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Projektskizze

Hier werden die Inhaltlichen Eckpunkte des 'Lexikon der Revolutions-Ikonographie in der europäischen Druckgraphik 1789-1889' präsentiert. Es handelts sich um einen kompakten, leicht vereinfachten Auszug aus dem von der DFG bewilligten Antrag unter der Herausgeberschaft von Wolfgang Cilleßen, Rolf Reichardt und Martin Miersch.

 

1. Archäologie einer versunkenen Bildkultur

Als größtes Medienereignis seit den Tagen der Reformation hat die Französische Revolution einen ebenso tiefgreifenden wie folgenreichen und nachhaltigen Umbruch der politischen Kultur bewirkt, weit über Frankreich hinaus. Es handelt sich um eine tendenziell demokratische und internationale, ganz wesentlich visuell geprägte öffentliche Kultur. Mit der Etablierung der Nationalstaaten schrittweise verdrängt, blieb sie – mehr oder weniger verdeckt – gleichwohl bis in das späte 19. Jahrhundert hinein virulent. Was sich von ihr erhalten hat, sind neben einer Reihe von Gemälden und Skulpturen, Bauwerken und gegenständlichen Zeugnissen wie Medaillen, Porzellan und Textilien vor allem im Druck vervielfältigte Ereignis-, Sinn- und Spottbilder der unterschiedlichen politischen Lager: zunächst Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen, später zumeist Lithographien und Holzstiche, teils als fliegende Blätter verbreitet, teils als Illustrationen von Flugschriften und Journalen veröffentlicht – ein eher alltäglicher Bereich der alten Druckgraphik, weithin ›Niemandsland‹ zwischen Kunstgeschichte und Fachhistorie.

Diese auf Massenwirkung angelegte politische Bildpublizistik bestand nicht aus isolierten Einzelwerken, sondern war vielfach in sich vernetzt: chronologisch durch wiederholte, ständige Bezugnahme auf die Französische Revolution, ihre Ereignisse, Symbole und Bilder; geographisch durch den häufigen Transfer und das Wechselspiel von Bildern und Motiven über die Sprach- und Ländergrenzen hinweg. Beispielsweise griffen französische und deutsche, italienische und englische Bildermacher 1830/35 und 1848/52 immer wieder auf prägnante Darstellungen der République oder der Guillotine aus den Jahren 1792-96 zurück, passten sie sinngemäß oder polemisch den neuen Umständen an und argumentierten so hintersinniger, als völlige Neuschöpfungen erlaubt hätten. Um solche verschlungenen, oft kreativen Bild-Filiationen aufzuspüren, bedarf es eines Arbeitsansatzes, der die Perspektive der ›longue durée‹ mit dem komparatistischen Blick verbindet.

Eben darin bestand das Forschungsprojekt »Revolutionserinnerung in der europäischen Bildpublizistik (1789-1889)«, das im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Erinnerungskulturen« an der Justus-Liebig-Universität Gießen gefördert wurde und aus dem sich das hier vorgestellte Lexikon-Vorhaben ergibt. Seit mehreren Jahren hat ein kleines Team sowohl zahlreiche Satire-Journale und illustrierte Zeitungen des 19. Jahrhunderts als auch zwei Dutzend graphische Sammlungen in Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlande sowie in England, Italien, Österreich und der Schweiz auf Bilder zur Revolutionskultur im umfassenden Sinne ausgewertet. Nachdem die daraus gespeiste Datenbank mit knapp 10.000 Bilddatensätzen ihre Tragfähigkeit bei mehreren Ausstellungen und etlichen Aufsätzen erwiesen hat, soll sie nun die durchgehende Grundlage bilden für ein wissenschaftlich fundiertes und zugleich allgemein nützliches Nachschlagewerk.

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bilddaten zu allen drei Abbildungen

2. Lexikon der Revolutions-Ikonographie

Die Ergebnisse der bisherigen Projektarbeit an dem bildpublizistischen Quellenmaterial erscheinen vor allem in zweifacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen bieten sie neue Einblicke in die zeit- und medienspezifische Bildsprache der politischen Druckgraphik, ihre Produktions- und den Vertriebsmechanismen, ihre populären und massenmedialen Tendenzen. Zum anderen fördert die Verschlagwortung des Materials so zahlreiche und signifikante Wiederholungen einprägsamer Bilderfindungen zutage, dass sie sich zur Grundlage innovativer Motiv-Artikel anbieten. Dementsprechend wird sich das Lexikon der Revolutions-Ikonographie in zwei Hauptteile gliedern:

Der erste – allgemeine – Teil enthält systematisch-historische Überblicksartikel

  • zu den Revolutionen als transnationalen Medienereignissen,
  • zu den bildpublizistischen Konjunkturen der Revolutionserinnerung (Techniken, illustrierte Presse, politisch-soziale Bewegungen),
  • zum zeitgenössischen Graphikmarkt und zur Publizistik in den bearbeiteten Medienlandschaften (Frankreich, niederländisch-belgischer sowie deutscher Kulturraum usw.),
  • ferner zu den politischen Bildgattungen (Ereignisdarstellung, Porträt, Allegorie, Karikatur etc.),
  • zur Intermedialität und Interpikturalität in der Revolutionsgraphik sowie zu ihren Verfahren der Narrativität, der Performativität und der interaktiven Präsentation (Spiele, Klappgraphik etc.).

Im umfangreicheren zweiten Teil werden die bildpublizistischen Motive in ihrer jeweiligen Ausprägung in den verschiedenen Ländern und in ihrer wechselseitigen formalen wie inhaltlichen Rezeption während der Revolutions- und Restaurationsgeschichte untersucht. Die vorgesehenen 140 Artikel betreffen hauptsächlich Bildmotive zu den folgenden Bereichen:

  • Symbole wie Bastille und TrikolorePhrygenmütze und Freiheitsbaum, der antidespotische Löschhut und der (Vaterlands)Altar, die Laterne und die Guillotine, die von der Französischen Revolution neu geprägt worden sind;
  • revolutionär unfunktionierte Symbole und Symbolhandlungen wie die Gesetzestafeln (Constitution), das Denkmal und der Denkmalsturz, der Eid und der Leichenzug, das Auspressen (Kelter/Presse) und das Ausfegen (Besen);
  • visuelle Stilisierungen widerstreitender politisch-sozialer Gruppen und Typen wie die Patrioten und das Volk, die Sansculotten und späteren Proletarier, die (Revolutions)Helden und Freiheitsmärtyrer auf der einen, die Aristokraten und die Emigranten, der Reaktionär und der Militär, die Klubbisten und die Terroristen auf der anderen Seite;
  • revolutionär umgedeutete Figuren und Allegorien der antiken Mythologie, der christlichen und alteuropäischen Ikonographie wie Chronos und Charon (Hades), Diogenes und HeraklesMars und Phaeton, das Glücksrad (Fortuna) und die Luftblase (Vanitas), Hölle und Engel, Jüngstes Gericht und AuferstehungFreiheit und GleichheitJustitia und Republik;
  • kreative Adaptionen herausragender Einzelwerke der ›Hochkunst‹ wie Füsslis Nachtmahr (Abtraum) oder Davids Schwur der Horatier (Eintracht);
  • Darstellungen revolutionärer Soziabilität: ClubNationalgardeParlament, öffentliches politisches Fest etc.;
  • Ausdrucksformen und Verfremdungen des menschlichen Körpers und seiner Kleidung, wie sie sich in scatologischen Akten, in Krankheit und Heilung, in Deformierungen (Infantilisierung) und zoomorphen Figuren, in Hüten und Barttracht äußerten;
  • Visualisierungen der revolutionären Kräfte und Gegenkräfte (Aufklärung, RevolutionTerreurReaktionVolksaufstandExekutionBarrikade), auch in Form von Naturmetaphern wie Licht und Finsternis, Vulkanausbruch und Sturzflut.

Um eine übermäßige ›Atomisierung‹ der alphabetischen Einträge nach Möglichkeit zu vermeiden, sollen komplementär oder polar aufeinander bezogene Motive in einem Artikel behandelt werden.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bilddaten zu den Abbildungen

 

3. Wissenschaftliche Kooperation

Der Mitarbeiterstab des Lexikons ist ähnlich interkulturell profiliert wie die Revolutions-Ikonographie, die er analysiert. Die Initiative, die Materialversorgung und die Redaktion des Werkes liegen zwar beim Gießener Projekt-Team, dieses ist aber in zahlreichen Fällen auf die länder-, zeit- und problemspezifischen Detailkenntnisse anderer Fachleute angewiesen. Aufbauend auf bildwissenschaftlichen Kolloquien in Ascona (2002), Mainz (2005) und Berlin (2006), bei denen das Gießener Arbeitsteam dauerhafte Kontakte zu einschlägigen Forscherinnen und Forschern im In- und Ausland knüpfen konnte, ist das Lexikon daher als internationales Gemeinschaftswerk konzipiert.

Aus der folgenden Artikelliste ist die rege Beteiligung ausgewiesener Autoren auch Frankreichs, der Schweiz, Italiens, der Niederlande, Englands und der USA abzulesen. Kompetente Nachwuchsforscher, die Interesse hätten, einen der noch freien Artikel zu bearbeiten, sind eingeladen, den Herausgebern ihre Vorschläge zu senden.