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VWL I: Sind die Hersteller von Computermonitoren, Dachziegeln und Bananen Kriminelle?

Dr. Johannes Paha (Justus-Liebig-Universität Gießen) richtete am Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld eine Tagung zur kartellrechtlichen Compliance aus. Renommierte ForscherInnen aus Deutschland, Großbritannien und den USA zeigten auf, wie kartellrechtskonformes Verhalten gefördert werden kann.

Es handelt sich keineswegs um ein neues Phänomen: Preis- und Mengenabsprachen zwischen Unternehmen, Gebiets- und Kundenaufteilungen gab es bereits in der Antike und schon damals schädigten sie die Kunden der beteiligten Unternehmen. Heute betreffen solche Absprachen Güter wie bspw. Computermonitore, Dachziegel und Bananen. Sie schädigen sowohl private Haushalte als auch Unternehmen, die Abnehmer dieser Produkte sind. Jedoch lohnen sich solche Absprachen für die Missetäter immer seltener. Bußgelder in dreistelliger Millionenhöhe sind keine Ausnahme mehr und Schadensersatzklagen gewinnen an Bedeutung. Diese Verfahren binden oft über Jahre die Aufmerksamkeit der beteiligten Manager. Nicht zuletzt fürchten die beteiligten Unternehmen Reputationsverluste, die ihre Absatzposition schwächen und sie sowohl für neue Mitarbeiter als auch für Kapitalgeber unattraktiver machen können. Der Begriff „Compliance“ steht daher für Maßnahmen, mit denen sich Unternehmen selbst korrektes Verhalten verordnen.

Die wissenschaftliche Diskussion dieser Maßnahmen stand im Mittelpunkt einer Tagung, zu der Dr. Johannes Paha (Justus-Liebig-Universität Gießen) renommierte Compliance-Forscher aus dem In- und Ausland an das Zentrum für interdisziplinäre Forschung nach Bielefeld eingeladen hatte. Aus der Warte der Volks- und der Betriebswirtschaftslehre mahnte Prof. Dr. Kai Hüschelrath, dass es nicht darum gehe, so viele Compliance-Maßnahmen wie möglich umzusetzen und zeigte auf, wie ein gesundes Maß aussehen könne. Dr. Peter Kotzian ergänzte, dass überraschenderweise gerade Mitarbeiter in den Bereichen Sales und Marketing ein vergleichsweise ethisches Verhalten an den Tag legen, während bei Mitarbeitern mit einer Ausbildung im Bereich Informationstechnologie das Gegenteil der Fall sei. Rechtskonformes Verhalten, so betonte Daniel Herold, müsse auch durch die Wahl geeigneter Entlohnungsformen gefördert werden könne. Den Mitarbeitern müssten Ziele gesetzt werden, die sie nur durch eigene Anstrengung aber nicht durch rechtswidriges Verhalten erreichen können. Prof. Dr. Ulrich Schwalbe zeigte zudem Möglichkeiten auf, wie Unternehmen Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter mittels statistisch-ökonometrischer Verfahren schnellstmöglich entdecken können.

Eingeleitet durch Vorträge von Dr. Florence Thépot und Dr. Per Rummel debattierten die Tagungsteilnehmer auch intensiv über die Frage, ob Unternehmen die Möglichkeit eines teilweisen Erlasses der Geldbuße in Aussicht gestellt werden solle, wenn diese in Compliance-Maßnahmen investieren. In einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre wurde diese Frage kontrovers diskutiert und festgehalten, dass ein Ergebnis nicht nur durch theoretische Überlegungen erzielt werden könne sondern auch weiterer empirischer Forschung bedürfe. Eindeutig und überzeugend fiel das Urteil von Prof. Dr. Andreas Ransiek aus, dass eine Einordnung von Kartellrechtsvertößen als Straftaten (aktuell: Ordnungswidrigkeiten) nicht geboten sei, zumal dies an der Höhe der Sanktionen nichts ändere. Prof. Dr. Florian Wagner-von Papp fügte an, dass eine stärkere Fokussierung der Sanktionen auf die Mitarbeiter – zusätzlich zur Sanktionierung auf Unternehmensebene – weitere Abschreckungseffekte bewirke.

Mit großem Interesse folgten die Zuhörer den Ausführungen von Agnieszka Paruzel zu den psychologischen Merkmalen kartellrechtswidrig handelnder Mitarbeiter. Zum Beispiel könne eine hohe Leistungsbereitschaft den Rechtsbruch sowohl fördern als auch verhindern, während hingegen ein starkes Machtstreben klar zum Gesetzesübertritt motiviere. Prof. Dr. Bernd Marcus zeigte in diesem Zusammenhang Möglichkeiten auf, wie Risikomitarbeiter bereits im Einstellungsverfahren erkannt werden können. Den Abschluss der Tagung bildete Prof. Dr. Anja Jakobi, die darstellte, dass Kartellrechtsverstöße trotz ihrer Schwere oftmals noch nicht die Aufmerksamkeit erfahren, die z.B. der Geldwäsche zuteil wird. Sie illustrierte somit anschaulich, dass sowohl in Wissenschaft als auch Praxis eine weitere Beschäftigung mit dem Thema der kartellrechtlichen Compliance dringend geboten ist. Solche Forschungslücken wurden gezielt auch von Prof. Dr. D. Daniel Sokol benannt., der als Compliance-Forscher an der University of Florida tätig ist.

Das Programm der Veranstaltung finden Sie hier.

 

English summary:

Price fixing, market sharing, and customer allocation agreements are as prevalent as ever. However, a rising level of fines and re-payments for damages reduces their profitability for the firms, who increasingly engage in compliance measures aimed at preventing competition law violations. A workshop at the Center for Interdisciplinary Research in Bielefeld organized by Dr. Johannes Paha (Justus-Liebig-University Giessen) brought together compliance researchers from different fields: Economists presented payment schemes that prevent misconduct, while psychologists showed which character traits help to ensure compliant conduct. Legal scholars argued that sanctions imposed on the misbehaving employees may be more effective than a criminalization of the firms. The researchers identified a need for further research on the question whether firms should be incentivized to invest in compliance measures by promising them reductions of the fines imposed on anticompetitive conduct.