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Face-to-Face mit der Smartphone-Kamera

Beitrag von Stefanie Vasa, 2015

Welche Möglichkeiten bietet der Einsatz von Medien, um Nähe und Emotionalität zu erzeugen? Das Telefon vermag einen Moment der gleichzeitigen Kommunikation zu erzeugen, dank des Smartphones hingegen kann technisch-medial vermittelt nahezu die gleiche Intensität einer Kommunikation erreicht werden, wie wenn man von Angesicht zu Angesicht miteinander spricht. Verantwortlich für diese Emotionalität sind vor allem die Entwicklung der Smartphone-Kamera und Applikationen, wie Skype und WhatsApp.

 

 

Weltgesellschaft und Weltfamilien

Wir leben heute in einer globalen Gesellschaft, die durch Migrationsbewegungen bestimmt ist: In einer „Weltgesellschaft“, die „Weltfamilien“ stiftet. Der Begriff „Weltfamilien“ eint diverse Formen von Fernbeziehungen – also nicht nur Ehen und Familien im „klassischen Sinne“ – und ist bestimmt durch eine neuartige Mischung aus Nähe und Ferne, aus Gleichheit und Ungleichheit, die Länder und Kontinente überspannen. Besonders gilt es bei Beziehungen dieser Art Ferne zu überwinden, wobei Medien eine wesentliche Rolle spielen.

Telefonie

In der ethnographischen Studie „Technogene Nähe“ aus dem Jahr 2000 stellt Jennifer Hirte fest, dass es in Weltfamilien schwierig ist, den entfernt lebenden Partner in Lebenssituationen miteinzubeziehen. In ihrer Studie ging Hirte der Frage nach: „Wie werden Kommunikationsmedien in Fernbeziehungen genutzt?“. Befragte Paare, die eine Fernbeziehung führen, gaben an, das Telefon am häufigsten zu nutzen, um den Kontakt zum Partner zu wahren. Im Alltag ergeben sich durch Telefonate ins Ausland oftmals hohe Gesprächskosten. Aufgrund dessen wird die Dauer der Telefonate meist sehr kurz gehalten.

Imagination – Bestandteil der Telefonie

Das Telefon selbst übermittelt akustische Signale. Visuelle Eindrücke der Gesprächsumgebungen werden nicht vermittelt. Dennoch stellen sich die Gesprächspartner oftmals den Ort vor, an dem sich der jeweilige Partner befindet. Vorstellungskraft, Imagination, wird somit zum Bestandteil der Kommunikation. Besonders schwer fiel es den von Hirte befragten Personen, sich die Gesprächsumgebung des Partners vorzustellen, wenn sie das entsprechende Wohnumfeld nicht kannten.

Von der Imagination zum „Image“

Der Begriff „Image“ wurde im Kontext der Face-to-Face-Kommunikation, Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, von Erving Goffman geprägt. Als Image bezeichnet Goffman verschiedene Persönlichkeitseigenschaften, die in unterschiedlichen sozialen Situationen nach außen projiziert werden. Grundelemente des projizierenden Verhaltens sind Blicke, Gesten, Haltungen und sprachliche Äußerungen. Diese Informationen sind für den jeweiligen Kommunikationspartner wichtig. Auf der Deutung des Verhaltens des jeweiligen Gegenübers werden Entscheidungen getroffen, die sich auf das eigene Verhalten während der Kommunikation auswirken.

Goffman geht davon aus, dass die wechselseitige Beziehung von Ehrerbietung und Benehmen ein ritueller Kodex ist, dessen Ziel die Herstellung eines rituellen Gleichgewichts ist. Innerhalb dieses Gleichgewichts kann jeder der Kommunikationsteilnehmer die Persönlichkeitseigenschaften darstellen, die ihm in der konkreten Situation angemessen, bzw. verehrwürdig, erscheinen. Diese interaktiv ausgehandelten Selbstbilder ermöglichen es den Kommunikationsteilnehmern Ehrerbietung für sich Selbst zu erhalten. Die Selbstbilder sind ihr Image.

Technisch vermittelte Kommunikation

Kommunikation mittels moderner, digitaler Meiden, wie Skype und Whatsapp, ist aus mediensoziologischer Perspektive interpersonal und mediatisiert. Interpersonal ist die Kommunikation, weil Personen miteinander kommunizieren. Mediatisiert ist die Kommunikation, weil sie durch ein Medium technisch vermittelt wird. Die Kommunikation ist somit an die Nutzung einer bestimmten Kommunikationstechnologie gebunden.

Technisch vermittelte Kommunikation wurde innerhalb der Medien- und Sozialforschung lange Zeit strikt unterschieden von der direkten, unvermittelten, Kommunikation. Schließlich würde bei der technisch vermittelten Kommunikation keine Kommunikation zwischen anwesenden Personen stattfinden. Mittlerweile nimmt die Verbreitung von Kommunikationsmedien zu. Durch immer neuere Technologien werden immer komplexere Kommunikationsangebote ermöglicht. Durch technische Entwicklungen, wie die Smartphone-Kamera, findet eine zunehmende Annäherung technisch vermittelter Kommunikation an das Gefühl der direkten Face-to-Face-Kommunikation statt.

Medial vermittelte Face-to-Face-Kommunikation

Als wesentlich erachtet Carl-Friedrich Graumann die Einstellung der Kommunikationspartner gegenüber dem Medium: „Wenn dieses Medium (a) echte, d.h. wechselseitige, Kommunikation gestattet und (b) im Prozess der Kommunikation erlebnismäßig zurücktritt, kann von einer psychologisch unvermittelten Kommunikation gesprochen werden.“ (Graumann zit. nach Höflich, vgl. ebenda: 59.).

„Erlebnismäßig zurück“ tritt ein technisches Kommunikationsmedium, wenn es Botschaften der Kommunizierenden übermittelt ohne dabei selbst psychologisch auf die Kommunikation einzuwirken. Robert Cathcart und Gary Gumpert konstatieren, dass eine technisch vermittelte Kommunikation nur unter folgenden Bedingungen wie eine direkte interpersonale Kommunikation funktionieren kann:

  • Zwischen den Kommunikationsteilnehmern besteht eine taktische Übereinkunft so vorzugehen, als ob sie Facet-to-Face miteinander kommunizieren würden.
  • Die Mediatisierung im Kommunikationsprozess wird nicht zum Thema der Kommunikation.

Kommunikation in digitalen Medien

Telekommunikative Medien lösen das gesellschaftliche Geschehen von jeder Form der räumlichen Bindung. Von Medien beeinflusste Handlungsbereiche werden immer umfassender und bedeutsamer.

„Die einzelnen raum-zeitlich strukturierten Sinnprovinzen, die Medien früher bezeichneten, wachsen zu einer umfassenden Medienumgebung zusammen, auf die sich immer mehr funktionale Nutzungsweisen der Menschen beziehen, und die immer differenziertere Nutzungsmöglichkeiten anbietet“. (Friedrich Krotz)

Durch den Prozess der Digitalisierung wachsen heute alle Medien zu einem universellen Netz zusammen, zu dem man mit unterschiedlichen Endgeräten Zugang erhält. Mit den entsprechenden Geräten kann man an Inhalte in ihren jeweils spezifischen Formen gelangen.

Beziehungen losgelöst von räumlicher Nähe

Früher ermöglichte ein räumlich geordnetes Kommunikationsnetz Beziehungen zwischen Personen. Das Netz machte Face-to-Face-Begegnungen möglich. Heute existiert neben dem räumlich geordneten Kommunikationsnetz ein zweites Kommunikationsnetz, das ebenfalls Face-to-Face-Begegnungen ermöglicht. Dieses zweite Netz lässt neben dem physischen Zusammentreffen von mehreren Personen an einem Ort auch andere Begegnungsarten zu. Viele Personen versichern sich beispielsweise online ihrer gegenseitigen Liebe. Somit ist es an der Zeit sich von einer rein anthropozentrischen Sichtweise auf das Internet zu verabschieden.

Face-to-Face mit der Smartphone-Kamera

Online vermittelte Kommunikation – vor allem interpersonale – kann nicht mehr pauschal als anonym charakterisiert werden. Durch den Einsatz von Medien können wesentliche Faktoren für eine Paarbeziehung, wie Nähe, Romantik und Emotionalität, vermittelt werden. Eine sehr große Rolle spielen hierbei Webcams, vor allem jedoch die Kamerafunktion des Smartphones.

Partner, die sich in einer Fernbeziehung befinden, sind zumeist durch große räumliche Distanz voneinander getrennt. Mittels ihrer Smartphones können sie jedoch auf kameragestützte Applikationen, wie Skype und Whatsapp zurückgreifen. Sie können – technisch-medial vermittelt- Face-to-Face miteinander kommunizieren. Somit ermöglicht die Smartphone-Kamera die pflege zwischenmenschlicher Beziehungen im digitalen Raum.

Literatur

Beck, U./ Beck-Gernsheim, E. (2013): Lebensformen im globalen Zeitalter. Fernliebe. Berlin: suhrkamp.

Goffman, E. (1986): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a.M.: suhrkamp.

Hirte, J. (2000): In weiter Ferne – so nah. Wie Kommunikationsmedien in Fernbeziehungen genutzt werden und diese strukturieren. In: S. Beck (Hg.): Technogene Nähe. Ethnographische Studien zur Mediennutzung im Alltag. URL: http://www.academia.edu/1569159/Technogene_N%C3%A4he._Ethnographische_Studien_zur_Mediennutzung_im_Alltag._M%C3%BCnster_2000_Lit (zul. abgerufen 22.3.15).

Höflich, J.R. (1996): Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation. Grundlagen, organisatorische Medienverwendung, Konstitution „elektronischer Gemeinschaften“. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Höflich, J. R. (2003): Mensch, Computer und Kommunikation. Theoretische Verortungen und empirische Befunde. Frankfurt a. M.u. a.: Peter Lang.

Krotz, F. (2008): Kultureller und gesellschaftlicher Wandel im Kontext des Wandels von Medien und Kommunikation. URL: http://www.medien-gesellschaft.de/html/krotz.html (zul. abgerufen 22.3.15).

Kuhm, K. (2003): Telekommunikative Medien und Raumstrukturen der Kommunikation. In: C. Funken, (Hg.): Raum – Zeit – Medialität. Interdisziplinäre Studien zu neuen Kommunikationstechnologien. Opladen: Leske + budrich.

Schultz, T. (2001): Mediatisierte Verständigung. Distance Communiation. In: Zeitschrift für Soziologie Jg. 30, Heft 2, April 2001. URL: http://www.zfs-online.org/index.php/zfs/article/viewFile/1072/609 (zul. abgerufen 22.3.15).

Wehner, J. (1997): Medien als Kommunikationspartner. Zur Entstehung elektronischer Schriftlichkeit im Internet. In: L. Gräf / M. Krajewski (Hg.): Soziologie des Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk. Frankfurt am Main: Campus.

Zitationshinweis

Für den Fall, dass Sie die Inhalte des Bereichs Forschung dieser Webseite an anderer Stelle zitieren möchten, stellen wir Ihnen folgenden Zitationsweis als Empfehlung zur Verfügung:

Vasa, Stefanie (2015): Face-to-Face mit der Smartphone-Kamera. [WWW document]
URL: http://www.migracom.de/forschung/smartphone-kamera-2/, (zuletzt aufgerufen am TT.MM.JJJJ).