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"Neue Briefe aus Paris": Bericht zu Claus Leggewies Ludwig Börne-Antrittsvorlesung

"Neue Briefe aus Paris"

Bericht zu Claus Leggewies Ludwig Börne-Antrittsvorlesung

Mit seinem Vortrag "Neue Briefe aus Paris. Schubumkehr im literarisch-politischen Grenzverkehr" trat Claus Leggewie am vergangenen Dienstag seine am ZMI verankerte Ludwig Börne-Professur an.

Trotz doppelter Konkurrenz durch einen angenehmen Sommeranfang-Abend und das zeitgleich laufende EM-Fußballspiel Deutschland gegen Nordirland erschienen rund 80 interessierte Besucher. Nach Grußworten des JLU-Präsidenten Prof. Joybrato Mukherjee und der ZMI-Direktorin Prof. Kathrin Lehnen sprach Prof. Leggewie rund 45 Minuten über den Einfluss französischen Gedankenguts auf die deutsche Kultur von der Französischen Revolution bis in unsere jüngste Vergangenheit. Damit öffnete er den Fokus von einer rein historischen Einordnung Ludwig Börnes in den deutsch-französischen Ideen-Austausch des frühen 19. Jahrhunderts auf eine globalere These: die Verschiebung der deutschen Frankreich-Bewunderung vom linken an den rechten Rand.

Während die Verehrung deutscher Intellektueller für das französische Nachbarland noch im späten 18. und im 19. Jahrhundert meist an revolutionäres und linkes Gedankengut anknüpfte (siehe Carl Ludwig Börne und Heinrich Heine), verschob sich die Bezugnahme im 20. Jahrhundert auf französische Denker des rechten Randes. Zwar werden mit Jean-Paul Sartre und Albert Camus seit den 1940er Jahren, der "Nouvelle Gauche" ab 1968 und der "Franzosentheorie" in den 1970ern Beispiele dafür aufgeführt, dass Frankreich weiterhin wichtige linke Einflüsse liefert.

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Prof. Claus Leggewie mit Prof. Kathrin Lehnen und Sabine Heymann sowie den Mitarbeitern des ZMI
Doch formieren sich mit den Befreiungsschlägen der 1968er auch die "Nouvelle Droite" und mit diesem Gedankengut – von Leggewie als "Seelenlage zwischen Dandytum, Rebellion und Melancholie" beschrieben – auch die dazu passenden Autoren. Hierzu referierte Leggewie ausführlich Jacques Raspail und Renaud Camus. Anhand von Raspails Camp des Saints(1978) zeigte er exemplarisch, wie im Nachgang der Toleranz-Hochzeit der 68-Bewegung Ängste gegen eine vermutete "Invasion" fremder Kulturen geschürt wurden, die heute neuen Zündstoff finden. Leggewie verwies auf die beachtliche Leserzahl Raspails in Deutschland sowie auf Neuübersetzungen und Neuauflagen seiner Werke gerade in den letzten Jahren, passenderweise auch im nach Ernst Jünger benannten sachsen-anhaltischen Verlag edition antaios. Dabei zeichnete er nach, wie Raspail in der aktuellen Flüchtlingsdebatte zum "Kultautor der völkisch-autoritären Rechten" und zum Visionär stilisiert wird. Ähnliches geschehe aktuell auch mit Renaud Camus' Thesen gegen das "Grand Remplacement", welches – teils gegen das Verständnis des Autoren – von nachwachsenden europäischen Rechten als Instrument gegen "Willkommenskultur" und "Multikulti-Fantasten" instrumentalisiert werde.
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Anstoßen auf die Ludwig Börne-Professur
So kommt Leggewie zu dem Schluss, "im Ideenaustausch mit Frankreich" habe "eine Art Schubumkehr stattgefunden. Bei Camus fällt den meisten Älteren noch Albert ein, nicht wenige Jüngere denken indessen an den Namensvetter Renaud. Bei François-Vincent Raspail, dem Barrikadenkämpfer der Juli-Revolution, zu Börnes Zeiten also, gab es eine ähnliche Mutation zu Jean, dem erklärten Gegenrevolutionär."

Im Anschluss an den Vortrag fand im Rektorenzimmer ein Empfang in lockerer Atmosphäre statt, den Claus Leggewie mit erhobenem Glas eröffnete. Bei weiteren Gesprächen rund um Frankreich, Europa und die Börne-Professur geriet auch die zweite Halbzeit des Deutschlandspiels, das im Rektorenzimmer gezeigt wurde, ganz in den Hintergrund.

Claus Leggewies Vortrag soll in der September-Ausgabe der Zeitschrift "Sinn und Form" publiziert werden. Zur Leseprobe auf dem Online-Auftritt der Zeitschrift gelangen Sie hier.

(01.07.2016, Ann-Marie Riesner)