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Wie Bakterien Antibiotika mit Hilfe von RNA „spüren“ können

Neuer Mechanismus der Antibiotikaresistenz am Institut für Mikrobiologie und Molekularbiologie der Universität Gießen entdeckt

Nr. 48 • 29. April 2021

Die Entdeckung der Antibiotika war ein Meilenstein für die Bekämpfung bakterieller Krankheiten. Allerdings übt die Nutzung von Antibiotika einen Selektionsdruck aus, der die Verbreitung resistenter Krankheitserreger fördert. Besonders gefürchtet sind multiresistente Bakterien, bei denen gleich mehrere Antibiotika unwirksam sind. Für den Kampf gegen resistente Krankheitserreger ist neben der Suche nach neuen Antibiotika auch die Kenntnis der Resistenzmechanismen wichtig. Ein neuer Resistenzmechanismus ist nun in der Arbeitsgruppe von apl. Prof. Dr. Elena Evguenieva-Hackenberg am Institut für Mikrobiologie und Molekularbiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) entdeckt worden. Sie konnten zeigen, dass Bakterien Antibiotika mit Hilfe von Ribonukleinsäuren (RNA) „spüren“ können und dann den Abwehrmechanismus in Gang setzen.

Eine Multiresistenz wird häufig durch sogenannte Multidrug-Resistance-Effluxpumpen in der Zellhülle bewirkt. Mit Hilfe dieser MDR-Effluxpumpen sind die Bakterien in der Lage, viele unterschiedliche antimikrobielle Stoffe aus der Zelle zu befördern. Die meisten Antibiotika werden von mikrobiellen Bodenbewohnern, also Pilzen und Bakterien, produziert. Dementsprechend sind etliche Bodenbakterien mit ausgeklügelten Resistenzmechanismen ausgestattet – eines wurde an der JLU besonders unter die Lupe genommen.

In seiner Doktorarbeit hat Hendrik Melior, Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs 2355, Knöllchenbakterien der Gattung Sinorhizobium untersucht. Diese Bakterien müssen im Boden und in der Rhizosphäre um die Pflanzenwurzeln konkurrenzfähig sein. Darüber hinaus müssen sie auch die Pflanzenabwehr überstehen, um eine Symbiose mit ihrem Pflanzenwirt (z.B. Luzerne) einzugehen. Im Zuge dieser Symbiose binden die Bakterien Stickstoff aus der Luft und machen es der Pflanze zugänglich – eine Art grüne Düngung. Dieser Lebensstil hat dazu geführt, dass Sinorhizobium eine hohe Multiresistenz aufweist. Da Sinorhizobium mit Krankheitserregern verwandt ist, sind seine Resistenzmechanismen von besonderem Interesse.

Das Forscherteam konnte nachweisen, dass Sinorhizobium und andere verwandte Bodenbakterien mehrere Antibiotika und bioaktive Pflanzenstoffe mit Hilfe von RNA und einem kleinen Peptid in neuartigen Komplexen (ARNPs) binden. „Mit Hilfe dieser ARNPs werden in den Zellen bestimmte Boten-RNA (mRNA) abgebaut“, erläutert Melior. „Dadurch wird die Expression bestimmter Gene verändert und insbesondere werden die Gene der wichtigsten MDR-Effluxpumpe hochreguliert.“

Dieses Ergebnis hat die Forscherinnen und Forscher überrascht. „Das ARNP-Peptid und eine der beteiligten regulatorischen RNA sind seit 40 Jahren bekannt, wurden bisher aber als Abfallprodukte der Zellen angesehen“, sagt apl. Prof. Evguenieva-Hackenberg. „Nun konnten wir nachweisen, dass sie eigene Funktionen haben.“ Der ARNP-Mechanismus erlaubt den Bakterien, die Anwesenheit von Antibiotika auf RNA-Ebene zu „spüren“ und schnell mit Abwehrmechanismen darauf zu reagieren. Ist das Antibotikum dann aus der Bakterienzelle hinausgepumpt, fallen die ARNP-Komplexe auseinander und die Genexpression wird wieder normalisiert.

„Diese Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Bodenbakterien als Reservoir für neue Resistenzmechanismen“, so apl. Prof. Evguenieva-Hackenberg. „Sie zeigen auch, dass Antibiotika mit unerwarteten Partnern in Bakterienzellen interagieren können.“ Dies eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung, die Nutzung und den Nachweis antimikrobieller Stoffe.

  • Publikation

Biospektrum 2021, DOI: 10.1007/s1226802115450

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Schlagwörter
Forschung