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Erfolgsmodell Insekt: Forscher entlocken den heimlichen Herrschern der Welt ihre Geheimnisse

Insekten-Biotechnologie als innovativer Forschungsschwerpunkt an der Universität Gießen – Neue Wirkstoffe für Medizin, Pflanzenschutz und Lebensmittelbiotechnologie im Visier – Land Hessen unterstützt den Aufbau der Fraunhofer-Projektgruppe „Bioressourcen“ mit vier Millionen Euro

Gemeinsame Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Fraunhofer-Gesellschaft und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst

Nr. 201 • 3. September  2009

Insekten sind die erfolgreichsten Tiere der Erde: Mit über einer Million beschriebener Arten zeigen sie die mit Abstand größte Vielfalt aller Organismen auf unserem Planeten. Von diesem Erfolg in der Evolution wollen die Forscher in Gießen lernen. Ihr Ziel ist es, in heimischen Insekten neue Wirkstoffe zu identifizieren, die in der Medizin, im Pflanzenschutz oder in der Lebensmittelbiotechnologie eingesetzt werden können. Die Justus-Liebig Universität Gießen (JLU) und die Fraunhofer-Gesellschaft haben vertraglich eine strategische Allianz vereinbart, um gemeinsam in den angewandten Lebenswissenschaften neue Schlüsseltechnologien zu entwickeln. Am heutigen Donnerstag, 3. September 2009, erfolgte der Startschuss für den Aufbau der Fraunhofer-Projektgruppe „Bioressourcen“ in Gießen, die das Land Hessen mit vier Millionen Euro aus dem Forschungsförderungsprogramm LOEWE unterstützt. Die Projektgruppe soll einen neuen Forschungsschwerpunkt etablieren und ausbauen, der als besonders innovativ und zukunftsweisend gilt: die Insekten-Biotechnologie.

„Die Forschungsziele dieser Projektgruppe passen sehr gut zu den übergeordneten strategischen Zielen der Universität Gießen und ihrem Zukunftskonzept ,Human Life and its Resources’, in dem Verständnis und Schutz des menschlichen Lebens und optimale Nutzung der natürlichen Ressourcen im Blickpunkt stehen“, hob Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann hervor. „Durch die strategische Allianz der beiden Partner ergeben sich erhebliche Synergieeffekte im Bereich Medizin-Ernährung-Umwelt. Nicht zuletzt wird durch diese Strukturförderung Mittelhessen wissenschaftlich und wirtschaftlich gestärkt: Mittelfristig ist die Gründung eines Fraunhofer-Standorts an der Universität geplant.“

Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Erster Vizepräsident der JLU, sagte: „Wir können nun ein in vielerlei Hinsicht neuartiges Forschungsfeld – ein ,emerging field’ – intensiv bearbeiten, um die Grundlagen für die angestrebte dauerhafte Fraunhofer-Ansiedlung in Gießen zu schaffen. Wir hoffen auf ein langfristiges Engagement des Landes bei dieser für alle lebenswissenschaftlichen Fachbereiche unserer Universität zukunftsweisenden Strukturentwicklungsperspektive. Die Justus-Liebig-Universität wird den Prozess mit höchster Priorität gestalten und unterstützen.“

Prof. Dr. Ulrich Buller, im Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft zuständig für Forschungsplanung, erklärte: „Bisher gibt es keine Einrichtung, die das Potenzial des neuen Forschungsfeldes Insektenbiotechnologie systematisch erschließt und wirtschaftlich nutzt. Daher versprechen wir uns eine Alleinstellung in Europa.“ Der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) in Aachen, Prof. Dr. Rainer Fischer, sagte: „Das Fraunhofer IME sieht in der neuen Projektgruppe ‚Bioressourcen’ eine ideale Ergänzung seiner F&E-Aktivitäten an der Schnittstelle der Molekularbiologie und der angewandten Ökologie. Wir versprechen uns durch diese Erweiterung viele innovative Lösungen und Plattformtechnologien in multiplen Bereichen der modernen Lebenswissenschaften auf globaler Ebene.“

Leiter der Gießener Fraunhofer-Projektgruppe ist Prof. Dr. Andreas Vilcinskas, der als Direktor des Institutes für Phytopathologie und Angewandte Entomologie die enge Zusammenarbeit zwischen der JLU und der Fraunhofer-Gesellschaft gewährleistet. Prof. Vilcinskas ist sowohl national als auch international als Pionier auf dem Gebiet der Insekten-Biotechnologie bekannt.

Die neue Fraunhofer-Projektgruppe wird zunächst als Außenstelle des Fraunhofer-Institutes für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie mit seinen Standorten in Aachen (Molekularbiologie) und Schmallenberg (Angewandte Ökologie) am Technologie- und Innovationszentrum Gießen (TIG) untergebracht und soll mittelfristig unter anderem über Mittel aus dem LOEWE-Programm des Landes Hessen finanziert werden. Langfristiges Ziel ist der Aufbau eines eigenständigen Fraunhofer-Institutes, welches als Innovationsmotor für die Biotechnologie den Standort Mittelhessen nachhaltig stärken soll. „Wir sind die einzige Institution in Europa, die die Insekten-Biotechnologie bis hin zur Anwendung bearbeitet“, so Prof. Vilcinskas.

Entwicklung von Antibiotika

In Insekten wurden zahlreiche bisher unbekannte Substanzen entdeckt, mit denen sich diese Organismen erfolgreich gegen mikrobielle Krankheitserreger zur Wehr setzen. Die Fraunhofer-Projektgruppe erforscht künftig, inwieweit aus den von Insekten stammenden Wirkstoffen neue Antibiotika entwickelt werden können. Diese neuen Wirkstoffe, gegen die Krankheitserreger des Menschen noch keine Resistenz entwickelt haben, sollen deshalb die Grundlage für neue Therapien bilden. Dabei widmen die Forscher ihre Aufmerksamkeit besonders solchen Insekten, die über ein schlagkräftiges Immunsystem verfügen müssen, wie die so genannten Rattenschwanzlarven (Larven von bestimmten Schwebfliegen), die als einzige bekannte Tiere in Jauche- und Güllegruben überleben und sich dort von Mikroben ernähren können.

Innovationen im Pflanzenschutz

Neben der Entwicklung von neuen Medikamenten wird sich die Fraunhofer-Projektgruppe auch der Entwicklung von innovativen Strategien im Pflanzenschutz widmen. Insekten sind auf der einen Seite sowohl auf den Feldern als auch als Vorratsschädlinge die größten Nahrungskonkurrenten des Menschen, auf der anderen Seite gehören Arten wie die Biene zu den größten Nützlingen, ohne deren Bestäuberleistung viele Menschen verhungern würden. Vor diesem Hintergrund sollen in Gießen neue Strategien entwickelt werden, mit denen Schadinsekten wirksam bekämpft werden können, ohne die Nützlinge und damit die Umwelt zu beeinträchtigen.

Erforschung neuer Enzyme

Weiterhin verfügen Insekten über Enzyme, mit denen sie auch für andere Tiere unverdauliche Stoffe wie Holz als Nahrung nutzen können. Mit der gebündelten Forscherkompetenz soll nun in Hessen das Potenzial von Insekten als Ressource für neue Enzyme erschlossen werden, welche für die industrielle und die Lebensmittelbiotechnologie (Weiße Biotechnologie) von besonderem Interesse sind. Dass Insekten Rohstoffe für ganze Industrien liefern können, belegen die Raupen des Seidenspinners, die in Asien bereits seit mehr als 5.000 Jahren zur Produktion von Seide verwendet werden. In Hessen soll nun erforscht werden, inwieweit künftig weitere hochwertige Rohstoffe und Enzyme mit Hilfe von Zellen aus Schmetterlingen in industriellen Anlagen produziert werden können.

Testsysteme zur Überwachung der Sicherheit von Lebensmitteln

Neben der „Insect-Biotechnology“ und der „Plant-Insect-Biotechnology“ fokussiert das dritte Geschäftsfeld der Fraunhofer-Projektgruppe auf das „Integrated Risk Management“. Dabei sollen mit Hilfe von bestimmten Insektenarten, wie dem Reismehlkäfer, äußert empfindliche Testsysteme entwickelt werden, mit denen die Qualität und die Sicherheit von Lebensmitteln künftig kostengünstig und zuverlässig überwacht werden kann. „Ich bin davon überzeugt, dass Insekten nicht nur aus ethischen Gründen besser als Mäuse und andere Wirbeltiere als Versuchstiere geeignet sind, sondern auch für die Industrie kosten- und zeitsparende Alternativen darstellen“, so Prof. Vilcinskas.

  • Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Vilcinskas (Leiter Fraunhofer-Projektgruppe Bioressourcen)
Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie
Heinrich-Buff-Ring 26-32, 35392 Gießen,
Telefon: 0641 99-37600, Fax: 0641 99-37609

Prof. Dr. Rainer Fischer
Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie
Forckenbeckstraße 6, 52074 Aachen
Telefon: 0241 6805-11021, Fax: 0241 6085-11025

 

Herausgegeben von der Pressestelle der Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041