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Die Arbeit der Paläodetektive

uniforum am 13. Dezember 2018

Eine quartäre Landschaft auf Fuerteventura. Die Person steht auf einem erkalteten Lava-Strom, der ein hemaliges Tal verschüttet hat. In der Bildmitte ist ein Paläodünenfeld zu sehen, in dem sich zahlreiche tiefe Erosionsrinnen gebildet haben. (Foto: Thomas Kolb)
Team der Physischen Geographie rekonstruiert Paläolandschaften in einer höchst komplexen Puzzlearbeit – Von
Klima- und Umweltarchiven in den Landschaften der Erde

Von Dr. Thomas Kolb

Wie sahen unsere Landschaften in den Kaltzeiten und den wärmeren Interglazialen der letzten 2,6 Millionen Jahre aus? Da niemand prähistorische Landschaften unmittelbar gesehen hat und davon berichten könnte, ist die Forschung auf indirekte Quellen angewiesen, die Auskunft geben können über die Beschaffenheit solcher Landschaften, über ihre klimatischen Rahmenbedingungen, die Charakteristika von Böden und über Zusammensetzung und Dichte der Vegetationsdecke.

Solche komplexen Puzzles zu lösen, ist der Forschungsschwerpunkt der Gießener Arbeitsgruppe für Physische Geographie um Prof. Dr. Markus Fuchs. Auf unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Skalen befassen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Teams mit der Rekonstruktion von Paläolandschaften.

Wie aber arbeiten diese Paläodetektive? Anders als bei Berichten über die heutige Antarktis gab es damals kein Fernsehteam, das diese beeindruckenden Landschaften hätte dokumentieren können. Es gibt nicht einmal schriftliche Aufzeichnungen oder mündliche Überlieferungen, auf die man sich stützen könnte. Immerhin: Höhlenzeichnungen prähistorischer Menschen geben uns einen kleinen Einblick in die eisige Welt unseres Kontinents. Aber auch diese Zeugnisse beschränken sich auf einen eher kurzen Zeitabschnitt: Die ältesten bislang entdeckten Höhlenmalereien in der spanischen El-Castillo-Höhle werden auf circa 40.000 Jahre datiert. Sie reichen also gerade einmal bis etwa zur Hälfte der letzten Kaltzeit zurück. Und was ist mit dem Rest der 2,6 Millionen Jahre?

Sedimente voller Indizien

Profilaufschluss fluvialer Sedimente der Lahn. Mit geeigneten Analyse- und Datierungsmethoden ist es möglich, diese Ablagerungen zur Rekonstruktion der Paläo-Umweltbedingungen zu nutzen. (Foto: Veit van Diedenhoven)
Er lässt sich nur durch eine enge Verzahnung von Quartärforschung und Geomorphologie ergründen: Den Schlüssel bilden dabei Klima- und Umweltarchive, die es in den vielfältigen Landschaften der Erde zu finden, zu analysieren und zu interpretieren gilt. Zu solchen Archiven zählen die natürlichen Ablagerungen
von Flüssen, ebenso wie vom Wind transportierte und akkumulierte Sedimente, die sich in Trockengebieten zu Dünen aufschichten oder als mächtige Lössdecken in Erscheinung treten können. Limnische Sedimente ebenso wie Ablagerungen in natürlichen Höhlensystemen erweisen sich oftmals als hochaufgelöste Informationsspeicher.

Aber wie ist es möglich, aus sedimentären Ablagerungen Rückschlüsse auf vergangene Klima- und Umweltverhältnisse und deren Veränderungen abzuleiten? Dabei helfen unter anderem terrestrische Mollusken, die sehr sensitiv auf Veränderungen von Temperatur und Feuchtigkeit reagieren. Findet man in einem Sedimentpaket eine Molluskenvergesellschaftung, so ist es möglich, aus der Zusammensetzung ihrer Arten Rückschlüsse zu ziehen auf die klimatischen Verhältnisse, die zu den Lebzeiten dieser Mollusken in der fraglichen Region vorherrschend gewesen sein müssen. Aus dem Verhältnis von juvenalen zu adulten Tieren kann man Aussagen über die Dauer der Vegetationsperiode ableiten.

Findet man mehrere solche Vorkommen in unterschiedlichen Sedimentpaketen eines Profilaufschlusses, kann die Veränderung ihrer jeweiligen Zusammensetzung als Indiz dafür genutzt werden, in welcher Weise sich die klimatischen Gegebenheiten verändert haben müssen. Das Alter der Sedimente lässt Rückschlüsse darauf zu, wie schnell sich Klimaveränderungen abgespielt haben.

Durch die Analyse von äolischen Sedimenten wiederum können Windgeschwindigkeiten und vorherrschende Windrichtungen bestimmt werden. Chemische und mineralogische Analysen der Sedimente erlauben es, Liefergebiete räumlich einzugrenzen und damit indirekt Informationen über die Dichte bzw. das Fehlen einer schützenden Vegetationsdecke in diesen Gebieten zu erhalten.

Einfluss des Menschen

Spätestens ab dem Neolithikum prägt der Mensch durch Ackerbau und Viehzucht seine Umwelt, die zunehmend von einer Naturlandschaft zu einer Kulturlandschaft wurde. Diese menschlichen Eingriffe und ihre Intensität lassen sich ebenfalls in Sedimenten nachweisen – die sogenannte Geoarchäologie ist ein
Schwerpunkt der Gießener Arbeitsgruppe. Besonders wichtig sind anthropogene Hangfußsedimente,
die dadurch entstanden sind, dass der Mensch auf den Hochflächen Wälder gerodet und damit Freiflächen geschaffen hat, die Angriffsmöglichkeiten für Bodenerosion boten. Ist es möglich, das Ablagerungsalter dieser Sedimente zu bestimmen, so kann man Aussagen über die Besiedlungsgeschichte eines Raumes
tätigen.

Hinzu kommen die Höhlensedimente, in denen vielfältige menschliche Hinterlassenschaften zu finden sind: Feuerstellen, Steinwerkzeuge, Schmuckgegenstände, Malereien, Pflanzenreste oder Knochen von Tieren, die als Nahrungsmittel dienten. All diese Zeugnisse ermöglichen Rückschlüsse auf die Organisation des menschlichen Zusammenlebens und auf die Art und Weise, wie Menschen in unterschiedlichen Epochen mit ihrer Umwelt interagierten.

Bei der Entschlüsselung dieser komplexen Problemstellungen kommt der exakten Datierung von Sedimentpaketen und damit ihrer Chronologie eine entscheidende Bedeutung zu. Daher liegt der methodische Arbeitsschwerpunkt des Teams um Prof. Fuchs auf der Anwendung und Weiterentwicklung moderner numerischer Datierungsverfahren. Die Arbeitsgruppe greift dabei insbesondere auf verschiedene Verfahren der Lumineszenzdatierung zurück, die über das Phänomen des sogenannten „kalten Leuchtens“ eine direkte Datierung von Sedimenten ermöglichen.

 

uniforum 31 (2018) Nr. 5