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Arm und ungeimpft: Wie fair sind kostenpflichtige Coronatests?

Ab Oktober wird es in Deutschland keine kostenlosen Bürgertests mehr geben.
Ab Oktober wird es in Deutschland keine kostenlosen Bürgertests mehr geben.Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres
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Arm und ungeimpft: Wie fair sind kostenpflichtige Coronatests?

12.08.2021, 12:3012.08.2021, 14:57
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Am Dienstag einigten sich Bund und Länder auf neue Beschlüsse zur Pandemie-Bekämpfung. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz wurde auch entschieden, dass es ab dem 11. Oktober keine kostenlosen Bürgertests mehr geben soll. Ausgenommen sind demnach Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine Impfempfehlung vorliegt wie Schwangere sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Darüber hinaus gilt bereits vom 23. August an die "3-G-Regel" für den Zutritt zu öffentlichen Innenräumen. Wer ins Kino, Fitnessstudio oder Schwimmbad möchte, muss entweder genesen, geimpft oder negativ getestet sein. Das trifft auch auf Friseur- und Kosmetiksalons, Sportwettbewerbe und Besuche in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen zu.

Wie teuer genau die Tests für Ungeimpfte sein werden, könne man noch nicht genau sagen, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Mittwoch der "Berliner Morgenpost". Dies werde "auf dem freien Markt" entschieden. Als Anhaltswerte für die künftigen Preise gibt er an, dass ein PCR-Test derzeit von den gesetzlichen Krankenkassen mit gut 43 Euro vergütet werde, für einen Antigen-Schnelltest, auch Bürgertest genannt, würden elf Euro bezahlt. Vor allem für finanzschwache Menschen, die sich bislang nicht haben impfen lassen, bedeutet das eine finanzielle Belastung, um am öffentlichen Leben teilzunehmen. Wie fair sind also die neuen Beschlüsse?

watson hat mit Experten und Wissenschaftlern darüber gesprochen.

Entscheidung juristisch in Ordnung

Es bestehe keine Rechtsverletzung in der Abschaffung der kostenlosen Bürgertests, erklärt Steffen Augsberg, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Gießen, gegenüber watson. Der Staat sei nicht verpflichtet, die Kosten für Corona-Tests zu übernehmen. "Bedenklich ist allerdings, dass durch den Beschluss explizit zum Impfen gedrängt wird. Unter Infektionsschutzpunkten können wir Schnelltests und Impfungen nicht gleichwertig behandeln." Die Differenzierung in Geimpfte und Ungeimpfte findet Augsberg deshalb angebracht, man habe jedoch den richtigen Zeitpunkt verpasst. "Die Politik hätte Geimpften vor Monaten die Privilegien zurückgeben müssen, das hätte effektive Anreize für Unentschlossene geschaffen."

"Hinsichtlich der Freiheitsrechte ist die Vorstellung von absolutem Schutz unrealistisch und das muss auch gesellschaftlich diskutiert werden"
Prof. Dr. Steffen Augsberg

Die Delta-Variante zwinge zu einer neuen Einschätzung der Situation, was aber aufgrund fehlender Studien schwierig sei. "Wir müssen unser Ziel konkretisieren: Wollen wir die Infektionen niedrig halten oder die Überbelastung des Gesundheitssystems verhindern?", sagt Augsberg. Je nachdem müssen dann Entscheidungen über die Freiheiten von Geimpften oder Einschränkungen von Ungeimpften getroffen werden. "Hinsichtlich der Freiheitsrechte ist die Vorstellung von absolutem Schutz unrealistisch und das muss auch gesellschaftlich diskutiert werden." Vor der Bundestagswahl sei damit allerdings nicht zu rechnen, so die Einschätzung des Rechtswissenschaftlers.

Zusatzkosten als falscher Impfanreiz

Seit dem Start der Impfkampagne wurde immer wieder über Aufhebung der Einschränkungen für Geimpfte diskutiert. Kritikerinnen und Kritiker fürchten eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft durch den Impf-Diskurs. "Die Entscheidung der gestrigen Ministerpressekonferenz vergisst, dass auch Geimpfte Trägerinnen und Träger des Covid-Virus sein können und somit die Gefahr besteht, dass Infektionsketten nicht rechtzeitig erkannt werden, wenn auf Tests bei Geimpften verzichtet wird", sagt die Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann gegenüber watson.

"Wir können nicht davon ausgehen, dass kostenpflichtige Tests in Massen durch Geimpfte freiwillig in Anspruch genommen werden. Gerade vor Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sind kostenlose Tests weiterhin sehr wichtig."

"Wenn nicht geimpfte, arme Menschen aufgrund ihrer finanziellen Situation vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, dürften sie mehr Frust, aber eher noch weniger Impfbereitschaft entwickeln."
Armutsforscher Dr. Christoph Butterwegge

Statt indirekten Impfdruck durch Testkosten aufzubauen, sieht Hannemann Anreize und niedrigschwellige Angebote als wirkungsvolle Alternative. "Der Ausbau von mobilen Impfangeboten in Einkaufszentren, Wohngebieten oder Sportstätten wie Fußballstadien wären eine Möglichkeit", schlägt sie vor und warnt explizit, Ungeimpfte in die Querdenken- oder Impfverweigerungsecke zu stellen. "Was wir viel mehr benötigen, sind niedrigschwellige Angebote vor Ort und Aufklärungen, um ein mögliches Misstrauen gegenüber medizinischem Personal und Impfungen abzubauen."

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, hält hingegen die Einführung kostenpflichtiger Corona-Tests für Ungeimpfte ab Mitte Oktober für folgerichtig und nachvollziehbar. Wer sich trotz aller niedrigschwelligen Impfangebote jetzt gegen die Impfung entscheide, der sorge letztlich dafür, dass die Pandemie weitergehe. "Und dann ist es sehr schwer zu begründen und zu sagen: "Bitte zahlt mir als Solidargemeinschaft, die ihr euch alle impft, weiter die Tests, damit ich ins Kino oder ins Konzert kann", hatte Buyx nach der Entscheidung im phoenix-Interview gesagt.

Allerdings müsse auch geschaut werden, dass die Bereitschaft zu Tests "nicht komplett in den Keller" gehe. Deshalb müsse die Wirksamkeit dieser Maßnahme im Oktober sehr genau angeschaut werden, ebenso wie die gesamte Pandemielage.

Warum die Frustration größer werden kann

Der Armutsforscher Dr. Christoph Butterwegge schlägt gegenüber watson vor, "die Impfbereitschaft durch Gratifikationen wie Lebensmittelgutscheine oder finanzielle Anreize zu erhöhen". In Sanktionen sieht er keinen Mehrwert. "Wenn nicht geimpfte, arme Menschen aufgrund ihrer finanziellen Situation vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, dürften sie mehr Frust, aber eher noch weniger Impfbereitschaft entwickeln."

Es sei zudem nicht auszuschließen, dass manche Betroffene eventuell Versuche unternehmen würden, sich trotzdem Zugang zu verschaffen. "All das wird das Reizklima in einem sozial gespaltenen Land weiter anheizen und stellt keine Lösung des Problems dar. Weniger Tests bringen nicht mehr Sicherheit für die Bevölkerung", betont Butterwegge.

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