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Plasmaphysik

Komplexe Plasmen 

Mikropartikel in einem Plasma bilden einen Plasmakristall
Geladene Mikropartikel in einem Plasma bilden einen zweidimensionalen Plasmakristall (Quelle: MPE/MK)
Komplexe oder staubige Plasmen sind ionisierte Gase, die neben Elektronen, Ionen und Neutralgas noch Mikropartikel, z.B. Staub, enthalten. Die Plasmen werden in Niedertemperaturentladungen (Hochfrequenz- oder Gleichstromentladungen) meistens in Edelgasen bei geringem Druck (ca. 1 mbar) erzeugt, denen monodisperse, sphärische Mikropartikel (1 – 10 Mikrometer Durchmesser) zugegeben werden. Durch Elektronenanlagerung laden sich diese Mikropartikel stark negativ auf (103 – 105 e) und wechselwirken über die Coulombkraft miteinander. Die starke Kopplung zwischen den Teilchen kann dazu führen, dass sich die Teilchen in einer geordneten Struktur, dem sogenannten Plasmakristall anordnen.

 

Neben Anwendung in der Plasmatechnologie, z.B. bei der Mikrochipherstellung durch Plasmaätzverfahren, und der Astrophysik (Kometen, Planetenringe, Staubscheiben um junge Sterne, interstellare Gas- und Staubwolken) eignen sich komplexe Plasmen hervorragend als Modellsysteme für stark-gekoppelte Vielteilchensysteme in der Festkörperphysik, der Physik der Flüssigkeiten, der Plasmaphysik bis hin zur Kernphysik. Dies beruht insbesondere darauf, dass sich komplexe Plasmen im Labor leicht herstellen und untersuchen lassen.

 

Zur Auswertung dienen Bilddaten, die durch Laserbeleuchtung und Aufnahme der Mikropartikel mittels CCD/CMOS-Kameras erzeugt werden. Allerdings können auf der Erde komplexe Plasmen nur in der Plasmarandschicht beobachtet werden, in der die elektrischen Felder stark genug sind, um die geladenen Mikropartikel in der Schwebe zu halten. Eine ungestörte und großräumige Untersuchung komplexer Plasmen ist nur in der Schwerelosigkeit möglich. Deshalb werden in Zusammenarbeit mit der DLR Forschergruppe „Komplexe Plasmen“ (Oberpfaffenhofen), dem Joint Institute for High Temperatures in Moskau, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR Bonn), der European Space Agency (ESA) und Industriepartnern seit Jahren Experimente mit komplexen Plasmen auf der Internationalen Raumstation (ISS) und in Parabelflügen vorbereitet und durchgeführt.

 

Die AG Plasma- und Raumfahrtphysik befasst sich mit Laboruntersuchungen von komplexen Plasmen und plant und testet Experimente für die ISS mit der Apparatur PK-4 („Plasmakristallexperiment 4“), die seit 2014 auf der ISS betrieben wird. Dazu verfügt die AG über ein baugleiches Modell, das sog. SRM (Science Reference Model). Damit werden Experimente geplant und weitgehend automatische Abläufe programmiert. In den Projekten COPLAMA und AIMS, die in Kooperation mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) durchgeführt werden, wird momentan auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Durchführung und Auswertung von Experimenten getestet.

Daneben werden auch Versuche mit einem Parabolic Flight Model von PK-4 in Parabelflügen durchgeführt. Dieses ist nahezu identisch zum Flugmodell (FM), kann aber für weiterführende Experimente modifiziert werden, was beim FM und SRM nicht möglich ist. So können z.B. andere Teilchensorten verwendet oder Komponenten, wie Kameras, modernisiert werden.

In der AG werden auch theoretische Untersuchungen und Simulationen von komplexen Plasmen und den verwendeten Plasmakammern vorgenommen. Die Gruppe verfügt über einen supraleitenden Magneten, der es ermöglicht, komplexe Plasmen bei Feldstärken bis 4 Tesla zu untersuchen. Außerdem wird ein Versuch zum Thema Plasmakristalle im Fortgeschrittenenpraktikum des Physikstudiums angeboten. Hierzu wird ein baugleiches Modell der Plasmakammer verwendet, die 2001 als erstes Plasmakristallexperiment und erstes physikalisches Experiment überhaupt auf der damals neuen ISS eingesetzt wurde.


Die PK-4 Apparatur (Quelle: DLR)


Parabelflugexperimente mit PK-4 (Quelle: ESA)

 

Plasmamedizin und –dekontamination

Am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching wurden bis 2013 in Zusammenarbeit mit medizinischen Einrichtungen seit Jahren Plasmen zur Wundheilung untersucht und am Patienten in klinischen Studien erfolgreich eingesetzt. Dazu wurden aus den Erfahrungen beim Bau von Plasmakammern für die Erforschung komplexer Plasmen Plasmageräte, insbesondere zur Erzeugung kalter atmosphärischer Plasmen, entwickelt, die in der Lage sind, Keime (Bakterien, Pilze, Viren, Sporen) abzutöten, ohne der Haut zu schaden.

 

Untersuchungen zur Abtötung von Bakterien werden in der AG Atom-, Plasma- und Raumfahrtphysik zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Institut für Mikrobiologische Medizin der JLU und der Firma terraplasma GmbH, einem Spin-off des MPE, durchgeführt. Außerdem werden Plasmageräte für medizinische Zwecke entwickelt und getestet. Ein Schwerpunkt stellt die Sterilisation verschiedener Oberflächenmaterialien im Hinblick auf die Krankenhaushygiene dar.     

 

Plasmagerät zur Sterilisation (Quelle: MPE)

 

Beitragende
Michael Kretschmer