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Homophobie, Diskriminierung und Flüchtlingspolitik als wahlentscheidende Themen

Studie der Universitäten Gießen und Wien untersucht das Wahlverhalten der queeren Wählerinnen und Wähler in Berlin

Nr. 163 • 13. September 2016

Wie wählt eigentlich die queere Community? Welche Unterstützung haben die Berliner Parteien von queeren Wählerinnen und Wählern und welche politischen Themen sind ihnen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2016 besonders wichtig? Diesen Fragen sind Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und der Universität Wien in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und der Arbeitsstelle Gender Studies (AGS) der JLU nachgegangen.

Bei der Studie, die ohne Finanzierung durch Dritte realisiert wurde, handelt es sich um die Fortsetzung eines Forschungsprojektes zum Wahlverhalten der LGBTIQ*-Community (LGBTIQ* steht für lesbisch, schwul, bi, trans, inter und queer), das 2015 mit der Wahl zum Gemeinderat in Wien begann. An der Online-Umfrage nahmen 1.058 wahlberechtigte Berlinerinnen und Berliner der LGBTIQ*-Community teil. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes selbstselektives Sample – wer Lust hatte, konnte mitmachen. In die Studie gingen nur die Antworten jener Personen ein, die Angaben zu ihrer LGBTIQ*-Lebensweise gemacht haben. Mit dieser Befragungsmethode lassen sich solide empirische Angaben zu den Einstellungen, Interessen und Präferenzen der LGBTIQ*-Community in Berlin machen. Eine Wahlprognose kann damit nicht berechnet werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Menschen aus der LGBTIQ*-Community überdurchschnittlich stark in Politik und Gesellschaft engagieren. Das Engagement beschränkt sich keineswegs auf Themen, die die Community bzw. LGBTIQ*-Rechte direkt betreffen. Vielmehr ist das Engagement vielfältig und vor allem im sozialen Bereich sehr hoch.

Wichtige und wahlentscheidende Themen für LGBTIQ*-Wählerinnen und Wähler in Berlin sind vor allem Homophobie, Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Dabei zeigt sich einerseits, dass LGBTIQ*-Menschen im vermeintlich weltoffenen und toleranten Berlin nach wie vor große Probleme mit Homophobie und Diskriminierung haben. Andererseits ist die gegenwärtige Spaltung der Gesellschaft in der Asylfrage und in der Begegnung mit dem Islam/Musliminnen und Muslimen auch innerhalb der LGBTIQ*-Community erkennbar. Gefordert werden von der einen Seite besondere Maßnahmen für LGBTIQ*-Flüchtende sowie Schutz und soziale Inklusion, während die andere Seite den Islam für Hass und Gewalt gegen Schwule verantwortlich macht. Die Einstellungen, die von der LGBTIQ*-Community vertreten werden, decken also das gesamte politische Spektrum ab.

Die parteipolitischen Präferenzen der LGBTIQ*-Wählerinnen und Wähler gelten überwiegend linken Parteien bzw. Parteien der linken Mitte (Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD). Der Rückhalt der bürgerlichen Parteien (FDP, CDU) bzw. Rechtspopulisten (AfD) ist gering. In abgeschwächter Form spiegelt sich also auch in der Berliner LGBTIQ*-Community der gegenwärtige Erfolg der AfD wider, insbesondere bei Männern, die bei der letzten Abgeordnetenhauswahl 2011 CDU, SPD, Grüne oder FDP gewählt hatten.

Die innovative Studie wirft erstmals einen Blick auf einen Teil der Gesellschaft, der in den klassischen Wahlstudien in Deutschland und Europa bislang unter den Tisch fällt: die LGBTIQ*-Community. Die Wahlstudie gibt damit also neue Impulse für die Politikwissenschaft und für politische Debatten. Auch für Parteien bieten die Ergebnisse neue Möglichkeiten, sich mit den Interessen und Präferenzen ihrer LGBTIQ*-Wählerschaft zu beschäftigen.

  • Weitere Informationen

www.univie.ac.at/lgbt-wahlstudie/ (Ergebnisse der Wahlstudie)


  • Kontakt



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