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Neuer ZMI-Blog: Homeoffice – Ein zweifelhaftes Glück

Dorothée de Nève

Posted on April 14, 2020

de Nève, Vogelsberg, April 2020

Es herrscht gerade kein Mangel an gutgemeinten Tipps zum Thema Homeoffice. Dabei geht es vor allem um Fragen der Einrichtung des heimischen Arbeitsplatzes, um rechtliche Belange und um gute Strategien im Umgang mit potenziellen Ablenkungen.[1] Das Thema steht jetzt in der Corona-Krise urplötzlich ganz oben auf der Agenda. Selbst Arbeitgeber*innen, die vorher tausend Gründe fanden, individuelle Ansuchen auf Arbeit im Homeoffice aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen, erwarten nun von ihren Mitarbeiter*innen, dass sie sich über Nacht im eigenen Zuhause einen Arbeitsplatz einrichten und loslegen. Bisher schien die Arbeit am heimischen Schreibtisch oft mit fast unüberwindbaren bürokratischen, sicherheitstechnischen und organisatorischen Hürden verbunden, die nun in Zeiten der Krise scheinbar leichtfüßig überwunden werden. Arbeitsprozesse, insbesondere im Verwaltungsbereich, die gerade noch zwingend analog, in dreifacher Ausfertigung mit Stempel und allem Pipapo bearbeitet werden mussten, können nun in der Krisenzeit unbürokratisch, informell und digital bearbeitet werden. Und an Schulen, die seit Jahren darauf warten, in Sachen Digitalisierung endlich im ‚Neuland‘ anzukommen, werden hastig Router installiert. Lehrkräfte entwerfen aus dem Stegreif digitale Unterrichtseinheiten und lassen diese – irgendwie – ihren Schüler*innen zukommen. Selbst die Eltern, die gerade noch als sogenannte Helikoptereltern der Lächerlichkeit Preis gegeben wurden, sind nun die gefragten Expert*innen in Sachen  home schooling und digital literacy. Manch einer reibt sich erstaunt die Augen. In eindrucksvollem Tempo eifern wir nun selbst im öffentlichen Dienst kollektiv dem digitalen Erfindergeist und der Flexibilität von Startups nach. Das wird unsere Arbeitswelt nachhaltig verändern, davon bin ich überzeugt. Dennoch sollten wir die aktuelle Notlage nicht idealisieren und mit unangemessenen Erwartungen überfrachten. Was wir jetzt erleben, ist tatsächlich ein Krisenmodus, der auch in den heimischen Wänden und unserer Arbeitswelt nachhaltige Spuren hinterlassen wird. 

 

Vertrauen

Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Zusammenarbeit in einer Organisation ist eine Vertrauenskultur (Farnham, 1989). Dies gilt selbstverständlich für alle Formen analoger und digitaler Zusammenarbeit in Strukturen wechselseitiger Abhängigkeit, nicht nur in Geschäftsbeziehungen, sondern auch in der Wissenschaft und Verwaltung. Die Arbeit im Homeoffice erfordert in besonderem Maße Vertrauen. Unter Kolleg*innen ist die direkte Interaktion eingeschränkt. Und seitens der Vorgesetzten erscheint eine direkte Aufsicht und Beobachtung der Mitarbeiter*innen weder praktikabel noch produktiv. Wer glaubt, die Aktivitäten seiner Mitarbeiter*innen im Homeoffice digital kontrollieren zu wollen, stößt schnell an die Grenzen des rechtlichen Schutzes von Arbeitnehmer*innen und wird mit sinnlosen Bewegungen des Cursors während gemütlicher Mittagspausen an der digitalen Nase herumgeführt. Während Mitarbeiter*innen an Arbeitstagen im Büro ganz selbstverständlich ein Schwätzchen im Flur halten oder eine Zigarette vor der Tür rauchen – und dabei beiläufig wichtige Probleme auf kurzen Wegen lösen, reagieren sie panisch, wenn im Homeoffice ein Anruf des/der Vorgesetzten zufällig ins Leere läuft, weil sie gerade ein paar Minuten nicht am Schreibtisch saßen. Ein mögliches Misstrauen des/der Chef*innen wird in dieser Stresssituation antizipiert. Anstelle der Kontrolle fördert ein klares Vertrauen den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zwischen Menschen, indem dieses Vertrauen auf andere als zwischenmenschliche Weise aufgebaut wird (Mayer/Davis/Schoorman 1995: 10). Ein solches langfristiges Vertrauen wird durch Kompetenz, Wohlwollen und Integrität entwickelt (Molthagen-Schnöring 2020: 3). Eine solide Vertrauensbeziehung gilt als Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiter*innen zufrieden und produktiv im Homeoffice arbeiten. Die Vertrauensforschung zeigt erstens, dass es einen engen Konnex zwischen der Wahrnehmung einer Person als kompetent und zugleich vertrauenswürdig gibt. Das Eingestehen von Nicht-Wissen wird dabei keineswegs als abträglich wahrgenommen (Molthagen-Schnöring 2020: 3). Zweitens gibt Wohlwollen einer Vertrauensbeziehung Stabilität und Orientierung, das auch im Falle eines Fehlerhaltens oder einer Unsicherheit trägt. Es geht um eine grundsätzlich positive Haltung, die eine empathische Begegnung ermöglicht. Die Integrität schließlich als drittes Element der Vertrauensbildung entsteht durch die Kongruenz der normativen Ideale und dem Handeln. Dies kann sich sowohl auf eine einzelne Person beziehen, die etwa als Vorgesetzte*r den Mitarbeiter*innen in einer Weise begegnet, die den eigenen Idealen entspricht und die auch im eigenen Handeln diesen normativen Standards folgt. Dies lässt sich ebenso auf Institutionen und Organisationen als Ganzes beziehen, wenn diese interne Vertrauensbildung fördern, indem sich die öffentlichkeitswirksam kommunizierten Ziele und Ideale in der täglichen Praxis tatsächlich wiederfinden. Für die Vertrauensbildung genügt insofern eine sorgfältig geplante Kommunikationsstrategie nicht. Es bedarf der Integrität in konkreten Handlungen, in Entscheidungsprozessen und in der direkten Kommunikation mit Mitarbeiter*innen. Vertrauen kann weder im ‚Normalbetrieb‘ noch in Krisenzeiten eingefordert werden, es geht eben vielmehr um die gewachsene Qualität einer Beziehung auf Basis von Wohlwollen, Kompetenz und Integrität. In der Sozialpartnerschaft fließt dieses Vertrauen idealerweise in ein kooperatives und zugleich institutionalisiertes Verhältnis, indem der Versuch unternommen wird, potenzielle Konflikte im Konsens zu bewältigen. In einer Situation wie heute entsteht dann bei allen Beteiligten, die zusammenarbeiten, die Gewissheit, dass eine Krise gemeinsam gemanagte werden kann und man gemeinsam durch schwere Zeiten gut hindurchkommt.

 

Homeoffice in der Praxis

Jenseits dieser Vertrauensbeziehung spielen auch Formalia eine Rolle. Diese betreffen etwa Absprachen zur Arbeitsleistung, Arbeitszeiten und die Rahmenbedingungen in Bezug auf Erreichbarkeit, Infrastruktur, Daten- und IT-Sicherheit. Geklärte Erwartungshorizonte geben beiden Seiten Sicherheit und wirken entstressend. Selbst in der gelebten Praxis vor der aktuellen Krise wurde auf die formal korrekte und aufwendige Einrichtung eines sogenannten Heimarbeitsplatzes oft verzichtet. Dabei geht es etwa um Auflagen in Bezug auf ergonomische Arbeitsmöbel, Temperatur und Tageslicht. In der aktuellen Krise wird es sich insbesondere dann als problematisch erweisen, dass diese Standards allzu oft in den Wind geschlagen werden, wenn die Krise länger andauert.  

In der Europäischen Union arbeiten regulär gerademal fünf Prozent der Arbeitnehmer*innen im Homeoffice.[2]Vergleichsweise hoch sind die Anteile in den Niederlanden, Luxemburg, Finnland und Österreich. Gleichzeitig ist in Südosteuropa der Anteil der Menschen, die regelmäßig zu Hause arbeiten, sehr niedrig (Eurostat 2018). In Deutschland arbeiten in der Regel etwa fünf Prozent der Arbeitnehmer*innen im Homeoffice (Eurostat 2020). Interessant ist, dass sich diese Zahl in den vergangenen zehn Jahren – Digitalisierung hin oder her – kaum verändert hat. Auffällig ist außerdem, dass Frauen häufiger im Homeoffice arbeiten als Männer. Homeoffice bietet ohne Zweifel Chancen. Es ermöglicht etwa das Arbeiten im eigenen Bio-Rhythmus bzw. die eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten, was Vorteile für Familien und Pendelbeziehungen mit sich bringt. Es fördert die Integration von Personen in den Arbeitsmarkt, die aufgrund sozialer oder körperlicher Einschränkungen und/oder familiärer Care-Arbeit sonst Probleme hätten, erwerbstätig zu sein. Unter idealen Bedingungen ermöglicht diese Arbeitsform außerdem temporär ein hoch konzentriertes, ungestörtes Arbeiten. Und es gibt natürlich auch ökonomische und ökologische Argumente, die dafürsprechen, dass Menschen da arbeiten, wo sie leben, und nicht täglich x Kilometer zu einer Arbeitsstelle zurücklegen müssen.

Erwerbtätige sind heute freilich aus unterschiedlichen Gründen auch gezwungen, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. So richten beispielsweise Unternehmen Großraumbüros ein, in denen Mitarbeiter nach dem Prinzip von shared desks arbeiten und nicht täglich Anspruch auf einen Schreibtisch im Unternehmen haben. Auf diese Weise werden Miet- und Betriebskosten zulasten der Mitarbeiter*innen gespart. Wer so regelmäßig und vertraglich vereinbart im Homeoffice arbeitet, kann sich evtl. auch in Fragen der Kinderbetreuung entsprechend organisieren. 

In der aktuellen Notsituation mit social distancing, Kontaktsperre, geschlossene Kitas, Schulen, Universitäten sowie Dienstleistungsbetrieben und Unternehmen spielen solche individuellen Präferenzen und Anreize kaum eine Rolle und viele Formalitäten entfallen. Es geht in unterschiedlichen Formen des Basis- und Notbetriebs gegenwärtig schlicht darum, als Institution weiter zu bestehen und zu überleben. Viele Arbeitnehmer*innen organisieren sich in ihrem Homeoffice dementsprechend unter suboptimalen, ja stressigen Kontextbedingungen. 

 

Homeoffice in der Corona-Krise

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist bereits unter „normalen“ Arbeitsbedingungen eine große Herausforderung (Bernhardt/Hipp/Allmendinger 2016). Selbst wenn familienfreundliche Arbeitgeber*innen flexible Strukturen und Förderprogramme lancieren, so gestaltet sich das Alltagsmanagement vieler Familien ausgesprochen kräftezehrend. Dies gilt nun in der aktuellen Situation umso mehr, in der Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen geschlossen bleiben, sich die banalen Verrichtungen des Alltags als zeitaufwendig erweisen, gewohnte Dienstleistungen nicht mehr entlastend in Anspruch genommen werden können und sich angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten, in den öffentlichen Raum zu entfliehen, die Enge in der eigenen Wohnung als Belastung erweist. Spätestens wenn der Rückzug in die Toilette als einzige Chance erlebt wird, dem Corona-Familien-Arbeit-Sorgen-Irrsinn in der eigenen Wohnung für wenigstens ein paar Minütchen zu entfliehen, wird deutlich, dass wir die Telearbeit vieler Mitarbeiter*innen nicht als tolle Chance der Selbsterfahrung oder gar selbstverständlich zu erwartende Loyalität gegenüber Arbeitgeber*innen deuten dürfen. Nicht ohne Grund wurde in Zeiten vor der Krise die Möglichkeit des Homeoffice überwiegend von Besserverdiener*innen und Kinderlosen genutzt (Die Zeit, 17.09. 2019). Für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen in einer engen Wohnung leben, bedeutet Arbeiten im Homeoffice einfach Stress pur. 

Dieses private Arbeitsumfeld gestaltet sich für Menschen, die alleine wohnen und/oder leben, in dieser Krisenzeit oft nicht weniger problematisch. Was für andere in einem engen Raum ein Zuviel menschlicher Interaktionen darstellt, das zuweilen die Arbeit am heimischen Schreibtisch unterbricht oder verhindert, wird für Singles vielleicht zu einer bedrückenden Leere, in der es ausgesprochen schwer fällt, die für die erfolgreiche Arbeit nötigen Stimuli zu finden. Gerade von Wissenschaftler*innen wird erwartet, dass sie eine ausgeprägte intrinsische Motivation haben. Die Freiheit, die sich nun in der Krise durch den Wegfall zahlreicher Termine und anderer Verpflichtungen ergibt, würde man annehmen, könnte in eine schöpferische Phase münden, in der endlich Zeit ist, für neue und kreative Forschung. Fakt ist jedoch, dass viele die aktuelle Situation nicht als kreativen space, sondern als eine Ausbremsung erleben, die ihnen den Schwung zur eigenen wissenschaftlichen Arbeit raubt. Die Gesichter, denen man in den zahlreichen Videokonferenzen begegnet, wirken müde und gestresst. Und es erweist sich für alle Menschen, egal ob sie alleine, mit Partner*in, Freunden oder Kids leben, als ausgesprochen schwierig, sich in der eigenen Arbeit funktionsfähig zu halten und zugleich die Ängste in der aktuellen Krise abzuwehren. Manche Leute verwechseln vielleicht Homeoffice mit einer Freistellung bei Lohnfortzahlung. Mag sein, dass einige denken, dass Homeoffice ein Synonym für Schlendrian sei. Jede*r, die/der aber mal ernsthaft im Homeoffice gearbeitet hat, weiß, dass das Quatsch ist – denn Homeoffice erfordert von den Arbeitsnehmer*innen ein Höchstmaß an Selbstdisziplin und Leistungsbereitschaft. Für viele ist das in der Praxis tatsächlich dann bereits stressig, wenn gerade vor der eigenen Haustür keine Pandemie herrscht. In der aktuellen Krise nehmen diese Belastungen merklich zu.  

Ferner gestaltet sich die Arbeit im Homeoffice oft auch in technischer Hinsicht problematisch – übrigens nicht nur für Arbeitnehmer*innen, sondern auch für Schüler*innen und Studierende. Auch wenn sich unsere technischen Möglichkeiten dynamisch weiter entwickeln und wir annehmen könnten, dass insbesondere die digital natives unbeschwert mit der verfügbaren Technik umgehen, so sieht der IT-Alltag oft anders aus. Die Tatsache, dass Dinge an sich technisch möglich sind, bedeutet noch lange nicht, dass alle Arbeitnehmer*innen das Knowhow haben, diese zu nutzen, und die Ressourcen zur Verfügung haben, die ihnen diese Zugänge ermöglichen. Im improvisierten Homeoffice wird vom Arbeitsgeber oft nicht einmal die technische Grundausstattung gestellt, geschweige denn Kosten für die Nutzung der privaten Infrastruktur erstattet. Es bleibt keine Zeit, Fragen der Kostenübernahme, des Datenschutzes und der IT-Sicherheit zu klären. Eine aktuelle Umfrage zu IT-Sicherheit zeigt, dass viele Menschen, die jetzt im Homeoffice arbeiten, selbst rudimentäre Sicherheitsstandards nicht einhalten: Sie arbeiten an einem privaten Rechner und vermischen insofern private und berufliche Daten. Sie übermitteln Daten unverschlüsselt, sie nutzen keine Antivirenprogramme, arbeiten in einem nicht passwortgeschützten Internetnetzwerk oder nutzen Passwörter mehrfach (it-daily.net, 31.03.2020). Die heimische digitale Infrastruktur ist außerdem oft gar nicht auf die hohe Mehrfachbelastung in Zeiten der Corona-Krise vorbereitet, in der mehrere Personen unter einem Dach leben und Grundschüler*innen von ihren engagierten Lehrer*innen angehalten werden, Referate als Videos aufzuzeichnen, in denen mehrere Kinder gleichzeitig online ihre Hausausgaben erledigen sollen und Eltern live in Videokonferenzen sitzen. Auch für Studierende stellt die Umstellung auf Homeoffice ein Problem dar. Viele nutzen aus guten Gründen üblicherweise die Infrastruktur der Bibliotheken, um dort an PCs zu recherchieren und ihre Arbeiten zu schreiben. Der mangelnde Zugang zu dieser Infrastruktur erweist sich nun als Problem. Es ist auch in Deutschland eben keine Selbstverständlichkeit, dass alle stets über die notwendige Infrastruktur verfügen, um erfolgreich im Homeoffice arbeiten zu können. Hinzu kommt, dass die Stabilität und Leistungsfähigkeit des Internets auch in einem reichen Bundesland wie Hessen keineswegs überall gewährleistet sind. Studierende, die in diesen krisenhaften Zeiten schutzsuchend in den Schoss ihrer Familien zurückgekehrt sind, finden sich flux im Funkloch des Vogelsbergs wieder.[3] Selbst in urbanen Räumen gibt es in Sachen Internet gravierende Versorgungsengpässe. Onno Kleen, Doktorand an der Universität Heidelberg, wohnt zwar mitten in der Stadt, doch funktioniert auch hier das Internet unzureichend: „DSL gibt es in unserem Haus – und damit auch in der näheren Umgebung – nur mit maximal 16 MBit. Daher haben wir uns für Kabel-Internet entschieden. Das werden wahrscheinlich auch viele unserer Nachbarn gemacht haben, und das merkt man jetzt doch sehr stark. Tagsüber ist der Upload quasi kaum noch vorhanden – irgendwo zwischen 0 und 0,2 MBit pro Sekunde sind eher die Regel. Da haben jetzt selbst meine Eltern in Ostfriesland wesentlich bessere Übertragungsraten“ (Deutschlandfunk, 03.04.2020).[4] Im Kontext der technischen Frage – das haben die Erfahrungen in Sachen Vulnerabilität, die langfristigen Folgen und Kosten von #JLUoffline gezeigt – gilt es außerdem die Problematik der Sicherheit mit zu bedenken. Auch wenn die aktuelle Notlage keine Zeit lässt, um Sicherheitsstandards im Homeoffice sorgfältig abzuklären, so sitzt doch die Angst vor unkalkulierbaren Risiken, die Arbeitsergebnisse vernichten und die Arbeitsfähigkeit gefährden, noch allen Beschäftigen im Nacken.[5]

 

Folgen dieser Erfahrungen

Noch ist es zu früh, jetzt, da wir mitten in dieser Krise stecken, deren Folgen zu antizipieren. Dennoch lassen sich aus meiner Sicht bereits einige Dinge erahnen, die sich in Bezug auf die Homeoffice Erfahrung erwarten lassen:

Die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen werden sich nachhaltig verändern. Wenn die Vertrauensbeziehung so stabil ist, dass sie auch in krisenhaften Zeiten trägt, entwickelt sich in der Folge dieser gemeinsamen Erfahrungen neue Chancen des Miteinanders, so dass sich die Identifikation mit der eigenen Einrichtung und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit positiv entwickeln können. Hierfür sind neben der Kompetenz, dem Wohlwollen und der Integrität der Vorgesetzten insbesondere auch die Fähigkeit zur Empathie und die Qualität der Krisenkommunikation von entscheidender Bedeutung. Im Idealfall wäre die Krise dann eine Chance, die gemeinsamen Interessen zu stärken und näher zusammen zu rücken. Fühlen sich indes Arbeitnehmer*innen in dieser Krisenzeit hängen gelassen, gedemütigt, geringschätzt oder gar gegängelt, so werden die Beziehungen auch weit über die Krise hinaus von diesen negativen Erfahrungen belastet sein. 

Zu erwarten ist außerdem ein boost der Entbürokratisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung. Nachdem der Realitätscheck über Wochen erfolgreich gezeigt haben wird, dass Homeoffice funktioniert,[6] Prozesse vereinfacht, digital organisiert und entschieden werden können, wird es schwer sein, die alten Hürden wieder zu etablieren und zu begründen. Die Sehnsucht, sich wieder im Gespräch zu begegnen und in vertraute Sicherheiten zurückzukehren, wird nach dieser Zeit vermutlich da sein. Doch die Arbeitswelt, in die wir dann zurückkehren werden, wird nicht mehr dieselbe sein. Sie wird hoffentlich moderner sein – und das ist auch gut so. 

Die aktuelle Homeoffice Erfahrung in Kombination mit der krisenhaften Verunsicherung, mit persönlichen Ängsten um die eigene Gesundheit und jene der Liebsten sowie realen Existenzängsten und Bedrohungen werden auch in unserer Lebensführung Spuren hinterlassen. Wer sich in diesen Tagen mit Arbeitskolleg*innen persönlich austauscht, stellt schnell fest, dass Menschen sehr unterschiedliche Strategien entwickeln, um mit der Krise umzugehen. Arbeitskolleg*innen berichten von Erschöpfung und Müdigkeit –  bei dieser Regression handelt es sich um eine klassische Formen unbewusster Angstabwehr (Mentzos 2016). Sie pushen sich im Team mit täglichen Videoschaltungen um in den gemeinsamen Arbeitstag zu starten, sie schicken sich Memes von tanzenden Giraffen und Cartoons zum Thema Hamsterkäufe oder sie abonnieren sämtliche Eilmeldungskanäle, um live die neusten Zahlen zu Corona-Pandemie in XYZ zu erfahren. Für viele Menschen, die nicht schon seit Jahren im Homeoffice arbeiten und in der Krise auf diese Erfahrungen zurückgreifen können, findet nun erstmals eine neue Qualität der Vermischung des Privaten mit dem Beruflichen statt. Das verstärkt nachweislich psychische Belastungen und führt zu Erschöpfung, Konzentrationsproblemen und Schlafstörungen (Die Zeit, 17.09.2019). Diese Vermischung provoziert außerdem existenzielle Fragen nach der Prioritätensetzung im eigenen Leben. Es geht um die Unterscheidung zwischen wirklich wichtigen und vermeintlich dringenden Dingen, es geht um die Work-Live-Balance und in Anbetracht der tödlichen Bedrohung durch Covid 19 auch um Leben und Tod. Die Frage der Sinnhaftigkeit unseres eigenen Tuns stellt sich angesichts dieser Krise umso eindringlich. Insofern wird die Krise möglicherweise nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern auch Menschen verändern. 

Die aktuelle Krise verstärkt die ohnehin wachsende sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft (Faz, 02.04.2019). Homeoffice war bisher ein Modell für kinderlose Besserverdiener. Diese soziale Gruppe wird diese Phase, in der ganze Belegschaften zum Homeoffice verdonnert werden, ungleich besser überstehen, als diejenigen, die im improvisierten Homeoffice am Küchentisch sitzen und mit einer wackeligen Internetverbindung an einem antiken Laptop versuchen zu retten, was zu retten ist. Auch an einer vergleichsweise privilegierten Einrichtung wie einer Universität oder einer anderen Forschungseinrichtung werden in diesen Tagen Menschen ins Homeoffice geschickt, die auf einer Halbtagsstelle gerademal rund eintausend Euro netto verdienen. Da fehlt das Geld, für eine smarte IT-Ausrüstung aus nachvollziehbaren Gründen. Auch Schüler*innen und Studierende, die auf die neuste Technik nicht zurückgreifen können und in der Nutzung digitaler Tools weniger geübt sind als andere, werden Probleme haben, bei dieser radikalen Umstellung auf E-Learning nun Schritt zu halten. Ganz abgesehen davon, dass die ökonomischen Härten dieser Krise Menschen mit einem niedrigen Einkommen und Existenzängsten ungleich viel stärker treffen. „(…) von den Rettungspaketen für die Unternehmen kommt im Kellergeschoss der Gesellschaft wenig an“, schreibt Christoph Butterwegge (2020).

Ich erinnere mich noch sehr genau an dieses Gefühl, als mein Schreibtisch und PC direkt neben meinem Bett standen. In meinem WG-Zimmer arbeitete ich an meinen Vorträgen, schrieb meine Seminar- und Qualifikationsarbeiten. Es war eine große Errungenschaft, als ich mir mein erstes Laptop leisten konnte, das ich abends zuklappen, ja gar wegräumen konnte, so dass die Arbeit nicht mehr schreiend neben dem Bett stand und ihren Stress bis in den Schlaf verbreitete. Inzwischen arbeite ich in einer geradezu privilegierten Situation. Denn ich habe in meiner Wohnung einen eigenen Arbeitsraum, dessen Tür ich zum Feierabend einfach zuziehen kann. Gerade meine eigenen Erfahrungen der vergangen Jahrzehnte erfüllen mich mit Blick auf viele Mitarbeiter*innen, die sich nun kurzfristig auf diese herausfordernde Arbeitssituation einstellen müssen, mit großer Demut und mit Respekt. Dies gilt insbesondere für jene Kolleg*innen, die gezwungen sind, die Betreuung ihrer kids mit den Erwartungen des/der Arbeitgebers*in im Homeoffice unter einen Hut zu bringen. Wir versuchen in der aktuellen Krise in Sachen Vereinbarkeit Unmögliches zu leisten, ohne dass wir darauf vorbereitet waren und ohne dass wir Gewissheit darüber haben, wie lange dieser Zustand anhalten wird. Angesichts dieser Situation halte ich es für angebracht, über unkonventionelle Lösungen nachzudenken, die etwa die Leistungsanforderungen für Arbeitnehmer*innen, die in diesen Krisenzeiten Care-Arbeit leisten, entsprechend reduzieren. Auch in der universitären Verwaltung, in der Lehre und Forschung können wir Merkels Gedanke der Solidarität[7] aufgreifen und nach Wegen suchen, um das Vertrauen in die eigene Institution zu stärken und ein solidarisches Miteinander zu leben. Das erfordert nicht nur unsere Kreativität in der Lösung der anstehenden Probleme, sondern auch den Mut, die Idee der (Chancen-)Gleichheit anders zu denken. 

 

Quellen

Bernhardt, Janine/Hipp, Lena/Allmendinger, Jutta 2016: Warum nicht fifty-fifty? Betriebliche Rahmenbedingungen der Aufteilung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit in Paarfamilien, in: WZB Discussion Paper SP, 2016-501, Link: https://www.econstor.eu/handle/10419/147291 (Access: 09.04.2020).

Eurostat 2018: Working from home in the EU, Link: https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/-/DDN-20180620-1 (Access: 08.04.2020). 

Eurostat 2020: Erwerbstätige, die zu Hause arbeiten, als Prozentsatz der gesamten Beschäftigung, nach Geschlecht, Alter und Stellung im Beruf (%), Link: https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=lfsa_ehomp&lang=de   (Access: 10.04.2020). 

Farnham, Alan 1989. The trust gap, in: Fortune, Vol 120, No. 14, S. 56-78.

Mayer, Roger C./Davis, James H./Schoorman, F. David 1995: An Integrative Model of Organizational Trust, in: The Academy of Management Review, Vol. 20, No. 3 (Jul., 1995), S. 709-734.

Mentzos, Stavors 2016: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Berlin: Suhrkamp.



[1] Homeoffice: Regelung, Vorteile, 50 Tipps, Link: https://karrierebibel.de/home-office-tipps/; Home-Office – Mit diesen Tipps klappt’s mit der Arbeit von Zuhause, Link: https://www.swr3.de/aktuell/Homeoffice-Mit-diesen-Tipps-klappt-s-mit-der-Arbeit-von-zu-Hause/-/id=4382120/did=5577346/16222qi/index.html (07.04.2020).

[2] Bei diesen Zahlen handelt es sich um Angaben zu regulär eingerichteten Heimarbeitsplätzen. Personen, die informell zu Hause arbeiten, wie etwa Wissenschaftler*innen, sind hier nicht erfasst. 

[4] „Im März 2019 bewegten sich die durchschnittlichen Verbindungsgeschwindigkeiten für mobile Geräte zwischen Höchstwerten von 67,5 Mbit/s in Norwegen und Tiefstwerten von 5,9 Mbit/s in Algerien. Die weltweite durchschnittliche Download-Geschwindigkeit im mobilen Netz lag im März 2019 bei 26,12 Mbit/s. In dieser Kategorie liegt Deutschland mit 31,9 Mbit/s auf Rang 45. Im Jahr 2017 stand die Bundesrepublik mit 24,1 Mbit/s auf Rang 2“ (/it-daily.net, 07.05.2019).

[5] So weisen derzeit etwa wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in einem gemeinsamen Schreiben an den Krisenstab der Justus-Liebig-Universität auf die besondere Krisendynamik zwischen Cyberangriff und Coronakrise hin und fordern Entlastungen in dieser doppelten Krise##Ist das Dokument online verfügbar###. Der Präsident der Justus-Liebig-Universität hat in einer Videoansprache zum Semesterstart am 08.04.2020 auf diese Forderungen reagiert: „Wir setzen auch auf Vertrauen, und zwar wechselseitig. Wir als Präsidium, wir an der Universitätsspitze vertrauen darauf, dass alle Beschäftigten, alle Studierenden besonnen, klug, kreativ, pragmatisch mit dieser Sondersituation in den nächsten Wochen  und Monaten umgehen werden. Sie haben unsere Rückendeckung. Auf der anderen Seite können Sie sich auch darauf verlassen, dass wir uns dafür einsetzen, dass die allergrößten Härten, die für Beschäftige und Studierende derzeit entstehen, auch durch entsprechende politische Maßnahmen abgefedert werden. Ich denke da zum Beispiel daran, dass wir uns dafür einsetzen werden, gemeinsam mit den anderen Hochschulen und den Wissenschaftsorganisationen, dass dieses Ausnahmesemester, vor dem wir stehen, möglichst pauschal nicht auf die Regelstudienzeit und nicht auf die BAföG-Bezugsdauer angerechnet wird. Ich denk da auch daran, dass wir für die vielen Beschäftigten, die sich in der wissenschaftlichen Qualifikation mit befristeten Arbeitsverhältnissen befinden, dass für sie auch eine Möglichkeit geschaffen wird, durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen, dass dieses Ausnahmesemester, dass diese kommenden Monate, zu einer Verlängerung ihrer Arbeitsverträge pauschal führen können“, Link: https://www.youtube.com/watch?v=kdQL4YJctsU&feature=youtu.be (Access: 09.04.2020). In einem neuen Gesetzespaket hat die Bundesregierung inzwischen eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) beschlossen: „Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Arbeitgeber von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihrer Qualifizierungsphase haben damit die Möglichkeit, Beschäftigungsverhältnisse über die bisherigen Höchstbefristungsgrenzen hinaus um sechs Monate zu verlängern, zum Beispiel, wenn sich Forschungsprojekte aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation verzögern“, Link: https://www.forschung-und-lehre.de/politik/bundesregierung-aendert-wegen-corona-pandemie-wisszeitvg-2683/ (Access: 14.04.2020). 

[6] Der Markt reagiert bereits auf den neuen Trend: Eine hessische Firma hat ein Homeoffice auf Rädern konstruiert. Unternehmen können den sogenannten „Xtra-Raum“, der als Anhänger mit einem Auto transportiert werden kann, auf dem Grundstück des/der Mitarbeiters*in parken (Frankfurter Rundschau, 14.04.2020). Link: https://www.fr.de/rhein-main/main-taunus-kreis/hofheim-ort74520/hofheim-messebauer-konstruiert-homeoffice-raedern-13646017.html (Access: 14.04.2020). 

[7] Angela Merkel: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt. (...) Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen“, nwzonline, 19.03.2020, Link: https://www.nwzonline.de/politik/berlin-corona-rede-im-wortlaut-lesen-sie-hier-merkels-ansprache-an-die-nation_a_50,7,2821516659.html (Access: 09.04.2020). 

 

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