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TAUSEND TODE, DIE ICH STERBE

Wir finden unzählige Gründe, um uns für etwas zu schämen. Für schlechten Atem, für unangenehm riechenden Schweiß und die peinlichen Schwitzflecken unter den Achseln. Doch nicht nur für den Körper schämen wir uns. Auch das eigene Alter, Armut oder Herkunft kann uns beschämen.

Scham zeigt sich meist in Gruppen: In Familie, bei Freunden oder auch am Arbeitsplatz. Wir schämen uns fürs Fremdgehen, für das Vergessen von Geburtstagen oder dafür, aus dem deutschen Osten zu kommen. Und nicht zuletzt ist auch das Theater Ort von Scham: Ein nicht mehr zu unterdrückendes Rülpsen auf der Bühne. Inmitten einer wichtigen Szene.

Mir ist da was passiert. Und du hast gesehen, dass es mir passiert ist.
Und dann habe ich gesehen, dass du es gesehen hast.
Und dann habe ich aufgehört, zu atmen.

Scham ist immer mit kleinen Toden verbunden. Ein stetiges Sterben unserer Überzeugung, ein perfektes, sozialkonformes Leben zu führen. Kein Wunder also, dass wir Scham mit Peinlichkeit assoziieren. In ihr steckt das, was Scham mit uns tut: Sie sorgt für Schmerz, für Pein und erinnert uns daran, eben nicht perfekt zu sein. In dieser Rückbesinnung auf die unmögliche Perfektion, die Scham in uns auslöst, liegt ihre politische Macht.

Scham verbindet das Selbstverständnis von uns als Einzelpersonen unmerklich mit geltenden Werten und Regeln einer Gemeinschaft. So ist sie ein moralisches Politinstrument. Mit ihr kann gesteuert werden, was sozial akzeptiert ist. Sie ist etwas, das wir nur zu gern vermeiden wollen, weil Scham den peinlichen Fehler und die eigentlich bekannte Regel zugleich offenlegt. Doch ist es hilfreich, Scham zu vermeiden? Nein, denn in dieser Erinnerung an unsere Regeln haben wir zugleich die Möglichkeit, sie zu befragen.

Wofür schämst du dich?
Und hast du dich heute schon geschämt? Ich mich schon.
Mindestens tausend Mal.

Lisa Schettel, Laura Eggert, Constantin von Thun und Nils Weishaupt holen Scham bewusst auf die Bühne. In einer großen Recherche haben sie persönliche Schamerlebnisse geteilt, sich der eigenen Scham untereinander ausgesetzt, Interviews mit Freunden und Familie, mit Forschenden und Expert*innen geführt.

In ihrer Produktion TAUSEND TODE, DIE ICH STERBE bringen sie diese Erlebnisse und Berichte an die Rampe, um den bekannten Affekt in neuem Licht zu zeigen. Es geht dabei nicht um Skandale oder nackte Haut. Vielmehr erforscht das Team, wie wir durch Berichte über schamvolle Ereignisse erfahren können, wie unser Miteinander gestaltet ist. Scham wird so zu einem lustvollen Suchen nach dem Sprechen über das, was uns die Röte in den Kopf, den Schweiß unter die Achseln treibt. Können wir Scham vom Bühnen- in den Publikumsraum übertragen? Und was passiert, wenn Scham in Fremdscham überschlägt? Was bleibt von einer Scham, wenn alle sich schämen? Im Idealfall: Die Einsicht, das Scham nicht trennen muss, sondern verbinden kann.

Performance
von Von und mit: Laura Eggert, Lisa Schettel, Constantin von Thun, Nils Michael Weishaupt
Produktion: Martin Bien
Video: Charlotte Bösling
Kostüm: Nora Schneider


Ein ATW-Master-Abschluss-Projekt von Lisa Schettel in Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität im Rahmen der Hessischen Theaterakademie. Zusätzlich gefördert vom Kulturamt Gießen. Ein herzlicher Dank für die Kostümberatung gilt Kathi Sendfeld und Robert Zeigermann für die Unterstützung beim Bühnenbildbau.


Bisherige Aufführungen

  • 4.12.2019, Premiere , taT, Studiobühne des Stadttheater Gießen
  • 5.12.2019, taT, Studiobühne des Stadttheater Gießen