsichtigkeit beweisen. Es finden sich zudem auch humorvoll und lebhaft geschilderte Alltagszenen in den Tagebüchern. So bringen die unterschiedlichen Zeugnisse in ihrer Zusammenschau die ganz besonderen Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen auf das Geschehen zum Ausdruck, die vor allem durch die „Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Empfindungen und Gedanken in dieser Situation“ geprägt sind, wie Kaiser erklärte.
Die Veranstaltung war eine Kooperation des Jugendbildungswerks und der DEXT-Fachstelle der Universitätsstadt Gießen mit dem Projekt Extremismusprävention von Arbeit und Bildung e. V. Marburg, dem Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation e. V. und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur.
Neues aus den Sektionen
Gießener Netzwerktag für Deutsch als Zweitsprache (GiDaZ)
Im September 2022 luden die Professur für Deutsch als Zweitsprache, die ZMI-Sektion „Educational Linguistics“ sowie das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis zum ersten Gießener Netzwerktag für Deutsch als Zweitsprache-Lehrkräfte (GiDaZ). Insgesamt haben etwa 50 Lehrkräfte und Schulleiter*innen aus der Region teilgenommen. Ziel des Netzwerktags war die bessere Vernetzung von Lehrkräften, die im Bereich DaZ tätig sind, die Identifikation von Bedarfen für die Praxis sowie die Verfügbarmachung von fachlichem Input. Das Programm umfasste einen Fachvortrag von Prof. Monika Budde (Uni Vechta) sowie vier thematische Workshops zu den Themen „Alphabetisierung & Lerner*innen ohne Schulerfahrung“, „Binnendifferenzierung (in der Regelklasse)“, „Förderdiagnostik“ sowie „DaZ in der Berufsschule“. Es ist geplant, den Netzwerktag in Zukunft zwei Mal im Jahr durchzuführen und dabei im Sinne einer Weiterbildungsidee thematische Schwerpunkte zu setzen. Der zweite GiDaZ-Netzwerktag findet am 28. April 2023 zum Thema Förderdiagnostik in DaZ statt.
„Stimmen aus der Praxis“-Reihe mit Frederik von Castell, Maximilian von Lachner
Am Dienstag, den 22. November 2022, war Frederik von Castell zu Gast in der Reihe „Stimmen aus der Praxis“, die von der ZMI-Sektion „Medien und Geschichte“ ausgerichtet wird, um über Aufgaben und Herausforderungen im Medienjournalismus zu sprechen. Je mehr wir alle über das Projekt Übermedien und Frederik von Castells Beiträge wissen, desto gezielter können wir nachfragen. Leider kann unser Gast nicht nach Gießen kommen, sodass wir uns nochmal wieder mit einer Digitalveranstaltung behelfen. Als Leseprobe hat er uns die beiden Artikel „Schäferhund ist reichste Ente der Welt“ und „Angela Merkels zweite Karriere als Cover-Girl: Wir haben alle Titelbilder der Klatschpresse ausgewertet“ empfohlen.
Maximilian von Lachner hat Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover studiert, absolvierte Praktika in der Bildredaktion des stern und als Redaktionsfotograf bei der FAZ, dazwischen lebte er 2016 für fünf Monate in Mazedonien, um an einem persönlichen Projekt zu arbeiten. Nach anderthalb Jahren als festangestellter Lokalfotograf für den Weser-Kurier ist er seit August 2019 als freier Fotojournalist in Frankfurt am Main für verschiedene Zeitungen, Magazine und Unternehmen tätig. Im Herbst 2021 reiste er durch Russland, um seine Abschlussarbeit „Wenn Mutter nicht mehr friert – Russland als geopolitischer Profiteur des Klimawandels“ zu fotografieren.
Lesung und Ausstellung „Äquatorialguineische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Spanien“
Wir schreiben die 1930er Jahre in Barcelona, es ist die Zeit der Zweiten Spanischen Republik. Damals war der Zugang von Frauen zu Bildung stark eingeschränkt. Trotzdem kam eine junge Frau aus dem heutigen Äquatorialguinea – damals spanische Kolonie – nach Barcelona und studierte dort. Welche Erfahrungen hat diese Frau gemacht? Und warum herrscht in der spanischen Erinnerungskultur eine Lücke hinsichtlich der Präsenz Schwarzer Menschen in Spanien lange vor den Migrationsströmen der Gegenwart?
Um diese und ähnliche Fragen kreiste die Lesung „Guineoecuatorianas A Principios Del Siglo XX En Espana“, die am Mittwoch, den 23. November 2022, am Graduate Center for the Study of Culture (GCSC) stattfand. Zu Gast war der Autor Juan Tomás Ávila, der die Lesenden in seinem neuesten Roman Dientes blancos, piel negra (2022; dt.: Weiße Zähne, schwarze Haut) in dieses historische Umfeld eintauchen lässt. Eingeladen war zudem die Ethnologin Yolanda Aixelà Cabré (Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Barcelona), welche in ihrer neusten Monographie Africanas en África y Europa (1850-1996) (2022; dt.: Afrikanerinnen in Afrika und Europa) aus ethnologischer Perspektive unterschiedlichste Biographien Schwarzer Frauen in Spanien auffächert, die diese häufig vergessene Präsenz eindrucksvoll belegen. Leider musste Yolanda Aixelà Cabré ihre Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Danae Gallo González (JLU Gießen) und Dr. Julia Borst (Uni Bremen) – zwei Expert*innen für Äquatorialguinea und die afrikanische Diaspora in Spanien. Sie sprachen mit den beiden Gäst*innen über ihre neusten Texte und beleuchteten hierüber einen wenig bekannten Teil der spanischen (Kolonial-)Geschichte.
Im Anschluss an die Diskussion wurde eine von Yolanda Aixelà Cabré, Juan Tomás Ávila Laurel und Mar García kuratierte Ausstellung mit dem Titel „Africanas en Europa. El caso krió fernandino entre Santa Isabel y Barcelona (1850–1992)“ (dt. Afrikanische Frauen in Europa: Der Krió Fernandino Fall zwischen Santa Isabel und Barcelona (1850–1992)) eröffnet, die eine Auswahl aus in Archiven gefundenen Fotos präsentiert und für das Publikum historisch einordnet. Die Ausstellung wird bis zum 22. Dezember 2022 im Foyer, 2. OG, des GCSC zu sehen sein.
Die Veranstaltung sowie die Ausstellung sind eine Kollaboration der Uni Bremen und des Bremer Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien (INPUTS), des Graduate Center for the Study of Culture (GCSC), des Instituts für Romanistik sowie der Sektion „Medien und Gender“ des Zentrums für Medien und Interaktivität (ZMI) der JLU Gießen.
Neues aus dem DaF-/DaZ-Bereich
Sammelband-Publikation: Leo Will, Jürgen Kurtz, Tamara Zeyer, Hélène Martinez (Hg.): „Dimensionen digitaler Lehre in der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung“
Lehrpersonen in der akademischen Fremdsprachendidaktik zeigten während der COVID-19-Pandemie einigen Ideenreichtum in Bezug auf die Konzeption ihrer Lehrveranstaltungen. Vor allem die Aktivierung der Studierenden musste weitgehend neu gedacht und mithilfe digitaler Medien realisiert werden. Termini wie „synchron“, „asynchron“ oder „hybrid“ gehörten plötzlich zum Alltagsvokabular. Dieser Band beschreibt die metareflexiven Prozesse einer Disziplin, die im Zuge einer radikalen Umstellung auf digitale Lehre das eigene Selbstverständnis befragt und dabei zukunftsweisende Praktiken exploriert.
Leo Will, Jürgen Kurtz, Tamara Zeyer, Hélène Martinez (Hg.): Dimensionen digitaler Lehre in der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung. Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2022. 185 S., Print: 54,00 Euro
ISBN 978-3-8233-8595-0
Laudatio von Dietmar Rösler auf dem Germanistentag in Paderborn für Preisträgerin Gabriella Perge des Jacob- und Wilhelm-Grimm Förderpreises
Auf dem diesjährigen Germanistentag in Paderborn wurden am 27. September 2022 auf einer Abendveranstaltung die vom DAAD vergebenen Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preise überreicht. Mit den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preisen werden ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet, die sich neben ihrer fachlichen Leistung in besonderer Weise für die internationale Zusammenarbeit in den Fachbereichen Germanistik und Deutsch als Fremdsprache engagieren. Der Hauptpreis ging 2022 an Dr. Kokou Azamede von der Universität Lomé in Togo, der sich vor allem mit der Verbindung von Literatur- und Kulturwissenschaften, mit der Kolonial- und Missionsgeschichte und transkulturellen Kontaktsituationen befasst.
Der Förderpreis ging an die ungarische Germanistin Dr. Gabriella Perge, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Institut der ELTE in Budapest. Sie hat in wenigen Jahren in ihren Forschungsschwerpunkten im Bereich der Fremdsprachenforschung und der Angewandten Textlinguistik bereits ein beträchtliches Werk geschaffen, hob Prof. Dietmar Rösler in seiner Laudatio hervor, am bekanntesten sei ihre Dissertation aus dem Jahre 2017, die sich mit der Entwicklung der individuellen Mehrsprachigkeit im institutionellen Fremdsprachenunterricht in Ungarn befasst.
Vortrag von Tamara Zeyer auf der III. Akademischen Tagung des Congreso Internacional de Lenguas im Oktober 2022
Eröffnungsvortrag von Tamara Zeyer auf DaF-Tag in Freiburg am 12. November 2022
Germanistische Begegnungstagung in Südostasien vom 12. bis 15. November 2022
Neues aus der Georg Büchner-Seniorprofessur
Gerade erschienen: ”Heiner Goebbels and Curatorial Composing after Cage. From Staging Works to Musicalising Encounters”

Author Ed McKeon introduces Prof. Heiner Goebbels’ practice and focus on his role as Artistic Director of the Ruhrtriennale (2012–14), which he argues was an extension of his curatorial composing. In this work Ed McKeon wants ”to underscore a distinction between ’music’ and ’the musical’ – or ’musicality’ – to acknowledge that the latter is not dependent on the former, and that compositional forms can be manifest without sound, in ’non-musical’ mediums such as video installations or watercolours, and especially in the construction of encounters.”
Ed McKeon: Heiner Goebbels and Curatorial Composing after Cage. From Staging Works to Musicalising Encounters. Cambridge: Cambridge University Press, 2022. Series: Elements in Music Since 1945. 75 pp., Print: 17,00 Pounds
ISBN 978-1009337618
Porträt zu künstlerischen Aktivitäten Heiner Goebbels’: „Utopische und unerhörte Klänge mit ‚echoes from the past‘“
Ein ausführliches Portrait zu den künstlerischen Aktivitäten von Prof. Heiner Goebbels in den letzten Jahren erschien bereits im September 2022 im Feuilleton Frankfurt. Die Kulturjournalistin und Chefredakteurin Petra Kammann beschreibt hier die neueste Orchesterkomposition als „vielstimmiges Haus mit einer Sprache jenseits der Sprache“ und kontextualisiert ihre Überlegungen durch Fotos und Rückblenden auch zu seiner Arbeit als Intendant der Ruhrtriennale 2012–2014.
Feuilleton Frankfurt, 20. September 2022
Presse-Echo zu Aufführungen in Strasbourg, Rom, Paris, Frankfurt
«Noir sur Blanc au Festival Musica»

„Un théâtre d’ombres pour le spectacle musical ’Noir sur blanc’ au Maillon”

„Ein ikonisches Musiktheaterwerk von Heiner Goebbels erfüllte im Rahmen des Musica-Festivals im Maillon am Freitagabend mit einem schwarzen Licht. [...] In einer unwahrscheinlichen und brillanten Choreografie werfen sie hier zu Beginn zum Beispiel Tennisbälle auf eine Blechplatte, um einen höllischen Lärm zu erzeugen. Eine halluzinierende Geschichte von Geistern in ferner Vergangenheit. [...] Als Überlebende wer weiß welcher Katastrophe amüsieren sich die virtuosen Musiker fast hysterisch, bis das Erscheinen des Schattens an die Gespenster der Verschwundenen erinnert. Die Resonanzen mit Heute sind verstörend.“
Hervé Lévy, in: Dernières Nouvelles d’Alsace, 24. September 2022
Il Manifesto: „Dissonanze e avanguardie per Heiner Goebbels“

Zur Aufführung von „Liberté d'action“ beim Festival Roma Europa im Auditorium Parco della Musica schreibt die italienische Tageszeitung: „Es ist die Beziehung zu sich selbst – zu seinem Körper – zur Welt, die ein Ego aufbaut. Michaux verwendet auch Meskalin, um das Bewusstsein für diese Vielfalt des Egos zu schärfen. Seine Verse sind blitzschnell. ‚Liberté d'action‘, Handlungsfreiheit, ist der Titel, den Heiner Goebbels, einer der interessantesten Komponisten der deutschen Post-Avantgarde (der allerdings keine einzige Geste der Avantgarde des 20. Jahrhunderts auslässt), seinem Michaux gewidmeten szenischen Konzert gibt. Schon der Titel spielt auf die Vielfältigkeit der Nutzungen und Bedeutungen von Musik, Sprache, Theater an.“
Dino Villatico, in: Il Manifesto, 27. September 2022
Radio France: Archive Heiner Goebbels
Seit dem 23. Oktober 2022 veröffentlicht Radio France eigene Aufnahmen mit Heiner Goebbels: „Der jüngst beim Festival d'Automne gefeierte deutsche Komponist Heiner Goebbels ist auch Pianist und Improvisator, wie die Archive seiner frühen Jahre deutlich machen: stark beeinflusst vom Avantgarde-Jazz der 1980er Jahre bis hin zu seinen ersten orchestralen Errungenschaften der 1990er.“
Frankfurter Rundschau: „Stimmungszonen, Schattenseiten“

„Jetzt kam das Werk aus Anlass des 70. Geburtstags seines Schöpfers im Bockenheimer Depot in Frankfurt zu einer Neu-Aufführung. Es wirkte damals wie der Prototyp einer neuartigen Form musiktheatralischer Performanz, die vielerorts folgenreich für szenische Kunst wurde. [...] Ein Klangäther, der im Depot auch kräftig donnern konnte. Haltungsstilisierung in Spiel und Bewegung gaben dem Ganzen mehr, als es die Erinnerung zu wissen meinte: eine spannende Gemütsbefangenheit. Mit Klang- und Bildzeichen, die offen im Wahrnehmungsvollzug blieben.“
Bernd Uske, in: Frankfurter Rundschau, 7. November 2022
Interviews und Kritiken zur gerade erschienenen „A House of Call“-CD von Heiner Goebbels
Jazzpodium: „Macher der Materialien“
Im Jazzpodium erscheint ein ausführliches Interview mit Michael Bossong: „Mit seiner breitpalletigen Collagierkunst bei Musik und Text steht der Komponist Heiner Goebbels ziemlich alleine und unnachahmbar da. Nun legt er eine Platte vor, die – wie bei ihm üblich – keinem einzelnen Stil gehorcht, vielmehr laufend neue Sichtweisen schafft, und Ohr und Kopf reizvoll anregt.“
Jazzpodium 10/22, S. 40-44
Rezension in der Süddeutschen Zeitung: Klassik-CD: „A House of Call“ von Heiner Goebbels
In der Kategorie „Die Favoriten der Woche“ schreibt der Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung: „Es geht durch Zeiten und Regionen, eine bestimmende Klangfarbe unter vielen ist die Anverwandlung des chamäleonhaften Ensemble Modern an die Art-Rock-Gruppe Cassiber, deren Mitglied Goebbels zehn Jahre lang war, und von dort weiter in Richtung ausformulierter Jazzrock. Goebbels, nie zimperlich, was die Fülle seiner Inspiration angeht, adelt die Fundstücke in seinen Überschreibungen, erhöht ihre Intensität, überlagert sie mit überbordender Raffinesse im Klang, mit rhythmischen Aberwitzigkeiten, Rätseln. Im Grunde sind diese zwei Stunden wie ein Hörfilm voller aufgekratzter Erlebnisse, voller Widersprüche und deshalb irrsinnig modern.“
Egbert Tholl, in: Süddeutsche Zeitung, 7. Oktober 2022
Klassik- und Jazz-Magazin Rondo: „Ein Lexikon verschiedenster Sprachen“
„Heiner Goebbels ist von jeher ein wandelndes Bündel und Lexikon verschiedenster Sprachen, Stimmen, Stile. [...] So atemlos man diesem geheimnisvollen und zugleich ungemein wunderschönen Gesang über den (möglichen) Verlust von Sprache lauscht – mit seinem ‚House of Call‘ zeigt Goebbels einmal mehr, dass er weiterhin einer der klangsprachgewaltigsten Komponisten der Gegenwart ist.“
Guido Fischer, in: Rondo, 15. Oktober 2022
Rezension in Il Manifesto: „Goebbels, trasformazione e composizione“
„Über Goebbels wird dieser Tage in Italien viel gesprochen. Kürzlich wurde in Rom die Kammeroper ‚Liberté d'action‘ aufgeführt [...] und nun erscheint beim Label Ecm ein Werk für großes Orchester mit dem Titel ‚A House of Call‘. Die Instrumentalparts umhüllen oder punktieren aufgenommenes Klangmaterial, musikalischer und sonstiger Art, verschiedenster Herkunft. Sie reichen von einem Fragment von Boulez bis zu einem von Heiner Müller, von Volksliedern der Kaukasusregionen bis zu Liedern der Nama (aufgenommen von einem kolonialistischen und rassistischen ‚Phonographenwissenschaftler‘, aber von den Interpreten in Lieder des Widerstands und der Subversion verwandelt), von amazonischen Gedichten bis zu einem späteren Text von Samuel Beckett. Die Orchesterparts [...] sind von extrem avantgardistischem Ton, einschließlich einer großartigen Episode, die an das Globe Unity Orchestra erinnert, die Radikalen der freien Improvisation. Aber die Emotionen, die dieses ‚Haus der Rufe und Verwandlungen‘ auslöst, sind auch in der Behandlung vieler Textteile zu spüren, wie etwa im Choral (über Beckett) im Finale, in der die Lesung zum Rezitativ und dann zur Melodie wird.“
Mario Gamba, in: Il Manifesto, 15. Oktober 2022
Radio France: ”A House of Call” / ”Le disque contemporain de la semaine”
Auch Radio France hat diese Neuveröffentlichung zur „zeitgenössischen CD der Woche“ gekürt.
Radio France, 6. November 2022
The Morning Star: ”The mesmerising innovations of Heiner Goebbels”
Simon Duff schreibt in der britischen Tageszeitung: ”The monumental scale of the work is finely balanced, for a highly complex mix. [...] The calm ending, using chanting voices, piano and bass, is mesmerising. Goebbels continues to break boundaries with inspirational concepts and at times enchanting beauty.”
Simon Duff, in: The Morning Star, 18. November 2022
Einladung nach Rumänien zum Internationalen Theater Festival Interferenzen vom 17. bis 27. November 2022
Mit dem Musiktheaterstück „Liberté d'Action“ wurde – nach „Max Black“ im Jahre 2012 – Prof. Heiner Goebbels ein zweites Mal zum Internationalen Theaterfestival „Interferenzen“ ins Ungarische Staatstheater nach Cluj in Rumänien eingeladen, das vom 17. bis 27. November 2022 stattfand.
Orchesterkonzert von „A House of Call“ beim Musikfestival „Wien Modern“ am 19. November 2022; weitere Aufführungen in Porto und London in 2023

Zum vorerst letzten Mal wurde der gefeierte Orchesterzyklus „A House of Call“ von Prof. Heiner Goebbels in der Uraufführungsbesetzung mit dem Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von Vimbayi Kaziboni aufgeführt. Das Konzert fand am 19. November 2022 im Rahmen des renommierten Festivals für zeitgenössische Musik „Wien Modern“ im Volkstheater statt.
Weitere Aufführung dieser abendfüllenden Komposition wird es am 21. Januar 2023 mit dem Sinfonieorchester der Casa da Musica in Porto unter der Leitung des Dirigenten Peter Rundel geben, mit dem Heiner Goebbels eine lange Zusammenarbeit verbindet. Im März 2023 wird das London Philharmonic Orchestra den Zyklus in der Royal Festival Hall des South Bank Center in London aufführen.
Freiheit in der Forschung: Elif Özmen im Gespräch bei „Wissenschaft im Dialog“
Publikationen
Andreas Langenohl in the European Journal for Security Research: ”The Publicness of Pandemic Security and the Shortcomings of Governmentality”
Employing the example of Germany within a European context, this paper argues that government responses to the pandemic relied too much on the biopolitical governance of populations, and too little on the symbolic governance of public spheres. Based on an analysis of policy documents and their medial representation, it is found that the politics of pandemic security is focused on the regulation of population aggregates and movements (social distancing, lockdowns, border closings, etc.), resembling a quasi-Foucaultian notion of biopolitical governmentality. Confident that the crisis can be handled through a classical apparatus of security through self-conduct within an imaginary of stochastic aggregation of the social, these modes of governance paid virtually no attention to non-stochastic social aggregates, such as those which can be observed in public spheres. Yet these aggregates produced massive mobilizations against the politics of pandemic governance in liberal democracies, in the streets and on the internet. In conceptual terms, these mobilizations can be understood as an insistence on sovereign power, in Foucault’s sense, yet ‘from below’: They reinvigorate the dramatic public, as opposed to the inconspicuous circulation, as the site for claiming attention, legitimacy, and potentially disruption—in other words, for claiming sovereign power. In the final analysis, a major security problematic can be seen in the failure of the politics of governmentality to be insensitive to the politics of sovereignty. The article by Prof. Andreas Langenohl was published on October 11, 2022 in the European Journal for Security Research.
Andreas Langenohl: ”The Publicness of Pandemic Security and the Shortcomings of Governmentality”. European Journal for Security Research. 2022. Open Access.
Dritter Band der Reihe der Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur: Henryk Grynbergs dokumentarische Erzählung „Kinder Zions“
Als dritter Band in der auf zehn Bände angelegten Reihe der Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur ist am 2. November 2022 im Wallstein Verlag die dokumentarische Erzählung „Kinder Zions“ von Henryk Grynberg erschienen. Aus dem Polnischen übersetzt wurde der Band von Roswita Matwin-Buschmann. Ewa Czerwiakowski und Lothar Quinkenstein haben zudem ein Nachwort verfasst. Die Reihe, die herausragende polnische Werke – teils in Neuausgaben bereits existierender Übersetzungen, teils in Erstübersetzungen – vorstellt, wird von Ewa Czerwiakowski, Prof. Sascha Feuchert (Arbeitsstelle Holocaustliteratur, JLU Gießen) und Lothar Quinkenstein herausgegeben und aus Mitteln des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland gefördert.
Im Mittelpunkt des Werkes steht das noch weithin unbekannte Schicksal der Kinder von Teheran, eine Gruppe polnisch-jüdischer Kinder, die der deutschen Besatzung Polens durch Flucht in die Sowjetunion entkamen und 1943 nach Palästina gerettet wurden. Mehr als 70 von ihnen kommen in Henryk Grynbergs dokumentarischer Erzählung zu Wort. Henryk Grynberg wurde am 4. Juli 1936 in Warschau geboren und überlebte die Jahre der deutschen Besatzung mit seiner Mutter in verschiedenen Verstecken auf dem Land. Nach dem Krieg studierte er Journalistik in Warschau. 1967 verließ er angesichts des erstarkenden Antisemitismus seine Heimat Polen und emigrierte in die USA, wo er bis heute lebt.
Henryk Grynberg: Kinder Zions. Göttingen: Wallstein Verlag, 2022. Reihe: Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur, Band 3. 192 Seiten, Print: 24,00 Euro.
ISBN 978-3-8353-5282-7
Personalia
Isabelle Otto verlässt ZMI
Wir verabschieden Isabelle Otto, die das ZMI zum 31. Dezember 2022 verlässt. Sie war seit dem 1. Dezember 2021 studentische Hilfskraft in der Öffentlichkeitsarbeit des Zentrums für Medien und Interaktivität. Ihre Arbeitsschwerpunkte waren die Betreuung der Social-Media-Präsenzen sowie die Mithilfe an der Erstellung des Newsletters. Mit Abschluss ihres Master-Studiums der Germanistik an der JLU endet nun auch ihre Beschäftigung am ZMI.