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Literatur – Medien – Revolution

Ringvorlesung des Präsidenten beschäftigt sich mit gesellschaftlichen und medialen Umbruchphasen von der Vormärz-Bewegung bis zur digitalen Revolution – Auftakt am 10. Dezember 2012 mit dem Schriftsteller und Historiker Dr. Gerd Koenen

Nr. 238 • 27. November 2012

Die Ringvorlesung des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen widmet sich in diesem Wintersemester der Thematik „Literatur, Medien, Revolution“. Bewusst wird damit ein Themenkreis eröffnet, der sich auch mit dem Leben und Wirken eines der berühmtesten Studierenden der Universität Gießen verbindet: Georg Büchner, dessen zweihundertster Geburtstag am 17. Oktober 2013 der Anlass für zahlreiche Veranstaltungen in Gießen und darüber hinaus ist. Ausgehend von der Vormärz-Bewegung beschäftigt sich die Ringvorlesung vor allem mit aktuelleren sozialen Umbrüchen, gesellschaftlichen Revolutionen sowie medialen und kulturellen Entwicklungen – etwa der 68er-Bewegung, dem Niedergang der DDR, dem sogenannten Arabischen Frühling oder der digitalen Revolution.

Namhafte Experten aus Wissenschaft, Literatur und weiteren Praxisfeldern werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesellschaftliche und mediale Umbruchphasen analysieren, Fragen nach Schuld und Verdrängung aufwerfen und dabei auch die Fragestellung verfolgen, inwiefern Literatur und Medien diese Umbrüche begleiten, unterstützen oder gar hervorrufen, beziehungsweise selbst Revolutionen unterliegen. An der Ausgestaltung der Ringvorlesung ist in diesem Jahr das International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) beteiligt. Die wissenschaftliche Koordination lag bei Prof. Dr. Carsten Gansel, Prof. Dr. Joachim Jacob, Prof. Dr. Dirk van Laak, Prof. Dr. Ansgar Nünning und Dr. Martin Zierold.

Die Vorlesungsreihe beginnt am Montag, 10. Dezember 2012, mit einem Vortrag des Schriftstellers und Historikers Dr. Gerd Koenen zum Thema „Die Unberührbaren. Deutsche Teilung als geistige Lebensform, 1968 bis 1989“. Der Beitrag nimmt den Film von Oskar Roehler „Die Unberührbare“ als Ausgangspunkt. Er behandelt am Beispiel seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, die deutsche Teilung als psychischen Zustand, dessen ideologische Absicherungen im Moment der Öffnung der DDR-Grenze zusammenbrachen. Im Vortrag wird aufgezeigt, dass sich diese Zustandsbeschreibung verallgemeinern lässt – nicht nur für die Linke, sondern für einen Gutteil der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die ihre historischen Hypotheken entgegen aller Sonntagsrhetorik bereitwillig abschrieb. Zugleich ist der Vortrag eine autobiographisch angereicherte Reflexion über die Medien der Zeit – und über die realen oder scheinbaren Parallelen von Vormärz und 68er-Revolte.

Dr. Gerd Koenen lebt und arbeitet als freier Autor in Frankfurt am Main. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Förderungen und Auszeichnungen, darunter den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2007.

Der Schriftsteller und Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl wird sich am 14. Januar 2013 im zweiten Vortrag mit dem Thema „Von der Idee der Revolution  zur Praxis der Regression – der Neue Konventionalismus“  auseinandersetzen. Mit dem 11. September 2001 ist ein Phänomen zu beobachten, dass man globalisierte Angst nennen kann. Vor diesem Hintergrund wird der Krieg als eine mögliche Form der Befriedung von Konflikten gedacht. Der Beitrag wird aus der Sicht eines literarischen Autors danach fragen, in welcher Weise ein auf diesem sozialen Grund wachsender sogenannter Neuer Konventionalismus keineswegs nur regressiv gedacht sein muss, sondern im Gegenteil in der Lage ist, ein „revolutionäres Potential“ zu entfalten.

Reinhard Jirgl lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er ist Mitglied im P.E.N.-Zentrum Deutschland und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er erhielt zahlreiche Stipendien,  Preise und Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis 2010.

Die Veranstaltungsreihe wird am 28. Januar 2013 fortgesetzt mit dem Vortrag der Leiterin des Goethe-Instituts Kairo, der Germanistin Gabriele Becker,  zum Thema „Perspektiven des Umbruchs in der Arabischen Welt – Zur Rolle von Kunst und Kultur im Veränderungsprozess“. Die Goethe-Institute in der arabischen Welt führten seit Jahren Programme zur Förderung einer Zivilgesellschaft durch, organisieren Qualifizierungsmaßnahmen und boten Intellektuellen und Kulturschaffenden einen Freiraum für Kreativität und Zugang zu künstlerischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und Europa. Hat diese Arbeit zum Umbruch in den Ländern Nordafrikas beigetragen? Wie sehen Künstler ihre aktuelle Situation und welche Ziele verfolgen sie? Wie gehen sie mit der Transformation in ihren Ländern um?

Gabriele Becker ist neben ihren Aufgaben als Leiterin des Goethe-Instituts Kairo auch Regionalleiterin Nordafrika-Nahost und war im Rahmen ihrer Tätigkeit beim Goethe-Institut für die Arbeit in den Regionen Mittelosteuropa und Nordamerika verantwortlich.

Den vierten Vortrag im Rahmen der Vorlesungsreihe hält der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Philipp Reemtsma. Er beschäftigt sich am 4. Februar 2013 mit dem Thema „Die Schuldvermutung“. „Wer sagt dir denn, dass ein Unschuldiger getroffen worden sei?“, lässt Georg Büchner seinen Robespierre zu seinem Danton sagen. Diese rhetorische Frage steht im Mittelpunkt der Rhetorik der Selbstermächtigung zur Gewalt und zur Immunisierung gegen Kritik an gewalttätiger Praxis, die revolutionäre und terroristische Bewegungen charakterisiert. Der Vortrag wird an einigen Beispielen ihr Funktionieren zu beschreiben versuchen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Philipp Reemtsma ist Geschäftsführender Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg und Vorstand der Arno Schmidt Stiftung. Er erhielt zahlreiche  Preise und Auszeichnungen, darunter die Leibniz-Medaille der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und den Teddy Kollek Preis der Jerusalem Foundation in der Knesset.

Den Abschluss der Ringvorlesung gestaltet am 11. Februar 2013 der Historiker und Journalist Prof. Dr. Ulrich Raulff mit seinem Vortrag zum Thema „Der Staub und die Wolke. Das Literaturarchiv an der Schwelle des digitalen Zeitalters“. Für die Archive bringt der Sprung aus dem Papierzeitalter in die digitale Welt ungeahnte Gefahren, aber auch ungeahnte Chancen mit sich. Wie begegnen Archive, wie begegnet insbesondere ein Archiv, das sich der Überlieferung des literarischen und philosophischen Schreibens verpflichtet weiß, diesen neuen Herausforderungen?

Prof. Dr. Ulrich Raulff ist Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Er war zuvor unter anderem Feuilletonchef der FAZ und Leitender Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.

Die Vorlesungsreihe wendet sich gleichermaßen an ein universitäres Publikum und an die Öffentlichkeit in Stadt und Region. Alle Vorträge finden statt in der Aula im Universitätshauptgebäude (Ludwigstraße 23, 35390 Gießen). Sie beginnen jeweils um 19.15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

  • Termine:

Montag, 10. Dezember 2012 • Dr. Gerd Koenen
Publizist und freiberuflicher Historiker
„Die Unberührbaren. Deutsche Teilung als geistige Lebensform,1968 bis 1989“

Montag, 14. Januar 2013 • Reinhard Jirgl
Schriftsteller
„Von der Idee der Revolution zur Praxis der Regression – der Neue Konventionalismus“

Montag, 28. Januar 2013 • Gabriele Becker
Leiterin des Goethe-Instituts Kairo
„Perspektiven des Umbruchs in der Arabischen Welt – Zur Rolle von Kunst und Kultur im Veränderungsprozess“

Montag, 4. Februar 2013  • Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Philipp Reemtsma
Geschäftsführender Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg und Vorstand der Arno Schmidt Stiftung
„Die Schuldvermutung“

Montag, 11. Februar 2013  • Prof. Dr. Ulrich Raulff
Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach
„Der Staub und die Wolke. Das Literaturarchiv an der Schwelle des digitalen Zeitalters“

Zeit: Die Vorträge beginnen jeweils um 19.15 Uhr.
Ort: Aula im Universitätshauptgebäude, Ludwigstraße 23, 35390 Gießen

Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, Telefon 0641 99-12041