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23.06.10 - Widerlegung der Oligopolvermutung - Der BGH zur kollektiven Marktbeherrschung

Artikel zum Beschluss des Bundesgerichtshof

 

In Deutschland ist im Hinblick auf die kollektive Marktbeherrschung die sogenannte Oligopolvermutung nach §19 Abs 3 Satz 2 (Nr. 1 und Nr. 2) GWB relevant:

§ 19 GWB
(3) Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Eine Gesamtheit von Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie
1.aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert erreichen, oder
2.aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen,
es sei denn, die Unternehmen weisen nach, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat.


Ist sie erfüllt, müssen fusionswillige Unternehmen nachweisen, dass zwischen ihnen wesentlicher Wettbewerb herrscht. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Fall der (vorinstanzlichen) Untersagung der Fusion zweier Hörgerätehersteller (Phonak und GN Store) stellt die Bedingungen explizit dar, wie diese Oligopolvermutung, also die Vermutung einer gemeinsamen Marktbeherrschung, widerlegt werden kann. Der BGH stellt fest, dass Martkanteile als solches noch nichts darüber aussagen, "ob die für Annahme eines Oligopols erforderliche Reaktionsverbundenheit zwischen Unternehmen besteht". (Randziffer 65) Der BGH führt in seiner Entscheidung auch aus, welche Indizien im Hinblick auf die Feststellung einer kollektiven Marktbeherrschung zu prüfen sind. Er stellt fest(Randziffer 55):

„Maßgebend für die Feststellung, ob die Wettbewerbsbedingungen einen wesentlichen Wettbewerb zwischen den Unternehmen i.S. von § 19 Abs. 3 Satz 2 GWB erwarten lassen, ist wie bei der Prüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 GWB eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände (vgl. BGHZ 178, 285 Tz. 39 - E.ON/Stadtwerke Eschwege, m.w.N.). Dabei kommt - im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle - den die Marktstruktur bestimmenden Merkmalen eine besondere Bedeutung zu. Es ist zu untersuchen, ob aufgrund der Marktstruktur mit einem dauerhaft einheitlichen Verhalten der Mitglieder des möglichen Oligopols zu rechnen ist. Das ist anzunehmen, wenn zwischen den beteiligten Unternehmen eine enge Reaktionsverbundenheit erwartet werden muss. Entscheidende Indizien dafür sind Markttransparenz und wirksame Abschreckungsmittel der übrigen für ein Oligopol in Betracht kommenden Unternehmen gegen Wettbewerbsvorstöße eines von ihnen. Jedes beteiligte Unternehmen muss wissen, dass es keinen Vorteil aus einem auf Vergrößerung seines Marktanteils gerichteten Wettbewerbsvorstoß ziehen könnte, weil ein solcher Vorstoß die gleiche Maßnahme seitens der anderen Unternehmen auslösen würde. So besteht kein Anreiz für Preiswettbewerb, wenn eine Preissenkung durch ein Unternehmen von den anderen sofort erkannt und mit einer eben-solchen Preissenkung beantwortet werden kann, ohne dass sich dadurch die Marktanteile der beteiligten Unternehmen verändern. In diesem Zusammenhang sind weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, etwa die Symmetrie der beteiligten Unternehmen hinsichtlich der Produktpalette, der verwendeten Technologie und der Kostenstruktur, etwaige Marktzutrittsschranken, die Nach-fragemacht der Marktgegenseite und die Preiselastizität der Nachfrage. Daneben kommt es auf das tatsächliche Wettbewerbsverhalten der beteiligten Unternehmen auf dem betreffenden Markt an“

Die weiteren Ausführungen (s. Rz. 85ff.) zeigen jedenfalls, dass das Bundeskartellamt Untersagungen nicht einfach auf die Vermutung gründen kann, dass ab einer gewissen Höhe der Marktanteile zwischen den "marktstärksten Unternehmen" kein wesentlicher Wettbewerb bestehe.