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Ernst von Bergmann (1836-1907): Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium. Rede, gehalten zur Feier des Stiftungstages der militärärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883. Berlin: August Hirschwald 1883.
-- Textgrundlage: Nachdruck der Ausgabe 1883. Berlin/ Heidelberg/ New York 1974.
Otto Westphal im Vorwort: "Möge dieser Nachdruck der in schönstem Deutsch gehaltenen und von hoher ethischer Verantwortung des forschenden und handelnden Arztes zeugende Festrede allen jenen zugute kommen, für die Medizingeschichte auch zum Verständnis von Fragen der Medizin von heute beitragen kann".
-- Zu Ernst von Bergmann vgl. u.a. Wolfgang Genschorek: Wegbereiter der Chirurgie. Joseph Lister, Ernst von Bergmann. Leipzig 1984, 114-217.
-- Digitale Fassung: Thomas Gloning, XI/2001.
(Die Sperrungen des Originals wurden nicht übernommen.)
-- (c) You may use this digital version for scholarly, private and non-profit purposes only. Make sure that you do not violate the copyright laws of your country. Do not remove this header.
-- URL: http://staff-www.uni-marburg.de/~gloning/1883berg.htm

<<1>>

DIE SCHICKSALE
DER
TRANSFUSION
IM
LETZTEN DECENNIUM.

REDE,
GEHALTEN
ZUR FEIER DES STIFTUNGSTAGES DER
MILITÄRÄRZTLICHEN BILDUNGSANSTALTEN
AM
2. AUGUST 1883
VON
ERNST VON BERGMANN.

BERLIN 1883.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD
68 UNTER DEN LINDEN.

<<3>>

Hochgeehrte Versammlung!

Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen,
ihre Handlungen [<Handluugen] von den Grundlagen ihres Wissens zu
befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu
erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch
nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten
Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen
ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die
man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte.

Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen
vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne
des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre.
Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des
Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch.

Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die
Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen
und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen
bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren
die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und
Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu
verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze
seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine
Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?.

<<4>>

Noch ist kein Verband erdacht und gemacht worden,
unter dem es nicht von Microorganismen aus der Gruppe
der pathogenen und inficirenden geradezu wimmelte, und
doch ist eine Reihe glänzender Erfolge das Eigenthum
eines jeden Chirurgen der Gegenwart.

Gegenüber dem alltäglichen Gegensatze zwischen dem,
was wir zu können und dem, was wir zu wissen meinen,
ist es vielleicht zeitgemäss daran zu erinnern, dass die
chirurgische Kunst bleibend und dauernd noch keine
Förderung erfahren und keinen Gewinn bewahrt hat, der nicht
aus dem festen Bestande des biologischen Wissens ihr
zugeflossen wäre. So oft wir über das Erkannte hinausgriffen,
griffen wir auch fehl und bewegten uns so lange
in der Irre, bis wir zu den Quellen unserer Kenntnisse
wieder zurückkehrten und an ihnen unsere Irrthümer
zurechtstellten.

Es sei mir erlaubt diese Erfahrung heute an dem Beispiele
einer Operation zu erläutern, welche noch vor wenig
Jahren als die bedeutendste und wichtigste der modernen Chirurgie
gepriesen wurde, welche eine neue Aera in der gesammten
Medicin inauguriren sollte und auf den Verbandplätzen
berufen schien, mehr als jede andere das fliehende Leben des
Verwundeten zu erhalten -- es ist das die Operation der
Ueberführung des Blutes in das Gefässsystem eines Kranken:
Die Operation der Transfusion.

Mehr als ein Jahrhundert vor der Entdeckung des
Kreislaufs lag Papst Innocenz VIII. im Sterben. Ganz
allmählig erlosch ihm das Leben, indem er von Tag zu
Tage hinfälliger und matter wurde. Da kamen seine Aerzte
<<5>>
auf dieselbe Idee, welche Ovid der Medea eingiebt, um
Jasons alternden Vater zu verjüngen, indem er die
Zauberin sagen lässt:

Veteremque haurite cruorem
Ut repleam vacuas juvenili sanguine venas!

Mit jugendlichem Blute sollten auch hier die leeren
Adern des erschöpften Greises gefüllt werden. Drei
römische Knaben gaben ihr frisches Blut dazu her, welches in
die Venen des Hohen Priesters erfolglos geleitet wurde, denn
aus seiner Lethargie erwachte der Kranke nicht mehr.
Noch ehe man eine Vorstellung davon hatte, wie das Blut
im Körper rinnt und fliesst, noch ehe man in Erfahrung
gebracht, wohin sein Strom zu richten, hatte man durch
eine kühne That ihn in ein neues Bett zu zwingen gesucht.

Wie noch heute der Sprachgebrauch Blut statt Leib,
Leben, Geist und Seele setzt, so sah man, je weniger
man vom Blute wusste, um so mehr in ihm die Kraft,
welche alle und jede Eigenthümlichkeit wie Aeusserung
des Lebens bestimmt und schafft. Was Wunder daher,
dass noch im 17. Jahrhunderte nicht einzelne, sondern ganze
gelehrte Körperschaften und Collegien sich mit der Frage
befassten, ob ein Hund Wolle und Hörner nach der
Einführung von Schafblut bekäme, ob die Gesinnung eines
Leicht- und Heissblütigen durch das fromme und unschuldige
Blut des Lammes gebessert werden könne!

Zu diesen fabelhaften Zwecken hat man noch im
18. Jahrhunderte transfundirt, so dass eigentlich von der
Medea bis zu den Zeiten Friedrichs des Grossen, wo
Mackenzie 1) meinte, die Operation könne durch ihre
<<6>>
verjüngende Kraft das Leben der Menschen verlängern, die
Transfusionslehre nicht wesentlich gefördert worden ist.
Ein bestimmter Heilzweck, eine am Krankenbette erreichbare
Aufgabe war ihr nicht gestellt worden.

Die transcendentalen Vorstellungen von der Eigenschaft
des Blutes mussten beseitigt und die Scheu vor dem
dämonischen Safte überwunden sein, ehe die Operation
der Transfusion wieder Aufnahme finden, ja im Laufe
unseres Jahrhunderts gewissermassen zum zweiten Male
erfunden werden konnte. Dazu trug nach Harvey's Entdeckung
in erster Stelle das durch sie so glänzend inaugurirte
Thierexperiment bei und dann die Zunahme der chirurgischen
Sicherheit im Operiren, welche lediglich im Beherrschen
der Blutung, im Haushalten aber auch im Schalten
und Walten mit dem Blute begründet war.

Gleichsam eine Probe der Lehre vom Kreislaufe war
die Ueberführung des Blutes eines Thieres in das Gefässsystem
eines anderen. Ein solcher Austausch ist, nach
dem Vorgange Lower's 2) im vorigen Jahrhunderte mehrfach
ausgeführt worden und hat die Thatsache festgestellt,
dass ein Thier, welches durch Eröffnung
seiner Arterien nahezu verblutet ist, durch Ueberleitung
des Blutes aus der Arterie eines anderen
Thieres wieder zum Leben gebracht werden kann.

Dass die am Thiere gewonnene Erfahrung auch für
den Menschen zutreffend sei, behaupteten Richter wie
Hufeland und suchte durch eine Schrift, die alle bezüglichen
Erfahrungen in seltener Ausführlichkeit und Vollständigkeit
wiedergab, der dänische Arzt Scheel 3) in den
<<7>>
ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem
sind allerdings Transfusionen überall und unter den
mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur
selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu
ausserordentlicher Höhe stieg.

Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines
zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die
Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes
Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei
drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen
worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten
der verschiedensten Organe, die man durch eine
Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste,
welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren
gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-,
Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich
aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die
Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten,
sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter
solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst
dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann,
als am Ende der 50er Jahre Martin 4) seine durchschlagenden
Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften
Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich
die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor
10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte
und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,
<<8>>
besonders aber den chirurgischen, berufen schien,
dem Arzte wie Patienten die Unsterblichkeit zu bringen.
Begeistert ruft einer ihrer Lobredner aus: "Die Thierblut-Transfusion
hat in der Medicin eine neue Aera, die blutspendende
geschaffen" 5) und ein anderer sieht in ihr diejenige
Operation, die der Kriegschirurg vor allen Dingen
sich zu eigen machen solle, die wichtiger fast als die
Gefässligatur auf den Verbandplätzen geworden sei! 6) Ja in
demselben Jahre, da diese Bekenntnisse niedergeschrieben
werden, folgt im Congresse deutscher Chirurgen hierselbst
ein Vortrag über den Nutzen und die Herrlichkeit der
Transfusion dem anderen. Es war, wie ein vielfach citirter
Autor auf dem Gebiete der interessanten Tagesfrage sagte,
leicht der Prophet zu sein, welcher dieser Operation einen
Triumphzug durch die Hospitäler, wie noch keiner anderen
und ein unerschütterlich dauerndes Bürgerrecht in der
Chirurgie voraussagte. 7)

Wie wenig hat sich diese Prophezeiung erfüllt und
bewahrheitet! Noch sind nicht 10 Jahre über sie
dahingegangen und in Deutschland, wie in England ist die
Begeisterung verraucht, stehen die Transfusionsapparate stille
und sind die Reihen unzweifelhafter Indicationen eine nach
der andern gelichtet. Man beginnt sich von den überspannten
Erwartungen zu erholen und darauf zu besinnen, wie wenig
Grund und Boden man zur Construction seiner kühnen
Entwürfe wirklich besass.

Die Kenntnisse über die Bedeutung eines Blutverlustes
und das Geschehen und Leben im Blute sind im letzten
Decennium grösser geworden, mit ihnen aber wuchs die
<<9>>
Einsicht in die Irrthümer, welche der Transfusion zur
Unterlage gedient hatten.

Man war davon ausgegangen, dass bei jeder Blutung
die Gefahr aus dem Verluste an rothen Blutkörperchen, den
Trägern des Sauerstoffs erwüchse und erstünde, so dass,
folgerichtig, diese dem bedrohten Organismus als das
belebende Princip desselben zugeführt werden müssten.

Zunächst hat sich diese Voraussetzung als irrig erwiesen.
Bei dem Tode durch Verblutung in Folge der Verletzung
eines grösseren Blutgefässes, welche ja den Feldarzt
vorzugsweise beschäftigt, tritt der Tod zu einer Zeit schon
ein, wo der Körper noch über einen zum Leben
ausreichenden Vorrath von rothen Blutkörperchen verfügt.
Das ist erst im letzten Jahrzehnde durch einen kaum
anstreitbaren Thierversuch bewiesen worden, einen Versuch,
dessen Wiederholung unschwer ist und so unserer eigenen
Anschauung die wichtige Thatsache zugänglich macht 8).
Bei einem starken und plötzlichen Blutverluste sinkt der
arterielle Blutdruck nach einer gewissen Zeit allemal so
tief, dass dadurch die Bewegung des Gefässinhalts
aufgehoben wird. Das Herz arbeitet noch fort, aber
seine Arbeit ist wirkungslos; es gleicht einer leeren Pumpe,
es hebt und treibt nicht mehr die Blutsäule, deren Spannungsdifferenzen
in den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems
aufgehört haben. Würde das Quantum Blut, welches
das Gefässrohr noch birgt, wieder in Bewegung gesetzt
werden, so würde es ausreichen, die Ernährung der Organe
und die Erhaltung des Organismus zu besorgen. Desswegen
genügt in solchen Fällen, wie Kronecker zuerst geschlossen
<<10>>
und gezeigt hat, eine einfache Infusion einer
Kochsalzlösung, um das Leben zu wahren und zu retten.
Der Gefässinhalt wird durch sie vermehrt, eine Vermehrung,
die den intravasculären Druck steigert und der Arbeit des
Herzens wieder Erfolg und Wirkung schafft. Wir verstehen
jetzt, warum in so vielen Fällen die Transfusion
lebensrettend geworden ist, warum Lower und Boyle's
grundlegender Versuch mit der Ueberführung von Blut in
die Adern eines verbluteten Hundes denselben wieder in's
Leben zurückrief. Die Füllung der elastischen Röhren des
Gefässsystems bis zu einer gewissen Spannungshöhe war
hierzu erforderlich und wurde von dem übergeleiteten Blute
ebenso besorgt, wie sie von jeder anderen in gleicher Weise
injicirten und relativ indifferenten Flüssigkeit zu Wege
gebracht worden wäre.

Nicht in dieser, sondern in ganz anderer Weise, wie
wir eben gesehen haben, war aber die lebensrettende Wirkung
der Transfusion erklärt worden. Indem man annahm,
dass es bei ihr nur darauf ankäme, neue respiratorische
Substanz, neue Träger des Sauerstoffs in Gestalt
der infundirten, rothen Blutkörperchen dem
gefährdeten Organismus zuzuführen, machte man ohne
Weiteres die Voraussetzung, dass die Blutkörperchen eines
Individuum in den Gefässbahnen eines anderen fortzuexistiren
vermöchten, mit anderen Worten, man nahm ihre
Transplantation als eine ausgemachte Thatsache an.

Das Wiederaufblühen der Transfusion fällt allerdings
zusammen mit den Versuchen durch Ueberpflanzung eines
Gewebsstücks in gleichartige oder ungleichartige Gewebe,
<<11>>
die Heilung und den Ersatz von Verlusten allerlei Art zu
bewirken.

Namentlich unterstützten die Ergebnisse der Reverdinschen
Hauttransplantationen die Idee, lebendes, für viele
Minuten, ja selbst Stunden von seinem Boden abgetrenntes
und aus aller Verbindung mit dem übrigen Organismus
gesetztes Gewebe wieder zur Fortexistenz und Anheilung an
fremder Stelle zu bringen.

Warum sollten, wie die Epithelzellen in den Reverdinschen
Hautstückchen nicht sich auch die rothen Blutkörperchen
im Kreislaufe des Blutempfängers verhalten?
Man brauchte zu solcher Supposition nur zu vergessen, dass
die Epithelzellen im Rete Malpighii mit einer auffällig
hohen Lebensenergie begabt sind, welche sie Tage lang
ihre Existenz bewahren lässt, während die rothen
Blutkörperchen ein ausserordentlich hinfälliges Gebilde
vorstellen -- man brauchte bloss davon abzusehen, dass zum
Haften der Epithelzellen es einer besonderen Vorbereitung
des Bodens, auf den sie gepfropft werden sollten, bedurfte,
seine Verwandlung nämlich in eine gefässreiche Granulationsschicht,
während bei der Transplantation der rothen Blutkörperchen
der Nährboden, d.h. der Rest des Blutes in den
Gefässen des Erschöpften und Kranken eher eine Minderung
als eine Mehrung seiner Productionsfähigkeit erfahren hatte.
Das alles vernachlässigte man ohne Weiteres und unterdrückte
gegenüber dem Erfolge der Wiederbelebung alle
jene Bedenken. Der Erfolg, freilich nur dieser allein,
leistete Bürgschaft für die Fort-Existenz und das
Fort-Functioniren der übergeleiteten Blutkörperchen. Mit dem
<<12>>
Erfolge gab man sich zufrieden, er war so ausreichend, so
sicher, dass ihm gegenüber eine wissenschaftliche Controle
durch etwaige Zählungen der Blutkörperchen vor und
nach der Operation unnütz schien. Allerdings stand es
auch mit den Zählungen in den verflossenen Decennien
misslich, erst vor 10 Jahren hat ja die Methode von
Malassez dadurch, dass sie bloss eine minime Quantität Blut
zur Bestimmung der Zahl der Blutkörperchen in Anspruch
nahm, diese Controle möglich gemacht. Als man vor kaum
zwei Jahren mit dem verbesserten Apparate von Thoma
und Zeiss zu zählen begann, stellte sich ein ganz anderes
als das erwartete Resultat heraus. Nach jedem grösseren
Blutverluste sinkt die anfänglich nach demselben
vorhandene Zahl der rothen Blutkörperchen noch
weiter und zwar eine gewisse Zeit hindurch um ein nicht
unerhebliches 9). Es dauert also der Verlust, trotzdem die
Blutung aufgehört hat, noch weiter fort, offenbar durch
Einwirkungen, die jetzt innerhalb der Blutbahn sich geltend
machen. Nach den Transfusionen so grosser Blutmengen,
wie sich Worm-Müller und Lesser in ihren Experimenten
bedienten, erschienen allerdings die Blutkörperchen
vermehrt, allein nur für sehr kurze Zeit, bald schon sank
ihre Zahl und zwar schnell, während der Harnstoff und
Kali-Gehalt des Urins und die Tiefe seiner Färbung stiegen,
ein Zeichen vom Zugrundegehen der im Uebermaasse
zugeführten Elemente.

Die erste Erschütterung erfuhr die Lehre von der Transfusion
indessen nicht durch diese Zählungen, sondern durch die
Ergebnisse der directen Ueberleitungen von Thierblut,
<<13>>
welche gestützt auf die staunenswerthen Kuren Hasse's
ein Lieblingsmittel der Aerzte geworden waren und aller
Orten ihre Wiederholung fanden. Es ist kaum glaublich, wie
zäh man noch bis zum Schlusse des eben verflossenen
Jahrzehends an ihnen hing, obgleich schon die ersten Fälle, in
denen sie zur Anwendung kamen, uns hätten von ihrer
Gefährlichkeit und Schädlichkeit überzeugen sollen. Jedesmal
nämlich nach diesen Transfusionen mit Lamm- oder
Hundeblut folgte bei den Patienten ein Schüttelfrost mit
viele Stunden anhaltender Temperaturerhöhung und
Entleerung eines Blutfarbstoff enthaltenden Urins 10). Von
beiden Erscheinungen wissen wir jetzt, was damals nur von
der Hämaglobinurie bekannt war, dass sie Folgen der
Auflösung von Blutkörperchen innerhalb des kreisenden Blutes
sind.

Kaum vermögen wir heute, nachdem doch so wenig
Jahre erst darüber hingegangen sind, zu verstehen, wie man
sich über die Beobachtung so schwerer Störungen und über
die schon von Panum gebrachten Erfahrungen, von der
Gefährlichkeit der Transfusion mit fremdartigem Blute
hinwegsetzen konnte, einzig und allein desswegen, weil eine
und die andere Lammbluttransfusion erfolgreich schien, oder
richtiger und genauer ausgedrückt, den ihr unterworfenen
Patienten gerade nicht umgebracht hatte. An der Geschichte
dieser Transfusionen kann man lernen, wie wenig
Werth ein ärztlicher Erfolg dann hat, wenn er unvermittelt
dasteht, unerkannt, und unverstanden in seinen Bedingungen
und seinem Zusammenhange, ungestützt von den allein
sicheren Grundlagen unseres physiologischen Wissens!

<<14>>

Die schädlichen Wirkungen eines ungleichartigen, d.h.
einer andern Thier-Species entnommenen Blutes bei der
Transfusion, welche schon Prevost und Dumas gezeigt
hatten, bezog man nur auf die ungleiche Grösse der
Blutkörperchen verschiedener Thier-Gattungen. Da die
Blutkörperchen des Schaafes kleiner als die des Menschen
waren, hielt man das Schaafblut für unschädlich. Es ist
Ponfick's Verdienst, das Unrichtige in dieser Annahme
gezeigt zu haben. [11)] Nicht mechanische Momente, wie
die verschiedene Grösse der Blutkörperchen, sind
es, welche das ungleichartige Blut so schädlich
machen, sondern noch andere und wichtigere
Dinge, chemische Wirkungen, die bei einer gewissen
Grösse der Dosis allemal das Schaafblut zum
tödtlichen Gifte für den Hund und vice versa das des
Hundes für das Schaaf machen. Etwas von der alten
speculativen Weise der naturphilosophischen Medicin klingt
in dem Schlussworte wieder: "fremdartiges Blut ist schädlich,
eigenartiges nicht." Man hätte einfach weiter zu fragen
gehabt, worin besteht denn die Bösartigkeit des fremden
Blutes? Als endlich die Antwort auf diese Frage gefunden [<gefun|funden]
war, verschwand die Transfusion aus dem
Schatze der chirurgischen Heilmittel. Der Boden
war ihr entzogen worden.

Schon lange bevor Panum die Transfusion mit
defibrinirtem Blute den Aerzten zur Pflicht gemacht hatte,
fand Magendie 12) bei seinen Thierexperimenten, dass die
Injectionen mit dem Filtrate geschlagenen Blutes
ganz bestimmte, krankhafte Störungen zur Folge
<<15>>
haben: beschleunigtes Athmen, Diarrhoe mit Tenesmen,
blutige Ausschwitzungen in die Peritonealhöhle, den
Herzbeutel und die Pleurasäcke. Er warnte in Folge dessen
vor der Benutzung des defibrinirten Blutes und hielt den
Faserstoff, den er vorgebildet und gelöst im Blute sich
dachte, für nothwendig zu einer erfolgreichen Transfusion.
Dass ihm die Aerzte nicht folgten, ist begreiflich, weil die
Entstehung von Gerinnseln in den Spritzen und Canülen ja
jederzeit die Hauptgefahr einer directen Transfusion
vorstellte und im Laufe der Zeit Virchow's grundlegende
Arbeiten über die Thrombose und Embolie diese Gefahr nicht
mehr übersehen, oder auch nur unterschätzen liessen. Sie
ist noch im Augenblicke ein Hauptgrund gegen die allein
zulässige Form der Transfusion, die mit ganzem,
unberührtem Menschenblute.

Magendie's schlimmen Erfahrungen mit dem defibrinirten
Blute suchte man ihre Bedeutung abzusprechen, indem
man zunächst wieder behauptete, er habe zur Transfusion
das Blut von Thieren gewählt, deren Blutkörperchen grösser
gewesen wären, als die seiner blutempfangenden Thiere,
und als diese Unterschiebung sich nicht halten liess, meinte,
die Mengen, welche er übergeführt, seien so grosse
gewesen, dass er eine Plethora universalis erzeugt habe,
welche der Diarrhoeen und wässerigen Ausscheidungen
Ursache geworden sei. Jetzt weiss man, aber auch erst
seit kaum 10 Jahren, durch Worm-Müller's und anderer
Messungen des Blutdrucks bei experimentell erzeugter
Plethora, dass die gefürchtete Blutdrucksteigerung, die
bedenklich erhöhte Spannung im Aortensystem gar nicht
<<16>>
eintritt. Innerhalb weiter Grenzen accomodirt sich das
Gefässsystem seinem vermehrten Inhalte und passt
sich einer enormen Füllung ohne Drucksteigerung und
darum auch ohne ihre Consequenzenzen [!] ausreichend an.

Wieder sind wir an einen Punkt gelangt, welcher uns
zwingt, daran zu erinnern, wie sehr man immer in der
Transfusionsfrage bereit gewesen ist, dem Standpunkte
seines Wissens voranzueilen. Die Construction einer
Plethora vera mit enorm erhöhtem Blutdrucke nach den
Transfusionen gab Veranlassung in gewissen Krankheiten der
Operation einen depletorischen Aderlass voranzuschicken.
Ja die Heilung der Septicämie strebte man dadurch an,
dass man recht viel Blut dem Septischen abzapfte, um es
durch das neue, vom gesunden, blutspendenden Individuum
zu ersetzen. Heute können wir beweisen, dass durch diese
Art des Operirens dem Kranken ein zweifacher Schaden
zugefügt wird, durch den Aderlass nämlich und durch die
Transfusion. Fast unmittelbar nach diesem unglücklichen
Vorschlage, der den tödtlichen Ausgang in einer -Reihe von
Septicämie-Fällen wesentlich beschleunigt hat, wurde die
Nicht-Existenz einer Blutdruck steigernden Plethora artificialis
nachgewiesen!

Weder von der globulösen Embolie und Stase, die der
Injection zu voluminöser und sich zusammenballender
Blutkörperchen folgen sollte, noch von dem gesteigerten
Blutdrucke waren die Fieberbewegungen, die Hämaturie, die
Diarrhoeen und Transsudate an den der Thierblut-Transfusion
Unterworfenen abhängig. Man musste in der Erkenntniss
der Gerinnungsvorgänge innerhalb des kreisenden
<<17>>
Blutes erst einen Schritt vorwärts gethan haben, um die
Ursache dieser Störungen in Erfahrung zu bringen. Das
Verdienst hierfür darf ich einem meiner besten, leider sehr
früh verstorbenen Schüler Armin Köhler zuschreiben.
Köhler 13) zeigte zuerst an Kaninchen, dass nicht bloss
fremdartiges, sondern auch eigenartiges, das den
Kaninchen zuerst durch einen Aderlass entzogene,
dann entfaserte und wieder in die Gefässe
zurückgebrachte Blut in gleichem Sinne störend,
schädlich und giftig, wie das fremdartige Blut wirkt.
Durch sein eigenes Blut wurde das Thier getödtet.
Der anfangs bestrittene Versuch ist jetzt so oft wiederholt
worden, dass Cohnheim von ihm sagte: "Jeder, welcher
ihn gesehen hat, wird fortan lebhaftes Bedenken tragen,
die Infusion von Blut, in dem schon eine Coagulation
stattgefunden hat, für einen unschuldigen Eingriff zu halten. 14)
Man braucht einem Kaninchen bloss 10-12 ccm Blut aus
einer Carotis zu entziehen, dasselbe gerinnen zu lassen und
das Gerinnsel zwischen Leinwand auszupressen. Filtrirt
man das Ausgepresste und bringt etwa 5-6 ccm davon
langsam wieder zurück, demselben Thiere in seine Jugularvene
oder noch besser als arterielle Transfusion in die
Arteria [<Art.] femoralis, so verendet das Thier noch während der
Operation oder sehr bald nach dem Versuche. Es endet
an ausgedehnten Gerinnungen in seinem kleinen Kreislaufe.
Eröffnet man sofort nach eingetretenem Tode die Brust, so
findet man das Herz voll von zähen, verfilzten Gerinnseln
und die gesammte Verästelung der Pulmonalarterie prall
und strotzend mit rothen Thromben erfüllt, die man bis in
<<18>>
die kleinsten Verzweigungen der Gefässe verfolgen kann.

Das Ergebniss dieses Versuches ist die Consequenz der
Schmidt'schen Gerinnungstheorie. Im defibrinirten [<defribinirten]
Blute finden sich die fibrinoplastische Substanz und
das Fibrinferment frei, werden sie in diesem
Zustande ins Blut gebracht, so bewirken sie auch
innerhalb der Blutbahn, im noch kreisenden Inhalte
der Gefässe die Gerinnung. Wol gebietet der
Organismus über eine, wie es scheint, recht wirksame
Reihe von Vorrichtungen, die diese intravitale Gerinnung im
Gefässbaume hindern. Allein, wie jede solche Einrichtung
erweist sich auch diese wirksam bloss innerhalb gewisser
Grenzen. Wird das Quantum Injectionsflüssigkeit, dessen
Einfluss auf das Blut aufgehoben werden soll, zu gross, so
tritt trotz der Gegenarbeit des Organismus doch die Gerinnung
schon intra vitam ein und das Blut erstarrt in den
Adern.

Die Köhler'schen Versuche und ihre Fortführung haben
aber noch mehr ergeben. Alles, was innerhalb der Blutbahn
die Blutkörperchen und zwar in erster Stelle die
weissen zerstört, macht die Fibringeneratoren frei, schafft
einen vitalen Fermentgehalt im Blute und bewirkt
weiterhin zweierlei: bei massenhafter und höchst acuter
Auflösung der Blutkörperchen -- die Gerinnung im Kreislaufe,
bei geringerer, weniger intensiver und umfangreicher
Zerstörung -- bloss eine Blutdecomposition, mit welcher der
Organismus noch fertig werden kann, die er überwindet,
jedoch nur unter Aeusserung eines bestimmten Krankheitsbildes,
jenes Symptomencomplexes, den schon Magendie
<<19>>
als typisch für die Transfusion mit defibrinirtem, Panum
für die mit fremdartigem Blute schilderte und welche Köhler
mit gutem, von ihm erstrittenen [<estrittenen] Rechte
"Fermentintoxication" nennt.

Man braucht nur das Schmidt'sche Blutferment, 15)
oder wie ich mit Angerser 16) das gethan habe, reines Pepsin
und Pancreatin in die Arterie oder Vene eines Thieres in
grossen Dosen zu spritzen, um die Auflösung der Blutkörperchen
in ihnen zu bewerkstelligen und dann genau nach
der angewandten Dosis des Ferments bald leichte, schnell
vorübergehende, bald schwere, lang dauernde, bald tödtlich
endende Krankheitserscheinungen zu erzeugen. Nun wird
es begreiflich, warum unter allen Blutarten das defibrinirte
Rinderblut am schlimmsten wirkt und die schwersten Störungen
nach seiner Transfusion zur Folge hat, denn sein Serum
besitzt, wie Schmidt gezeigt, den relativ höchsten Fermentgehalt. 17)
In keinem Blute, in dem ausserhalb des Körpers
eine Gerinnung und Entfaserung zu Stande gekommen,
fehlt dieses Ferment, es ist in jedem vorhanden. Desswegen
wird bei jeder Transfusion mit defibrinirtem
Blute ein Gift, ein die Blutkörperchen treffendes
und zerstörendes in die Blutbahn gebracht.
Der einer solchen Operation Unterworfene wird durch sie
krank gemacht und war er früher bereits krank, so
fügte der Eingriff zu der schon bestehenden noch eine
zweite und neue Krankheit. Glücklicher Weise besitzt der
Organismus die Möglichkeit und Fähigkeit, mit der ihm
beigebrachten Noxe fertig zu werden. Das Fieber aber,
an dem er in Folge der seinem Blute zugefügten Störung
<<20>>
leidet und das, wie die Enthusiasten der Transfusion
versichern 10), regelmässig sich im Gefühle der Wärmeerhöhung
und des Schüttelfrostes offenbart, dieses Fieber ist
die unausbleibliche Antwort des Organismus auf
den Eingriff, durch welchen man ihn zu heilen, ja wie
oft sogar zu entfiebern 18) versucht hat.

Wir Chirurgen sind heut zu Tage daran gewöhnt, alle
Wundkrankheiten von Schädlichkeiten und Keimen abzuleiten,
die ausserhalb des kranken Organismus entstanden,
also von aussen auch an ihn getreten sind. In der
Fermentintoxication haben wir es aber mit der Wirkung
eines Stoffes zu thun, der innerhalb des betreffenden
Organismus, mitten in seinem Blute sich bildete, geliefert, allein
von den Producten der Auflösung seiner eigensten Bestandtheile,
seiner Blutkörperchen.

Im flüssigen Gewebe, das als Blut in unseren Adern
kreist, sind auch die Zellen die "Mittelpunkte seiner
Thätigkeit" und ist ihre Veränderung das, was die Krankheit
vorstelllt, [!] ein richtiges Blutleiden, ein solches aber kann
nicht ohne Einfluss auf den Zustand aller Organe und aller
übrigen Gewebe des Körpers bleiben. Die grosse Beweglichkeit,
die Mannigfaltigkeit, Veränderlichkeit und Hinfälligkeit
der Blutzellen machen sie zu leicht erkrankenden
Gebilden und stellen in gewissem Sinne wenigstens eine
Hämatopathologie wieder her.

Aber der Gedanke führt mich zu weit. Meine Absicht
war es bloss zu zeigen, in welchem Sinne jede Transfusion
mit defibrinirtem Blute, auch dem der gleichen
Thierspecies, insbesondere also mit defibrinirtem
<<21>>
Menschenblute schädlich wird und jedesmal schädlich
werden muss. So oft durch die Transfusion ein
Verblutender gerettet worden ist, geschah das, weil die
eingespritzte Flüssigkeit durch Spannung der Gefässwände in
die stockende Blutsäule wieder Bewegung brachte, nicht
aber weil neue Blutkörperchen zur Wiederaufnahme der
gefährdeten respiratorischen Thätigkeit des Blutes in den
Kreislauf gebracht worden waren. Im Gegentheile, diese
wurden in ihrem Bestande durch die Operation, welche sie
mehren sollte, geradezu erschüttert. Wir wandten allemal
ein sehr bedenkliches Mittel an und nur, weil wir es meist
in sehr kleiner Doses [!] anwandten, hielten es unsere noch
widerstandsfähigen Patienten aus und überwanden mit dem
alten auch noch den neuen Schaden, den wir ihnen
zugefügt hatten.

Wo die Gaben grösser waren, wo wir wegen fieberhafter
Krankheiten, so z.B. der Septicämie transfundirten,
da gossen wir Oel ins Feuer. Schon der vorausgeschickte
depletorische Aderlass steigerte den vitalen Gehalt
des Blutes an Fibrin-Ferment 19), welcher bei jedem
Fiebernden, 20) insbesondere aber dem septisch Inficirten
vorhanden ist. 21) Folgte nun noch die Transfusion,
so führte die im Transfusionsblute neuerdings zugesetzte
Menge Ferment zu einer so bedeutenden Steigerung
und Anhäufung des letzteren im kreisenden Blute, dass
nur ausnahmsweise das lethale Ende abgewandt werden
konnte. In der That sind fast Neunzehntheil der wegen Septicämie
einer Transfusion Unterworfenen wenige Stunden schon
nach der Operation gestorben. Die anderen starben später.

<<22>>

Wie schon gesagt, zwei Umständen danken wir es, dass
so oft die Transfusion gefahrlos vorübergegangen, ja selbst
ohne wahrnehmbare Störungen von unseren Patienten
vertragen worden ist. In erster Stelle den kleinen
Quantitäten von Blut, die zur Transfusion gewählt wurden,
20-30 Gramm, mit welchen man Phtise, Chlorose und
chronische Darmkatarrhe zu heilen suchte und dann der
grossen Widerstandskraft, mit welcher für
gewöhnlich der Organismus gegen die Wirkungen des
Fibrinferments ausgerüstet ist. Im gegebenen Falle
wird es darauf ankommen, wie gross gerade diese
Widerstandsfähigkeit, d.h. die Leistungen der Ausscheidung und
des Ersatzes im blutempfangenden Individuum sind und dann
darauf, wie gross der Fermentgehalt des zu transfundirenden,
defibrinirten Blutes sich herausgestellt hat. Der letztere
schwankt in weiten Grenzen.

Wenn aber die Transfusion diejenigen Gefahren besitzt,
welche wir Schritt für Schritt von ihr in Erfahrung
gebracht haben, so wird unser fortgeschrittenes und besseres
Wissen uns zu dem Geständnisse nöthigen, dass wir unser
Können in schlimmster Weise gerade bei dieser
Operation überschätzt haben. Wir richteten durch das
mehr als zweifelhafte, ja geradezu gefährliche Mittel nichts
anderes aus, als dass wir in Fällen acuter Anämie die
Thätigkeit des Herzens durch Füllung des elastischen
Gefässrohrs wieder herstellten. Das zu thun sind wir aber
durch Wahl weniger differenter Mittel im Stande, wie uns
ein solches beispielsweise eben in der Kochsalzinfusion
geböten worden ist. Schon ist durch mehrfache Erfahrungen,
<<23>>
unter ihnen auch durch Fälle meiner Klinik, bestätigt
worden, dass die Kochsalzinfusion beim Menschen dasselbe
leistet wie die Transfusion: aus der Bewusstlosigkeit erweckt
sie den Verblutenden und lässt seine unfühlbaren Pulse
wieder schlagen. Es ist denkbar, dass man einmal auch
durch vergifteten Trank einen Verschmachtenden erquickt,
aber wenn sich die gefährliche Gabe durch eine bessere und
unschädliche ersetzen lässt, so begrüssen wir diese Wendung
mit Freuden.

Nur eine Transfusion liesse sich vielleicht rechtfertigen:
die Ueberführung des Blutes aus der Arterie eines Menschen
unmittelbar in die Vene eines anderen Hülfsbedürftigen.
Ich will es dahingestellt sein lassen, ob ein Eingriff, der
so viel Opfer eines Mitmenschen fordert, jemals zu
allgemeiner Verbreitung kommen würde, ich will auch davon
schweigen, dass dieselben Schwierigkeiten, welche im
Anfange des Jahrhunderts eine Gerinnselbildung in den
überleitenden Canülen befürchten liessen, auch heute noch
fortbestehen -- es ist genug, dass ein Weiterleben der rothen
und weissen, durch die Operation übergeführten
Blutkörperchen im Kreislaufe des Blutempfängers in Frage
gezogen werden kann, ja werden muss. Wenigstens lässt
sich, wo volles Thierblut einem Menschen oder einer anderen
Thierspecies zugeleitet wird, mit Sicherheit darthun und
nachweisen, dass beide Arten Blutkörperchen in grösster
Menge zu Grunde gehen.

Die Infusion einer concentrirten Lösung des Blutferments
in die Gefässe eines Thieres bewirkt zunächst und in erster
Stelle die Auflösung der weissen Blutkörperchen und
<<24>>
wol auch nur eines bestimmten Theils und einer bestimmten
Art derselben. Wie diese Auflösung wirkt, ist Gegenstand
der Studien Köhler's, Edelberg's 22), Angerer's 23) und
anderer geworden. Allein in dem transfundirten Blute sind
noch andere destruirende Factoren als das Schmidt'sche
Ferment vorhanden. Es ist schon wiederholentlich erwähnt
worden, dass der Ueberleitung fremdartigen Blutes ausser
dem Fieber, der Dyspnoe, dem Icterus, dem Erbrechen und
den Tenesmen noch sehr gewöhnlich -- nach Hasse's
Berichten wie es scheint immer -- die Entleerung eines
blutig tignirten Harnes folgt. Diese Hämoglobinurie
ist durch Auflösung auch der rothen Blutkörperchen
bedingt. Die Mischung der heterogenen Blutarten lässt die
hinzugeleiteten farbigen Zellen rapide, fast augenblicklich
zu Grunde gehen. Ihr Zerfall liefert aber ein Gift, das
in keiner Officin so wirksam und verderblich hergestellt
werden könnte, wie in dem Körper des der Transfusion
unterworfenen Thieres. Das Hämoglobin nämlich, durch
den erwähnten Auflösungsprocess entbunden, geräth frei in
die Circulation und greift nun in energischer Weise die
Existenz auch der Blutkörperchen des Empfängers an. So
zerstört, statt Blutkörperchen zuzuführen die directe
Thierbluttransfusion auch noch die vorhandenen Sauerstoffträger.
Dem Zerfalle der rothen Blutkörperchen folgt und geht
voran der der weissen. In grosser Menge wird dadurch
das Ferment frei und die höchsten Grade der
Fermentintoxication greifen jetzt das Leben des
Operirten an.

Das fremde Hämoglobin wirkt in dieser Richtung
<<25>>
gerade so, wie das eigene. Hierin besteht kein
Unterschied. Die schwersten Fälle der Fermentintoxication
sind allemal diejenigen, welche mit Hämoglobinurie sich
verbinden.

Obgleich durch Naunyn schon die giftigen Wirkungen
des Hämoglobin bekannt geworden waren, haben doch erst
Alexander Schmidt's und seiner Schüler Studien die
Beziehungen dieses Körpers zum Gerinnungsprocesse und
namentlich der intravasculären Coagulation klar gelegt.

Die Hämoglobinämie spielt auch auf anderen Gebieten,
als dem der Transfusion eine wichtige Rolle. Wie ich
versucht habe, die Erscheinungen der Fermentintoxication
am Krankenbette und in ihrem Verhältnisse zur Intoxication
mit Fäulnissalkaloiden zu gruppiren, so hat Ponfick das
auch soeben 25) mit denjenigen Krankheitsfällen gethan, bei
welchen freies Hämoglobin im kreisenden Blute vorhanden
ist, Fälle, die er zuerst als Hämoglobinämie zusammengefasst
hat. Das Analoge in beiden Krankheitsreihen liegt
auf der Hand, die Begründung des Unterscheidenden bedarf
weiterer Untersuchungen. Ebenso bleibt noch festzustellen,
warum das Hämoglobin einzelner Thiere stärker lösend als
das anderer auf dieselben Blutkörperchen wirkt, ein
Verhältniss, welches den Zerfall der rothen Zellen bei Mischung
heterogener Blutarten wol erklären dürfte. Zunächst steht
nur so viel fest, dass das Hämoglobin ganz nahe verwandter
Thierspecies sich chemisch sehr verschiedenartig verhalten
kann 26).

Doch auch diese Fragen liegen meinem Referate und
meinen Folgerungen ferner, will ich doch nur eines
<<26>>
feststellen, dass eine Thierblut-Transfusion, eine directe
wie indirecte, eine mit ganzem ebenso wie eine
mit defibrinirtem Blute, niemals Blut spendet, sondern
immer nur Blut nimmt und raubt. Die vor noch
nicht zehn Jahren prophezeite, neue, blutspendende Aera in
der Medicin ist, insofern sie von der Lammblut-Transfusion
ihren Ausgang nehmen wollte, bereits im Keime erstickt
und schnell zu Grabe getragen worden. Wir müssen uns
eben im Können bescheiden, so lange wir noch im Wissen
zurückstehen.

An Versuchen, das, was die Infusion nicht leistet, durch
anderweitige Zuführungen dem Blute zu bringen, wird es
nicht fehlen und fehlt es auch schon jetzt nicht. Sie sind
aber alle verfrüht und verfehlt. Als es bekannt wurde,
dass von der Peritonealhöhle aus Flüssigkeiten ausserordentlich
leicht, vollkommen und schnell resorbirt werden,
hat man dieselbe mit defibrinirtem Blute zu füllen und diese
Eingiessungen an Stelle der gewöhnlichen Transfusionen zu
setzen gesucht. Wohl sieht man am Versuchsthiere die
Lymphgefässe des Zwerchfells sich mit rothen Blutkörperchen
füllen, aber auch den schönsten hämatogenen Icterus bekommt
man zur Beobachtung und wird schwerlich das Urobilin im
Harne vermissen, das von der Resorption grosser Extravasate
herrührt und die mit diesen verbundenen Gefahren anzeigt.
Angerer's und Edelberg's klinische wie experimentelle
Untersuchungen über diese Gefahren brechen auch über die
intraperitoneale Transfusion den Stab.

So wahr es ist, dass Geben seliger denn Nehmen thut,
so mag es auch mehr Freude und Befriedigung schaffen,
<<27>>
durch neue Heilmethoden das ärztliche Können zu mehren,
als an den bestehenden zu rütteln und mit beizutragen,
dass an sie die Axt gelegt werde.

Allein es soll der angehende Arzt nicht bloss in Kunst
und Wissenschaft geübt, sondern durch die Zucht seiner
Schule auch zu einer strengen Kritik und Beurtheilung
einer jeden seiner Handlungen angehalten werden.
Seine Pflicht gebietet ihm, diese nur im Lichte des
Erkannten zu prüfen und sich allzeit an die Schranken zu
erinnern, die ihm der jeweilige Stand des medicinischen
Wissens zieht.

Allerdings giebt die Pflicht als solche uns noch kein
schöpferisches Vermögen, denn sie ist bloss ein Zuchtmittel
unseres Geistes. Ohne Zucht aber gegen sich selbst, ohne
pflichtgemässe Nöthigung giebt es keine nachhaltige
Thatkraft und keine Treue im Berufe.

Zu einer solchen soll gerade in dieser Bildungsanstalt
der Sanitätsofficier erzogen werden, damit ihm dereinst
die Fülle der ärztlichen Arbeit und die Pflicht des
verantwortlichen Führers anvertraut werden können.

Das ist der erhabene Wille unseres deutschen Kriegsherrn,
den zu erfüllen in Gehorsam und Aufopferung auch
wir uns zur besonderen Standesehre rechnen.

Gott schützte, Gott erhalte, Gott segne Seine
Majestät, den Kaiser!

<<28>>

ANMERKUNGEN.

1) Mackenzie: History of Health and the art of preserving it.
Edinburg 1760

2) Lower nach Robert Boyle in Philosophical Transactions Vol. I
p. 125.

3) Scheel: Die Transfusion des Blutes und Einspritzung der
Arzneien in die Adern. Kopenhagen 1802-1803.

4) Martin: Ueber die Transfusion bei Blutungen Neuentbundener.
Berlin 1859

5) Gesellius. Zur Thierblut-Transfusion beim Menschen.
Leipzig 1874. S. 17.

6) Malachia de Cristoforis: La trasfusione del sangue, in Annali
univ. di Med. e. Chir. 1876. Ottbr.

7) Hüter: Langenbeck's Archiv für klinische Chirurgie. Bd. XII. S. l.

8) U. Kronecker und J. Sander: Berliner klinische Wochenschrift
1879, Nr. 52. -- E. Schwarz: Ueber den Werth der Infusion alkalischer
Kochsalzlösung in das Gefässsystem bei acuter Anämie.
Habilitationsschrift. Halle 1881. -- v. Ott: Virchow's Archiv für
pathologische Anatomie. Bd. 93. 1883.

9) Sörensen: Undersögelser om Awtallet ot rode og huide
Blodlegemer under fors kjellige physiologiske og pathologiske Tilstande.
Diss. Kjöbenhavn 1876. -- Lion: Virchow's Archiv. Bd. 84. 1881.
-- Hünerfauth: Virchow's Archiv. Bd. 76. 1879. S. 327.

10) [10-bis)] Hasse: Die Lammblut-Transfusion beim Menschen. St. Petersburg
1874. "Dann beginnt Dyspnoe, gefolgt von einem Gefühle von
Vollsein des Leibes, von Uebelkeit, Brechneigung, ja selbst von
unwiderstehlichem Stuhldrang." Auch Kopfschmerz, Schwindel und kurze
<<29>>
Bewusstlosigkeit werden beobachtet. "Zehn Minuten bis eine Stunde
nach der Transfusion stellte sich Frost ein, oft zum heftigen Schüttelfrost gesteigert, dann ein Hitzestadium mit Erhöhung der Körpertemperatur
um mehrere Grade." "Der schon einige Stunden oder erst am
nächsten Morgen nach der Operation gelassene Urin war von schwärzlich
rother Farbe, enthielt Eiweiss und Blutfarbstoff." -- Ueber denselben
Frost 1/2-2 Stunden nach der Operation in fast allen seinen Fällen
von Transfusion defibrinirten Menschenblutes berichtet Heyfelder:
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1874. Bd. IV. S. 496. Auch Neudörfer:
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1876. Bd. VI. S. 76 bezieht den nach
einer Stunde eintretenden Schüttelfrost auf seine Transfusionen mit
defibrinirtem Blute- [!]

11) Ponfick: Virchow's Archiv. Bd. 62. S. l.

12) Magendie: Lecons sur le sang et les alterations de ce liquide.
Phenomènes physiques de la vie. Paris 1838. t. IV.

13) Armin Köhler: Ueber Thrombose und Transfusion, Eiter und
septische Infection und deren Beziehungen zum Fibrinferment. Dorpat 1877.

14) Cohnheim: Vorlesungen über allgemeine Pathologie. 1877.
Bd. I. S. 346.

15) Köhler l.c. Birk: Das Fibrinferment im lebenden Organismus.
Dorpat. Dissert. 1880.

16) v. Bergmann und Angerer: Festschrift der medicinischen
Facultät zum 300j. Jubiläum der Univers. Würzburg. 1882.

17) A. Schmidt: Pflüger's Archiv. Bd. VI. 1872.

18) Hüter: Allgemeine Chirurgie. 1873. S. 644.

19) Bojanus: Experimentelle Beiträge zu Physiologie und Pathologie
des Blutes der Säugethiere. Dorpat 1881. Der vitale d.h. im
circulirenden Blute vorhandene Fermentgehalt des Blutes steigerte sich
bei einem Schaafe nach einem Aderlasse von 1,4 auf 2,7, bei einem
Hunde von 7,1 auf 28,5.

20) Edelberg: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1880. Bd. 13
S. 111.

21) Bojanus l.c. S. 53. Bei einem Schaafsbocke, dem faulendes
Fleischwasser in eine Vene injicirt worden war und der nach 6_1/2 Stunden
der putriden Intoxication erlag, war der vitale Fermentgehalt von 1,0
auf 20,0 gestiegen, bei einem Lamme (Exp. 12) von 8,3 auf 35,3, bei
einem Kalbe (Exp. 13) von 8.7 auf 100,0. Im Fieber nimmt nach
<<30>>
Maissurianz (Experimentelle Studien über die quantitativen Veränderungen
der rothen Blutkörperchen im Fieber. Dorpat 1882. S. 37)
der Gehalt des Blutes an farblosen Blutkörperchen ab, nicht selten
auf einen Rest von 5-10%.

22) Edelberg: Archiv für Pharmacologie und experimentelle
Pathologie. Bd. 12. 1880. S. 283.

23) Angerer: Klinische und experimentelle Studien über die
Resorption grosser Blutextravasate. Würzburg 1879.

24) Sachsendahl: Ueber gelöstes Hämoglobin im circulirenden
Blute. Dorpat. Dissert. 1880. und Maissurianz l.c. S. 40 "Das
mächtigste Mittel zur Herbeiführung eines explosionsartigen Zerfalls
der farblosen Blutkörperchen und einer plötzlichen, hochgradigen
Accumulation des Fibrinferments im circulirenden Blute ist das Hämoglobin
im gelösten Zustande. -- Es ist dabei gleichgiltig, ob die
Hämoglobinlösung aus dem Blute des Versuchsthieres selbst oder einer
fremden Thierspecies genommen worden ist. Je frischer die Hämoglobinlösung,
desto gefährlicher wirkt sie. Krystallisirtes Hämoglobin ist
unwirksam. Auch Injection von destillirtem Wasser führt die geschilderten
Blutveränderungen nebst fieberhaften Körpertemperaturen herbei,
doch sind dazu grosse Wassermengen erforderlich und der Effect ist
verhältnissmässig gering, wie das schon v. Bergmann hervorhebt,
welcher Autor zuerst auf die fiebererregende Wirkung des Wassers
aufmerksam gemacht hat. Das Auftreten von Hämoglobin im Harn
nach Wasserinjectionen, sowie der Nachweis desselben in der
Blutflüssigkeit der betreffenden Versuchsthiere führt zur Annahme, dass
die schädlichen Folgen der Wasserinjectionen wesentlich auf die,
durch die blutkörperchenlösende Wirkung des Wassers bedingte Gegenwart
von gelöstem Hämoglobin im Blute beruhen." Nicht bloss nach
Injection von Wasser und von Fermentlösungen, sondern auch nach
Incjection [!] klar filtrirter, faulender Flüssigkeiten tritt nicht selten
Hämoglobin im Harne auf. Es scheint hierfür wesentlich die Quantität
der injicirten Jauche oder Fermente massgebend. Wenn defibrinirtes
Blut in der indirecten Transfusion gleichartigen Blutes für gewöhnlich
keine Hämoglobinurie macht, so ist der Grund hierfür der, dass es
seine Wirkung auf die Auflösung der weissen Blutkörperchen beschränkt.
Umgekehrt werden wir dort, wo nach direkter Transfusion von Thierblut
beim Menschen Hämoglobinurie auftritt, eine hochgradige Zerstörung
<<31>>
weisser sowol als rother Blutkörperchen annehmen dürfen, eine
Zerstörung, die höhere und höchste Grade der Fermentintoxication zur
Folge haben kann. In der Wirkung der verschiedenen Transfusionen
werden wir eine gleiche Scala der Gefahr wie nach den Injectionen
von Pepsin und Pancreatin (v. Bergmann und Angerer l.c. S. 13)
zusammenstellen können: geringere Wirkungsgrade, die sich nur im
Fieber äussern, Repräsentanten der schweren Fermentintoxication
Köhler's, wo zum Fieber Dyspnoe, Erbrechen, Diarrhoeen, Hämoglobinurie
treten und schwerste Fälle, die schnell durch ausgedehnte Gerinnungen
in den grösseren Gefässen oder dem Capillarraume der Lungen tödten.

25) Ponfick: Ueber Hämoglobinämie und ihre Folgen in der
Berliner klinischen Wochenschrift 1883. No. 26.

26) Körber: Ueber Differenzen des Blutfarbstoffes. Dissert.
Dorpat 1866.


tg, XI/2002