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„Friday in Venice“ auf der Architekturbiennale Venedig - ZMI fördert Michael Schindhelms transmediales Erzählprojekt LAVAPOLIS

„Friday in Venice“ auf der Architekturbiennale Venedig 

ZMI fördert Michael Schindhelms transmediales Erzählprojekt LAVAPOLIS

(Quelle: vimeo.com)

Stellen Sie sich vor, Sie lesen ein Buch, besuchen eine Webseite oder schauen sich eine Theater-Performance an und plötzlich scheinen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu verschwimmen. In der Grauzone Ihrer Imagination beginnen Sie, die Handlung zu leben und ihr Leben selbst schreibt diese fort. Scheinbar unumstößliche soziale und wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten weichen unbegrenzten Möglichkeiten der Neugestaltung. Gesellschaftlich konditionierte Geistesblockaden beginnen sich zu lösen. Sie haben die Chance, alles, wirklich alles in Frage zu stellen, zu überprüfen und gewinnen nahezu uneingeschränkte Möglichkeiten, Lebensentwürfe zu gestalten,  zu erneuern und zu verändern. Eine unglaublich spannende und aufregende Situation - meinen Sie nicht? Das vom ZMI geförderte transmediale Erzählprojekt LAVAPOLIS von Michael Schindhelm stellt sich der Frage: „Was ist möglich?“.

 

Schindhelm thematisiert diese Frage fiktional, aber nicht nur in seinem Roman „Lavapolis“, der der Ausgangspunkt für das transmediale Storytelling-Projekt mit einer Internet-Plattform und einer Installation auf der aktuellen Architekturbiennale Venedig ist. Genres verschwimmen in seinem Projekt, Grenzen zwischen Internet, Buch und Theater-Performance werden neu definiert und schaffen ihrerseits neue Möglichkeiten für Beobachter, User, Leser und Teilnehmer, Geschichte zu erleben und zu gestalten.

 

Schindhelms Buch beschäftigt sich konkret und Crisismetaphorisch zugleich mit der unmittelbaren Zukunft. In Form einer fiktiven Geschichte wird sich an einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand angenähert, der zur Zeit allenthalben zu beobachten ist und der hier auf einen Ort verdichtet wird: in die Zeitkapsel einer Insel – Lavapolis. Der Ort stellt die Realität in Frage, repräsentiert Alternativen, kehrt Reales ins Gegenteil und zeigt  Bestehendes gleichermaßen auf. Er ist zwar unerreichbar und flüchtig, enthält jedoch Möglichkeiten – Ablösungen von sozialen oder wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten der Gegenwart. Die Inselbewohner, die Michael Schindhelm in unterschiedlichen Medien zum Leben erweckt, hegen Unbehagen an der Gesellschaft und der Gegenwart. Sie haben jedoch nahezu uneingeschränkte Möglichkeiten, Lebensentwürfe zu gestalten. Sie berichten von ihrem Leben, stimmen einander zu, wiedersprechen sich.

 

Die Inselgesellschaft bedient sich neuester Erkenntnisse der Sozialforschung, Urbanistik, Migrationspolitik und Finanzwirtschaft, um ein Gesellschaftssystem zu errichten, das die reale Welt und ihre dramatischer werdenden Probleme zwar repräsentiert, aber auch ins Gegenteil verkehrt. Auf diese Weise werden Fiktionen zu zukünftigen realen Möglichkeiten. Die Frage „Was ist möglich?“ manifestiert sich in den Köpfen der Leser, Zuschauer, Teilnehmer und User. Somit wird Fiktion zu Realität und Realität zu Fiktion. Der Foucault’sche Gegenort zur Realität scheint nicht mehr flüchtig und unerreichbar, vielmehr  ist er tief in uns selbst zu finden, wenn wir uns Gedanken über Lavapolis machen. „Es sollte schamlos geträumt werden", fordert Schindhelm.

 

Das Projekt greift das Genre der Utopie-Imagination (als direkte oder indirekte Kritik an den bestehenden Verhältnissen) bzw. der Foucault’schen Dystopie auf und versucht sich als Kritik an der Kritik. Schindhelms Roman hat den Charakter einer fiktiven Dokumentation, die aktuelle und latente Trends der Forschung, Urbanistik, Bildung, Finanzwirtschaft, Migration und Kommunikationstechnologie aufgreift, kritisch betrachtet und das Thema in drei Richtungen (Speculations, Imaginations und Predictions) auf die Frage zuspitzt, was Experten und Nicht-Experten, Betroffene und Außenstehende über bestimmte Trends, Probleme, urbane, politische, kulturelle etc. Sachverhalte und Entwicklungen denken.

 

Die Website präsentiert neben dem Romantext bzw. Ausschnitten daraus in Form von „Auftritten“ der Protokollanten und Interviews mit Experten und Künstlern sog. Logbucheintragungen aus verschiedenen Städten der Gegenwart in Form von Interviews, Anekdoten, Porträts, Erzählungen, Fotos, Videos, Simulationen u.v.m. Beiträge weiterer Autoren sind vorgesehen. Die Website ist ein Fortsetzungsprojekt über einen unbestimmten Zeitraum, das mit einem Team entwickelt und vom Autor selbst betreut wird.

Die Installation „Friday in Venice“ flankiert reale Auftritte desSonnenuntergang Aktivisten Friday – einer Romanfigur aus „Lavapolis“ – mit einer Reihe von Online Aktivitäten, bei denen bestimmte Diskussionen rund um die Themen Europa, Gesellschaft und die Biennale selber aufgeworfen werden. Dazu wird Friday eigene Statements verbreiten und die Besucher seiner Online-Präsenz dazu einladen, ihre Meinungen kundzutun. Architektur und Urbanistik sind Thema des Romans Lavapolis und werden zentraler Gegenstand der interaktiven Plattform sein. Aufgrund der Einladung von Kurator Rem Koolhaas wird das Projekt daher auch auf der Architekturbiennale von Venedig gezeigt und das Publikum in den Diskurs einbeziehen. Koolhaas selbst wird an einer der geplanten Aktionen von Friday in Venice teilnehmen.

Das ZMI hat in der Vorbereitungsphase des Projektes mit Michael Schindhelm kooperiert und es gefördert. Damit reiht es sich ein in die Riege namhafter Institutionen, die an LAVAPOLIS beteiligt sind, hierzu zählen: die Alfred Herrhausen Gesellschaft, Deutschland; die Zürcher Hochschule der Künste, Schweiz; La Biennale di Venezia, Italien und OMA, Niederlande.

LAVAPOLIS erscheint im Herbst  2014 als Buch (in der deutschen Ausgabe bei Matthes&Seitz, auf Englisch bei Sternberg Press). Im Mai 2014 erfolgte der Launch der interaktiven Webseite www.lavapolis.com. LAVAPOLIS tritt zudem in verschiedenen Performances auf, zunächst seit dem 7. Juni auf der Architekturbiennale von Venedig unter dem Titel “Freitag in Venedig”.

 

Lavapolis Homepage | Homepage von Michael Schindhelm| Architekturbiennale Venedig | arte zur Installation „Friday in Venice“

(Bilder: Lavapolis)                                                                                          (Urs Bremer, 17.06.2014)