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Prof. Dr. Thomas Phleps (†)

Zum Gedenken an Prof. Dr. Thomas Phleps (1955-2017)

erstellt von Florian Hantschel — zuletzt verändert: 02.10.2020 09:45 — Historie

Geboren am 2.9.1955 in Bad Hersfeld, studierte Thomas Phleps in Marburg und Kassel, wo er 1981/83 Staatsprüfungen für das Lehramt an Mittel- und Oberstufen in den Fächern Musik, Deutsch und Philosophie ablegte. Von 1983-1994 war er Lehrbeauftragter für Musikwissenschaft und Gitarre an der Universität Gesamthochschule Kassel. Dort promovierte er 1987 bei Helmut Rösing mit der Dissertation „Hanns Eislers ‚Deutsche Sinfonie’. Ein Beitrag zur Ästhetik des Widerstands“. Zugleich arbeitete er als Bühnenmusiker und als Jugendreferent am Staatstheater Kassel, ab 1989 gab er als Musik- und Deutschlehrer Sprach- und Abiturkurse für Exilberechtigte. Er baute das Kasseler „Musikzentrum im Kutscherhaus“ auf und war wissenschaftlicher Begleiter des Modellprojektes „Musik aktiv im Kasseler Osten“.

1995 erfolgte die Berufung auf die Hochschuldozentur für Musikpädagogik an der JLU Gießen, wo er sich 2000 für die Fächer Musikwissenschaft und Musikpädagogik habilitierte („Zwischen Spätklassik und HipHop – Methoden und Modelle. Musikanalytische, musikhistorische und musikdidaktische Studien“). Nach kurzer Zeit als Professor am Studiengang Musik/Musikwissenschaft der Universität Bremen (2001-2003) kehrte er im Oktober 2003 als Professor für Musikpädagogik an die JLU Gießen zurück.

1997 wurde Thomas Phleps in den Vorstand des Arbeitskreises Studium Populärer Musik (seit 2014: Gesellschaft für Popularmusikforschung) gewählt und seitdem sechsmal in diesem Amt bestätigt. Seit 1998 hat er 19 Bände der Beiträge zur Popularmusikforschung, seit 2002 auch das Online-Journal SAMPLES herausgegeben. Neben all diesen ehrenamtlichen Tätigkeiten war er immer auch als Musiker aktiv: Von 1986-2000 zugleich als Arrangeur und Leiter des Hanns Eisler Ensemble wie auch der Out of Reach Blues Band, der Blues Big Band, seit 2000 der Soul’n’Blues-Band Beat That Chicken.

In Forschung und Lehre widmete Thomas Phleps sich der Musik und – wie er es nannte – den „musikalischen Umweltverhältnissen“ des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei ist als roter Faden ein Engagement für Außenseiter, Benachteiligte und Verfolgte nicht zu übersehen – an der Affirmation des Etablierten hatte er keinerlei Interesse. Als erstes ist dabei an seine umfangreichen, international anerkannten Pionierarbeiten zu den Exil-Komponisten Hanns Eisler und Stefan Wolpe zu denken. Ab 1993 wirkte er im Editorial Committee der Stefan Wolpe Society mit, seit 2010 war er Editionsleiter (Noten) der Hanns Eisler Gesamtausgabe (HEGA). Ein zentrales Anliegen war ihm daneben die Aufdeckung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Musikpädagogik und -wissenschaft, zu der er Wesentliches beigetragen hat.

Thomas’ Leidenschaft galt der Black Music, dem Soul, Funk und Jazz, insbesondere aber dem (Pre-War-)Blues; seine Kenntnisse auf diesem Gebiet sind nicht anders als enzyklopädisch zu bezeichnen. Seine Seminare zu Jimi Hendrix, Frank Zappa und Captain Beefheart waren die ersten und wohl auch einzigen dieser Art. Kanonbildungen und verklärenden Heldengeschichten wirkte er dabei – bei allem Enthusiasmus für die Musik – mit einer Kombination aus profunder musikanalytischer und sozialgeschichtlicher Kompetenz entgegen. Aber auch den deutschen Schlager mitsamt seinem gesellschaftlichen Überbau analysierte er immer wieder messerscharf.

Als Musikpädagoge setzte er alles daran, ein System zu reformieren, unter dem er selbst als Schüler gelitten hatte. Gegen die Fortschreibung eines bürgerlichen Kunstverständnisses, das um den Kanon „großer Meister“ und Notenfixiertheit kreist, setzte er Handlungskonzepte, aktivierende Projektmethoden und vor allem die Auseinandersetzung mit Musiken der Gegenwart. In seiner akademischen Lehre musste man selbst aktiv werden; standardisierte Lehrveranstaltungen – gar Vorlesungen –, in denen man Bildung bequem passiv konsumieren konnte, waren ihm zuwider. Stattdessen traute er seinen Studierenden – und auch seinen Mitarbeitern – immer zu, kritisch zu sein und eigene Lösungen zu finden, ohne sie auf dem Weg dorthin je allein zu lassen. Mit seiner Methode der gezielten Verunsicherung und dem beständigen Hinterfragen vermeintlich gesicherten Wissens konnte und wollte er vor allem Studienanfänger irritieren – aber genau diese grundlegend kritische Haltung machte ihn für viele, die bei ihm studiert haben, dann zum (nicht nur akademischen) Vorbild. Als Geschäftsführender Direktor hat er das Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik beständig reformiert und erweitert, den Schwerpunkt Populäre Musik dabei systematisch und nachhaltig ausgebaut. Dass die JLU Gießen heute eine umfassende Lehramtsausbildung auch für die gymnasiale Oberstufe anbietet, in der gegenwärtige Musiken in Theorie und Praxis entgegen herrschender Verhältnisse fest implementiert sind, ist allein seiner Hartnäckigkeit zu verdanken.

Thomas war herzlich, bescheiden und ohne jede Eitelkeit. Für die Belange der Studierenden und seiner Mitarbeiter hat er sich mit großem Engagement eingesetzt, er nahm sich viel Zeit und hörte zu, ohne dass man ihn darum erst bitten musste. Wer ihn gekannt hat, war beeindruckt von seiner unermüdlichen Bereitschaft, klare Positionen zu beziehen, Kritik zu üben, Verantwortung zu übernehmen und für seine Ideale einzustehen. Unter Konflikten hat er gelitten; trotzdem ist er ihnen nie aus dem Weg gegangen. Hierarchien waren ihm fremd, wenn sie sich nicht auf die Werte stützten, für die er mit allem einstand und auf denen seine eigene Autorität basierte: Ehrlichkeit, Vertrauen, Loyalität. Gerade weil er die ausgetretenen Pfade weiträumig gemieden hat, hat er so viele, so tiefe Spuren hinterlassen.

Thomas Phleps verstarb am 5.6.2017 völlig überraschend und viel zu früh an einem Herzinfarkt.

so long, thomas

 

Ralf von Appen