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Weihnachtsessen in Zeiten von Corona 2020 - Ergebnisse unserer X-Mas Umfrage

15.01.2021: Die Ergebnisse der Weihnachtsumfrage sind da! Aus knapp 700 ausgefüllten Fragebögen zum Thema Weihnachtsessen in Zeiten von Corona zeigen wir hier wie und mit wem was gegessen wurde. Vielen Dank fürs Mitmachen!

„Wir bleiben zuhause“

Weihnachten im Jahr 2020 stand unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Angesichts des zu dieser Zeit anhaltend hohen Infektionsgeschehens appellierte die Bundesregierung nachdrücklich an alle BürgerInnen, Kontakte in den fünf bis sieben Tagen vor Familientreffen an Weihnachten auf ein absolutes Minimum zu reduzieren (sog. „Schutzwoche“). Die konkreten Regelungen betrafen neben den privaten Zusammenkünften in der Weihnachtszeit auch weitere Aspekte des öffentlichen Lebens (weitgehende Schließung des Einzelhandels, Einschränkungen des Außer-Haus-Verzehrs, Verbot öffentlichen Alkoholkonsums etc.), mit denen bundesweit der Grundsatz „Wir bleiben zuhause“ umgesetzt werden sollte. Im Jahr 2020 war also nichts mit Glühwein trinken auf dem Weihnachtsmarkt oder großen familiären Treffen an den Weihnachtstagen mit üppigen Festessen, oder vielleicht doch?

Was macht das mit uns und unserem Weihnachtsessen?

Erste Studien zeigen, dass sich die Corona-bedingten Einschränkungen für soziale Zusammenkünfte sowie der Grundsatz „Wir bleiben zu Hause“ auf das Ernährungsverhalten und den Gesundheitszustand der Bevölkerung auswirken (s. Blogbeitrag Corona & Ernährungskommunikationsforschung). Vor diesem Hintergrund haben wir in unserer Umfrage danach gefragt, wie sich die Corona-Bedingungen Weihnachten 2020 auf die sozialen Funktionen von Ernährung auswirken. Weihnachtsmahlzeiten sind in unserer Gesellschaft außeralltägliche, private Formen der Mahlzeiten, die v.a. gemeinsam mit der Familie und zumeist auch dem erweiterten Familienkreis zusammenbringen und bei denen nicht die Nahrungsaufnahme, sondern die sozialen Funktionen im Vordergrund stehen. Gerade an den kulturell bedeutsamen Weihnachtsessen erscheinen die sozialen und gemeinschaftsstiftenden Funktionen der Ernährung als besonders ausschlaggebend und Einschränkungen und Veränderungen durch die Corona-Bedingungen als wahrscheinlich.

Wen haben wir dazu befragt?

Um mehr zu dem Thema zu erfahren, haben wir eine Onlineumfrage vom 26.12.2020 - 04.01.2021 durchgeführt. Insgesamt konnten wir so 681 vollständige Fragebögen gewinnen, von denen nach einer Plausibilitätsprüfung 679 in die Auswertung einbezogen wurden. Der Frauenanteil ist mit 83 % überdurchschnittlich hoch. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren, wobei der Anteil der 20-29-Jährigen überwiegt.

 

Die meisten Befragten haben an den Weihnachtsfeiertagen zu Hause gegessen. Diejenigen, die in einem  anderenHaushalt gegessen haben (zwischen 34-40 %), taten dies überwiegend bei den Eltern bzw. Schwiegereltern (72-77 %); lediglich 7-10 % gaben an, bei den Großeltern gegessen zu haben. Leider liegen uns hierfür keine Vergleichsdaten zu den Vorjahren vor, aber wir können vermuten, dass die Großeltern in diesem Jahr weniger aufgesucht wurden, da sie womöglich zur Risikogruppe gehören.

 

 

Anders war bei den meisten definitiv die Anzahl der Personen, die 2020 an der Weihnachtstafel zusammengekommen sind. An allen drei Weihnachtstagen sind bei mehr als 60 % der Befragten mindestens eine Person, eher mehr als zwei oder drei Personen weniger zum Weihnachtsessen zusammengekommen als in den Vorjahren. Bei etwa einem Drittel der Befragten gab es an allen drei Weihnachtstagen keine nennenswerten Veränderungen zu den Vorjahren.

Für fast die Hälfte unsere Befragten war auch während des Essens an Weihnachten 2020 einiges anders. 46 % unserer Befragten haben wegen der Infektionsgefahr bestimmte Vorkehrungen getroffen.

 

 

Offensichtlich haben wir die vielfältigen Möglichkeiten der Schutzvorkehrungen unterschätzt. 95 Personen gaben an, sonstige Vorkehrungen getroffen zu haben. Die drei häufigsten Aspekte waren hierbei: „Corona-Schnelltest vor Zusammentreffen“ (n=39), „7-tägige Selbstquarantäne“ (n=18) und „keine Umarmungen“ (n=9), die wir in die Abbildung integriert haben. Weitere Nennungen (< 5 bzw. 3) sind in der Abbildung unten dargestellt, bspw. gab es auch Personen, die nicht physisch anwesend zusammen gegessen haben, sondern virtuell mittels Skype das Weihnachtsmahl gemeinsam genossen haben:

 

 

Mediatisierung an der Weihnachtstafel?!

Bei dem Altersschnitt unserer Befragten könnte man davon ausgehen, dass mehrere Personen das physisch gemeinsame Essen durch virtuelle Möglichkeiten kompensiert haben. Aber nur etwa jede/r Dritte (34 %) unserer Befragten hat beim Weihnachtsessen technische Möglichkeiten genutzt, um andere – v. a. Familienangehörige bzw. Verwandte oder Freund*innen, die nicht dabei sein konnten – virtuell an der Situation teilhaben zu lassen – dazu wurden meist Videochat-Dienste genutzt oder Fotos geteilt.

Fotos haben auch ähnlich viele der Befragten (33 %, n=190) von der Zubereitung des Weihnachtsessens sowie von den zubereiteten Gerichten gemacht. Davon haben auch nahezu alle (81 %) diese Fotos auch über einen Messenger-Dienst, wie bspw. WhatsApp, Signal etc. geteilt – zumeist mit Familienmitgliedern bzw. der Verwandtschaft (85 %), FreundInnen (53 %) und der/dem PartnerIn (20 %). Von den 190 Personen, die Fotos gemacht haben, haben 20 % diese auch auf einer Social Media-Plattform geteilt – am häufigsten auf Instagram (60 %), gefolgt von Facebook (38 %). Dieser Befund bestätigt die Relevanz von Instagram als derzeit bedeutendste Plattform visueller Ernährungskommunikation.

 

Abbildung 2: Fotos vom Weihnachtsessen oder dessen Zubereitung unserer Befragten

 

Bei der Frage, warum diese Fotos geteilt wurden, waren sich unsere Befragten einig: 91 % wollten andere, die nicht dabei waren, an der Situation teilhaben lassen und so die physische Distanz überwinden. Mehr als 70 % waren aber auch stolz auf das zubereitete Gericht oder teilen sowieso immer Fotos von ihrem Essen, auch wenn gerade nicht Weihnachten ist. 57 % wollten sich in der Begründung nicht festlegen und haben einfach so Fotos geteilt. Besonders interessant ist, dass nur ein Drittel der 190 Sharer Fotos teilt, um jemanden, bspw. Mama oder Oma, zu zeigen, dass Traditionen aufrechterhalten bleiben, auch wenn Weihnachten 2020 vielleicht keiner dabei war, der auf ihre Einhaltung pocht.

 

 

Verändert Corona das Weihnachtsessen?

Da das Weihnachtsessen als Festmahlzeit gilt, wollten wir wissen, wann ein Essen an Weihnachten als festlich angesehen wird. Bei 70 % der Befragten gab es Weihnachten ein ihrer Ansicht nach traditionelles Gericht. Für 35 % musste es nicht nur ein traditionelles Weihnachtsgericht sein, sondern es sollte auch selbst zubereitet sein. Während an Heiligabend Kartoffelsalat und Würstchen dominierten, waren es am 25.12. Gans oder Ente mit Rotkohl und Klößen. Am 26.12. variierten die Gerichte und es wurden auch häufiger Reste der Vortage aufgetischt.

 

Trotz Corona geben nur wenige an, nicht das gleiche wie sonst gegessen zu haben (je nach Feiertag zwischen 11-14 %). Als Gründe für die Veränderung wurde u. a. angegeben:

  • dass die Großeltern nicht besucht wurden und die diese Gerichte üblicherweise zubereiten,
  • dass der Aufwand für weniger Gäste zu groß war (bspw. Gans, Brunch),
  • dass Raclette aufgrund der Corona-Infektionsgefahr zu gefährlich sei,
  • dass kein Restaurantbesuch möglich war,
  • dass Angst vorm Einkaufen bestand und dadurch verschiedene Lebensmittel nicht eingekauft waren,
  • dass Fondue mit wenigen Personen keinen Spaß macht, oder
  • dass aufgrund weniger Gäste mehr Unabhängigkeit bestand und daher etwas Neues ausprobiert wurde.

Wenn dieses Jahr etwas anderes an Weihnachten auf den Tisch kam, dann hatte das also entweder damit zu tun, dass es wegen Corona nicht möglich war das Übliche zuzubereiten oder weil die Planung der Gerichte in Abhängigkeit von der meist verminderten Anzahl der tatsächlich anwesenden Personen erfolgte.

Auch wenn sich Corona bei den meisten nicht so stark auf die Gerichte zum Weihnachtsfest ausgewirkt hat, so gab es doch einige Veränderungen rund um die Beschaffung und Zubereitung des Essens. Unter den Umständen wurde in vielen Familien das Weihnachtsgericht gemeinsam zubereitet („stimme zu“: 37 %; „teils, teils“: 30 %). Viele haben auch Plätzchen an Personen versendet oder vorbeigebracht, die man nicht sehen konnte. Erstaunlicherweise wurden 2020 auch mehr Bio-Produkte verwendet als in den Jahren zuvor. Dieses Ergebnis bestätigt Erkenntnisse anderer Studien, die ein gesteigertes Bewusstsein für regionale und ökologische Lebensmittel während der Corona-Pandemie gezeigt haben.

Geschlossene Restaurants, und nun?

Nur rund ein Fünftel der Befragten (22 %) geht üblicherweise an einem der Weihnachtsfeiertage auswärts in einem Restaurant essen – vornehmlich am 26.12. (45 %). Das war an Weihnachten 2020 ja leider nicht möglich. Zwei von drei Befragten, die an den Weihnachtstagen sonst üblicherweise zumindest einmal in einem Restaurant essen gehen, gaben an, das Essen stattdessen selbst zubereitet zu haben. An zweiter Stelle folgt die Nennung „ich/wir haben Essen von einem Restaurant bestellt“ (20 %, n= 30). Hier interessierten uns die Gründe. Genannt wurden von diesen 30 Personen v. a. das Restaurant dadurch unterstützen zu wollen (87 %), gefolgt von „Damit es ein bisschen so ist, wie sonst auch“ (33 %) und „ich/ wir wollten nicht selber Essen zubereiten“ (30 %). Nur wenige gaben sonstige Gründe an (3 %).

Es war anders – aber war es deshalb auch schlechter?

Auf die Frage, ob und was in Bezug auf das Weihnachtsessen im Corona-Jahr vermisst wurde, gibt zwar rund jeder vierte Befragte an, dass es gut war so wie es war, die Mehrheit aller Befragten (60 %) aber Personen vermisste, die aufgrund von Corona nicht dabei sein konnten. 22 % unserer Befragten gaben außerdem an, dass sie etwas in Bezug auf die sonst üblichen Situationen oder Momente beim Weihnachtsessen vermisst haben.

         

 

 

Abbildung 3: Sehnsüchte in Bezug auf die sonst üblichen Situationen beim Weihnachtsessen

 

Auffällig ist dabei, dass besonders das gemeinsame Zusammensitzen am Tisch, die Umarmungen mit den Liebsten, aber auch das Singen an der Weihnachtstafel beim Fest 2020 einigen gefehlt haben. Wie die Ergebnisse zur Nutzung digitaler Möglichkeiten an der Weihnachtstafel oben zeigen, wurden diese Rituale beim gemeinsamen Weihnachtsessen auch größtenteils nicht anderweitig kompensiert. Geht ja auch schlecht – während gemeinsames Singen virtuell noch praktikabel wäre, sind Umarmungen und enges Beisammensitzen nur schwer möglich.

Die Ergebnisse unserer Weihnachtsumfrage unterstreichen die Bedeutung sozialer Funktionen von Mahlzeiten wie denen an Weihnachten. Sie zeigen, dass nicht nur die Gerichte bei der Mehrheit traditionell und überindividuell reguliert sind, sondern auch die Zusammenkunft der Personen zu den Weihnachtsmahlzeiten bestimmten gesellschaftlichen Übereinkünften folgt – Weihnachten wird mit dem engsten Kreis der Familie gefeiert, besonders an Heiligabend. Weihnachtsmahlzeiten können ein besonders intensives Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln, und da an Weihnachten 2020 gerade die ältere Generation Abstand halten musste, war die sonst übliche familiäre Gruppe bei vielen unserer Befragten nicht vollständig und einzelne Personen wurden vermisst. Bei einigen unserer Befragten wirkte sich das so sehr auf das Weihnachtsessen aus, dass durch die Abwesenheit bestimmter Personen keine wie sonst übliche festliche Zusammenkunft am Tisch stattfand und sonst übliche, traditionelle „Regeln“ nicht befolgt werden konnten.

Was bleibt, ist das Essen

Was wir resümieren können aus unserer Weihnachtsumfrage ist, dass vieles anders war an Weihnachten 2020, einiges aber auch so wie immer. Natürlich wirken sich gesellschaftliche Prozesse und weitreichende Ereignisse wie die Corona-Pandemie auf unser Ernährungsverhalten aus. Soweit, dass sie sich nicht nur bei der Beschaffung, -organisation und -zubereitung, sondern auch bei der Situation beim Weihnachtsessen bemerkbar machen und unser Handeln mitbestimmen. Wir konnten feststellen, dass alle unsere Befragten ein Weihnachtsessen und die meisten sogar ein traditionelles zu sich genommen haben und es stellt sich die Frage, inwieweit damit etwas Verlässliches in diese turbulenten Zeiten gebracht wurde? Mahlzeiten, egal ob alleine, mit weniger Personen als sonst oder in der Gruppe, geben uns einen strukturierenden Rhythmus vor. Unsere Ernährungskultur ist gekennzeichnet durch eine bestimmte Lebensmittelauswahl, Art der Zubereitung und der Art und Weise des Verzehrs. Mahlzeiten sind Bestandteil dieses „sozialen Netzes“ und bei Anlässen wie dem Weihnachtsfest wirken sie durch ihren Wiedererkennungswert synchronisierend für alle Beteiligten. Ob ihre Funktion eines gesellschaftlichen Ordnungssystems, das unseren Lebensrhythmus strukturiert und mitbestimmt, durch die Corona-Bedingungen an Bedeutung gewonnen hat, muss durch weitere Analysen gezeigt werden – die Ergebnisse geben erste interessante Hinweise darauf.

 

Autorinnen: Dr. Tina Bartelmeß, Dr. Juliane Yildiz, Prof. Dr. Jasmin Godemann