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„Ökonomie der Krise. Krise der Ökonomie?“

Neue Ringvorlesung des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen startet am 2. November 2009

Nr. 237 • 14. Oktober 2009

Die Welt erlebt gerade die größte globale Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er Jahre. Ausgelöst wurde diese Wirtschaftskrise durch eine weltweite Finanzkrise. Für grundsolide gehaltene Banken sind zusammengebrochen. Riesige Vermögenswerte wurden in kürzester Zeit vernichtet. In einer dramatischen Rettungsaktion nach der anderen bringen die Staaten der Welt unvorstellbare Geldsummen auf, um Schlimmeres zu verhindern. Viele hatten geglaubt, eine solche Krise wäre heutzutage unmöglich. Wie konnte es trotz allem, was wir seit der Großen Depression gelernt haben, zu diesen Ereignissen kommen? Ist diese Krise anders als frühere Krisen? Haben wir es mit einem Versagen des Finanzsystems oder mit dem moralischen Versagen von Managern zu tun? Was muss sich ändern, damit wir die nächste Krise verhindern können? Hat die Ökonomie als Wissenschaft versagt?

Diesen Fragen widmet sich die neue Ringvorlesung „Ökonomie der Krise. Krise der Ökonomie?“. Das Thema steht in engem Zusammenhang mit der Forschung im Fachbereich 02 – Wirtschaftswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), mit über 3.000 Studierenden einer der größten Fachbereiche der Universität. Die Vorträge der Ringvorlesung zeigen zugleich auch interdisziplinäre Verbindungen des Faches und des Fachbereichs auf. Die Ringvorlesungen des Präsidenten wenden sich gleichermaßen an ein universitäres Publikum und an die Öffentlichkeit in Stadt und Region. Die Vorlesungsreihe wird in diesem Semester in Kooperation mit Prof. Dr. Max Albert, Professor für Verhaltens- und Institutionenökonomik der JLU, durchgeführt.

Eröffnet wird die Reihe am Montag, 2. November 2009, mit dem Vortrag „Systemische Risiken im Finanzsektor: Zu den Ursachen der Finanzkrise“ des Bonner Ökonomen Martin Hellwig. Im Mittelpunkt seines Eröffnungsvortrags stehen die Rolle so genannter „Schrotthypotheken“, die Dynamik der Systemimplosion und Fragen der staatlichen Regulierung. Martin Hellwig ist Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und Vorsitzender des „Lenkungsrates Unternehmensfinanzierung“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Er ist Ehrendoktor der Universität Tübingen und der Humboldt-Universität zu Berlin.

Weitere international renommierte Fachleute aus den Wirtschaftswissenschaften, der Psychologie und der Philosophie werden sich in ihren Vorträgen bis Februar 2010 mit den großen Fragen auseinandersetzen, die durch die Krise aufgeworfen wurden: Vom Mechanismus der Krise über die Wirtschaftsgeschichte bis zur Neuordnung des Finanzsystems, von den ethischen Fragen bis zu den Grundlagenfragen der Ökonomie werden sie die wichtigsten Aspekte der Krise beleuchten.

Im Anschluss an Martin Hellwig wird Isabel Schnabel diskutieren, welche Lehren aus den Finanzkrisen der Geschichte gezogen wurden und inwiefern diese Lehren durch die aktuellen Ereignisse in Frage gestellt werden müssen. Neben weithin bekannten Krisen wie der deutschen Bankenkrise von 1931 wird sie auch auf fast vergessene Krisen eingehen, die verblüffende Ähnlichkeiten mit der heutigen Krise aufweisen. Isabel Schnabel ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Financial Economics an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Research Affiliate am MPI zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.

Der Philosoph und Ökonom Hartmut Kliemt wird in seinem Beitrag nach „der Moral der Krise“ fragen: Aus Kliemts Sicht können weder die Rufe nach „mehr Markt“ noch nach „mehr Staat“ die „Moral der Krise“ bilden. Die der Krise angemessene Moral verlangt in erster Linie, dass wir uns darum bemühen, deren Ursachen genauer und in einer öffentlich transparenten Weise zu verstehen. Hartmut Kliemt ist Professor für Philosophie und Ökonomik an der Frankfurt School of Finance & Management und Adjunct Research Associate des Center for the Study of Public Choice des Wirtschaftsnobelpreisträgers James Buchanan an der George Mason University, Virginia (USA).

Jan Pieter Krahnen wird in seinem Beitrag eine mögliche Erklärung für die seit zwei Jahren andauernde Finanzkrise vorstellen, und dabei auch in ausgewählte Merkmale der „Verbriefungstechnik“ einführen. Auf der Basis der Ursachenanalyse werden die gegenwärtig im Rahmen der G-20-Konferenzen diskutierten Regulierungen dargestellt und bewertet. Der Vortrag wird sich mit Fragen der Krisenprävention, aber auch des Krisenmanagements befassen. Jan Pieter Krahnen ist Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktor des Center for Financial Studies am House of Finance in Frankfurt. Er ist außerdem in der Politikberatung aktiv, zuletzt bei der Vorbereitung der G-20-Konferenzen als Mitglied der Issing-Kommission.

Der Würzburger Psychologe Fritz Strack wird den Rationalitätsbegriff der Ökonomie einer kritischen Analyse unterziehen. Sein Beitrag wird verdeutlichen, dass die ökonomische Theorie allein nicht in der Lage ist, wirtschaftliches Verhalten vorherzusagen und zu erklären. Eine der Ursachen liegt in der Vernachlässigung psychologischer Determinanten menschlichen Handelns. In seinem Vortrag wird er für eine Integration des ökonomischen Modells in eine umfassende, empirisch fundierte Handlungstheorie plädieren. Fritz Strack ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Würzburg. Er ist national und international vielfach ausgezeichnet worden, u. a. mit der Wilhelm-Wundt-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Den Abschluss der Reihe bildet ein Vortrag des Ökonomen Carl Christian von Weizsäcker. Der Ökonomie wird anlässlich der Wirtschaftskrise der Vorwurf gemacht, zu versagen. Zugleich mehren sich die Befunde in der Hirnforschung und der Psychologie, dass die „Anthropologie“ der traditionellen Ökonomie nicht der Wirklichkeit entspricht. Im Vortrag soll die Rolle der Ökonomie dargelegt werden: Ratgeberin der Wirtschaftspolitik in einer Weltgesellschaft, die angesichts ihrer Komplexität nicht zentral gesteuert werden kann. In einer solchen Gesellschaft sind Krisen unvermeidbar, ist die Zukunft nicht voraussagbar. Carl Christian von Weizsäcker war vor seiner Emeritierung Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln. Seitdem ist er Senior Research Fellow am MPI zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.

Mit der aktuellen Ringvorlesung wird das erfolgreiche Format fortgesetzt, das in den letzten Jahren mit der zweisemestrigen Vorlesungsreihe zum „Globalen Wandel“ sowie der Reihe „Die Zukunft des Gehirns“ großen Zuspruch fand.

  • Termine und Referenten der Ringvorlesung im Überblick


2. November 2009 • Prof. Martin Hellwig, Ph.D.
Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn, und Professor an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn
„Systemische Risiken im Finanzsektor: Zu den Ursachen der Finanzkrise“

16. November 2009  • Prof. Dr. Isabel Schnabel
Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Financial Economics, an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
„Was können wir aus den Finanzkrisen der Geschichte lernen?“

30. November 2009  • Prof. Dr. Hartmut Kliemt
Professor für Philosophie und Ökonomik an der Frankfurt School of Finance & Management
„Die Moral der Krise“

14. Dezember 2009  • Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen
Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
„Neue Finanzmarktordnung im Spannungsfeld von Krisenmanagement und Krisenprävention“

18. Januar 2010  • Prof. Dr. Fritz Strack
Professor für Sozialpsychologie an der Universität Würzburg
„Rationale Akteure, verrückte Märkte? Die Defizite der ökonomischen Theorie bei der Erklärung menschlichen Verhaltens“

1. Februar 2010  • Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker
Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn; em. Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln
„Krise in der Ökonomik? Zum Verhältnis von Ökonomik, Hirnforschung und Psychologie“

Alle Vorträge finden in der Aula der Justus-Liebig-Universität Gießen statt (Ludwigstraße 23, 35390 Gießen). Beginn ist jeweils 19 Uhr c.t. Der Eintritt ist frei.

  • Kontakt:

Prof. Dr. Karl-Heinz Kogel, JLU-Vizepräsident
Ludwigstraße 23, 35390 Gießen
Telefon: 0641 99-12020, Fax: 0641 99-12029

Prof. Dr. Max Albert
Professur für Verhaltens- und Institutionenökonomik
FB 02 – Wirtschaftswissenschaften
Licher Straße 66, 35394 Gießen
Telefon: 0641 99-22200

Andreas Schulte M.A., Dipl.-Journ., Persönlicher Referent
Telefon: 0641 99-12005, Fax: 0641 99-12009

Herausgegeben von der Pressestelle der Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041