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LGBTIQ*-Wahlstudie zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin 2016

Politikwissenschaftler:innen der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Universität Wien haben sich im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl 2016 mit dem Wahlverhalten und dem politischen Engagement der LGBTIQ*-Community in Berlin beschäftigt. Dabei handelt es sich um die Fortsetzung eines Forschungsprojektes zum Wahlverhalten der LGBTIQ*-Community, das 2015 mit der Wahl zum Gemeinderat in Wien begann. Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und der Arbeitsstelle Gender Studies (AGS) der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt und wurde ohne Finanzierung durch Dritte realisiert. An der Online-Umfrage nahmen 1.058 wahlberechtigte Berliner*innen der LGBTIQ*-Community teil. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes selbstselektives Sample – wer Lust hatte, konnte mitmachen. In die Studie gingen nur die Antworten jener Personen ein, die Angaben zu ihrer LGBTIQ*-Lebensweise gemacht haben. Mehrfachbeteiligungen wurden ausgeschlossen. Mit dieser Befragungsmethode kann man solide empirische Angaben zu den Einstellungen, Interessen und Präferenzen der LGBTIQ*-Community in Berlin machen. Die Methode dieser Online-Wahlstudie ist indes nicht geeignet, um eine Wahlprognose zu berechnen.

Wahlentscheidende Themen und die Spaltung der LGBTIQ*-Community

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Menschen aus der LGBTIQ*-Community überdurchschnittlich stark in Politik und Gesellschaft engagieren. Das Engagement beschränkt sich keineswegs auf Themen, die die Community bzw. LGBTIQ*-Rechte direkt betreffen. Vielmehr ist das Engagement vielfältig und vor allem im sozialen Bereich sehr hoch. Wichtige und wahlentscheidende Themen für LGBTIQ*-Wähler:innen in Berlin sind vor allem Homophobie, Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Dabei zeigt sich einerseits, dass LGBTIQ*-Personen im vermeintlich weltoffenen und toleranten Berlin nach wie vor große Probleme mit Homophobie und Diskriminierung haben. Andererseits ist die gegenwärtige Spaltung der Gesellschaft in der Asylfrage und in der Begegnung mit dem Islam/Muslim:innen auch innerhalb der LGBTIQ*-Community erkennbar. Gefordert werden von der einen Seite besondere Maßnahmen für LGBTIQ*-Flüchtende sowie Schutz und soziale Inklusion, während die andere Seite den Islam für Hass und Gewalt gegen Schwule verantwortlich macht. Die Einstellungen, die von der LGBTIQ*-Community vertreten werden, decken also das gesamte politische Spektrum ab. Die parteipolitischen Präferenzen der LGBTIQ*-Wähler*innen gelten überwiegend linken Parteien bzw. Parteien der linken Mitte (Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD). Der Rückhalt der bürgerlichen Parteien (FDP, CDU) bzw. Rechtspopulisten (AfD) ist gering. In abgeschwächter Form spiegelt sich also auch in der Berliner LGBTIQ*-Community der gegenwärtige Erfolg der AfD wider, insbesondere bei Männern, die bei der letzten Abgeordnetenhauswahl 2011 CDU, SPD, Grüne oder FDP gewählt hatten.

Innovation in der Wahlforschung und relevante Ergebnisse für Parteien
Die innovative Studie wirft erstmals einen Blick auf einen Teil der Gesellschaft, der in den klassischen Wahlstudien in Berlin und Deutschland und Europa bislang unter den Tisch fällt: die LGBTIQ*-Community. Die Wahlstudie gibt damit also neue Impulse für die Politikwissenschaft und für politische Debatten. Auch für Parteien bieten die Ergebnisse neue Möglichkeiten, sich mit den Interessen und Präferenzen ihrer LGBTIQ*-Wähler:innenschaft zu beschäftigen. Parteien, die LGBTIQ*-Politik als Querschnittsthema verstehen und sich mit der Community solidarisieren, entsprechen dabei den Erwartungen der Community. Vor dem Hintergrund des überdurchschnittlichen politischen Interesses und Engagements der LGBTIQ*-Community wird offensichtlich, dass viele Parteien dieses Potenzial bislang ungenutzt lassen.

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