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Die großen Seuchen

Ringvorlesung des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen nimmt Infektionskrankheiten vergangener und moderner Zeiten in den Blick – Auftakt ist am 1. November 2010

Nr. 243 • 19. Oktober 2010

Welches sind die bedeutenden Seuchen vergangener und moderner Zeiten? Was können wir aus ihrer Entstehung, Verbreitung und Bekämpfung lernen? Weshalb geraten Infektionserreger auch heute noch außer Kontrolle? Welche Beziehung gibt es zwischen Infektionen und Krebsentstehung? Welchen Einfluss haben globale Veränderungen auf die Verbreitung von Infektionskrankheiten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Ringvorlesung des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) in diesem Wintersemester.

Das Thema „Die großen Seuchen“ steht in engem Zusammenhang mit der interdisziplinären Forschung in den lebenswissenschaftlichen Fächern der JLU, wie Medizin, Veterinärmedizin, Biologie und Chemie. International renommierte Fachleute aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen werden sich mit vielfältigen und sehr unterschiedlichen Fragestellungen rund um die Infektionsforschung auseinan-dersetzen. Infektionskrankheiten stellen in vielen Regionen der Erde eine wachsende Bedrohung für Gesundheit und Wohlstand der Menschheit dar. Sie können durch sehr verschiedenartige Krankheitserreger wie Bakterien, Parasiten oder Viren hervorgerufen werden und, je nach Aggressivität der Erreger und Empfindlichkeit des Patienten, ganz unterschiedliche Verlaufsformen annehmen. Zunehmende Resistenzentwicklung gegen derzeit verfügbare Medikamente, neu entstehende Erreger, Klimaveränderungen und Migrationsprozesse gehören zu den Faktoren, die die Ausbreitung von Infektionserkrankungen maßgeblich beeinflussen.

Die Vorlesungsreihe beginnt am Montag, 1. November 2010, mit einem musikalisch untermalten Vortrag des Biochemikers Ernst Th. Rietschel zum Thema „Unsterbliche Musik und tödliche Blutvergiftung. Der Sepsistod berühmter Komponisten“. Bis vor etwa 50 Jahren waren bakterielle Infektionen eine Haupttodesursache – auch bei zahlreichen Komponisten, die oft in jungen Jahren verstarben. Ihre Musik ist unvergänglich, aber sie selbst waren es nicht – ganz im Gegenteil. Der Vortrag ist ein musikalisch untermalter Streifzug durch dramatisch-tödlich verlaufende Infektionskrankheiten bedeutender Musiker der vergangenen Jahrhunderte. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ernst Th. Rietschel war langjähriger Direktor am Forschungszentrum Borstel, Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften, und Professor für Im-munchemie und Biochemische Mikrobiologie an der Universität Lübeck. In den Jahren 2005 bis 2010 war er Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Für seine Forschungsarbeit erhielt er zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz.

Der Humanmediziner Jürgen Heesemann setzt die Ringvorlesung fort mit einem Vortrag zum Thema „Die besiegte Pest und was von ihr übrig blieb“. Das letzte Quartal des 19. Jahrhunderts hat mit der mystischen Ansicht, dass Infektionskrankheiten als Strafe Gottes anzusehen sind, aufgeräumt durch den Nachweis von Mikroorganismen als Ursache von übertragbaren Erkrankungen. Seuchenzüge der Pest, die zunächst in Europa und zuletzt global gewütet hatten, scheinen heute, wo der Erreger, seine Pathogenität, Epidemiologie und Ökologie genau bekannt sind, nicht mehr möglich zu sein. Trotzdem gibt es weiterhin den Pesterreger und seine Verwandten in freier Natur. In diesem Vortrag werden historische, epidemiologische und infektionsbiologische Aspekte des Pesterregers und seiner Verwandten erläutert und in den heutigen Kontext von Gesundheitspolitik, Lebensweise und Infektionsforschung gestellt. Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Heesemann ist seit 1996 Direktor des Max von Pettenkofer-Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobio-logie der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2006 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie.

Der Humanmediziner Christian Drosten wird sich im dritten Vortrag der Vorlesungsreihe mit der Frage „Lassen sich Epidemien vorhersagen?“ auseinandersetzen. Neue Erkenntnisse aus der Ökologie der Viren weisen darauf hin, dass kleine Säugetier, insbesondere Fledermäuse und Nager, eine große Vielfalt an Viren enthalten. Diese stehen in enger Verbindung mit gefährlichen Krankheitserregern des Menschen wie dem Ebolavirus oder dem SARS-Virus und könnten eine zukünftige Quelle von Seuchen darstellen. Lässt sich das verfügbare Wissen nutzen, um sol-che Seuchen zu verhindern? Wie müssen Vorbeugemaßnahmen aussehen, die nicht die Bestände von nützlichen und teilweise bedrohten Wildtieren gefährden? Prof. Dr. Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 2005 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Die Veranstaltungsreihe wird fortgesetzt mit einem Vortrag des Virologen Harald zur Hausen, der sich mit der Suche nach infektiösen Krebsursachen befasst. Etwa 20 Prozent aller Krebserkrankungen stehen mit Infektionen in Verbindung. Dieser Zusammenhang wurde in den letzten Jahren zunehmend erkannt und intensiv un-tersucht. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Maßnahmen zu Prävention und Therapie ableiten, wie beispielsweise die Impfung gegen Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen können. In dem Vortrag werden die wichtigsten Krebserkrankungen und ihr Bezug zu Infekten dargestellt. Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Harald zur Hausen war von 1983 bis 2003 Vorsitzender und Wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstandes des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. 2004 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. 2008 erhielt er den Nobelpreis für Medizin.

Den fünften Vortrag der Ringvorlesung hält der Mikrobiologe Jörg Hacker zum Thema „Infektionsforschung – 100 Jahre nach Robert Koch“. Im Mai 2010 jährte sich der 100. Todestag von Robert Koch, der als Begründer der Bakteriologie gilt. Koch hat eine Reihe von Infektionserregern als Erster beschrieben. Auch heute spielen Infektionskrankheiten eine große Rolle in der Medizin. Im Rahmen des Vortrags werden aktuelle Trends und zukünftige Entwicklungen der Infektionsforschung beleuchtet. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jörg Hacker ist Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Bis vor kurzem war er Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin und Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Neben zahlreichen Preisen und Auszeichnungen erhielt auch er das Bundesver-dienstkreuz.

Den Abschluss der Ringvorlesung gestaltet der Immunologe Stefan H.E. Kaufmann mit dem Thema „Seuchen: Empfundene und reale Bedrohungen“. Seuchen wurden schon häufig als besiegt erklärt. Trotzdem versetzen sie die Welt auch heute noch in Angst und Schrecken. Warum ist es nicht gelungen, die Seuchengefahr einzudämmen? Wo und wie entstehen neue Seuchen? Welche Bedeutung haben Armut, Globalisierung, Kontakt mit der Natur und die industrialisierte Massentierzucht? Der Vortrag gibt Antworten auf diese Fragen und zeigt auf, was jeder Einzelne, was Zivilgesellschaft, Industrie, Stiftungen und Staat tun können.

Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan H.E. Kaufmann ist Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie Berlin und Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Charité Berlin. Er ist Präsident der Internationalen Union der Immunologischen Gesellschaften, Altpräsident der Europäischen Föderation der Immunologischen Gesellschaften und Altpräsident und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Prof. Kaufmann ist Verfasser zweier populärwissenschaftlicher Bücher zum Thema:  Stefan H.E. Kaufmann: Wächst die Seuchengefahr? Fischer Taschenbuchverlag, Freiburg, 2010; Stefan H.E. Kaufmann: Seuchen, Herder Verlag, Freiburg, 2010.

An der wissenschaftlichen Ausgestaltung dieser Ringvorlesung waren die JLU-Vizepräsidentin Prof. Dr. Katja Becker (Biochemie der Ernährung des Menschen, Fachbereich 09), Prof. Dr. Georg Baljer (Infektionskrankheiten und Hygiene der Tiere, Fachbereich 10) sowie Prof. Dr. Wolfram Gerlich (Medizinische Virologie, Fachbereich 11) beteiligt.

Die Ringvorlesung wendet sich gleichermaßen an ein universitäres Publikum und an die Öffentlichkeit in Stadt und Region. Beginn ist jeweils um 19.15 Uhr in der Aula im Universitätshauptgebäude (Ludwigstraße 23, 35390 Gießen). Der Eintritt ist frei.

 

  • Termine und Referenten der Ringvorlesung im Überblick:

 

Montag, 1. November 2010 • Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ernst Th. Rietschel

Ehemaliger Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (Leibniz-Gemeinschaft) e.V., Berlin

„Unsterbliche Musik und tödliche Blutvergiftung. Der Sepsistod berühmter Komponisten“ – ein musikalisch untermalter Vortrag

 

Montag, 15. November 2010 • Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Heesemann

Direktor des Max von Pettenkofer-Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, München

„Die besiegte Pest und was von ihr übrig blieb“

 

Montag, 6. Dezember 2010 • Prof. Dr. Christian Drosten

Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Virusökologie – Lassen sich Epidemien vorhersagen?“

 

Montag, 20. Dezember 2010 • Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Harald zur Hausen

Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Harald zur Hausen (Virologe am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg)

„Die Suche nach infektiösen Krebsursachen“

 

Montag, 10. Januar 2011 • Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jörg Hacker

Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften

„Infektionsforschung – 100 Jahre nach Robert Koch“

  

Montag, 24. Januar 2011 • Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan H. E. Kaufmann

Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie Berlin

„Seuchen: Empfundene und reale Bedrohungen“

 

  • Zeit: Die Vorträge beginnen jeweils um 19.15 Uhr.

 

Herausgegeben von der Pressestelle der Universität Gießen, Telefon: 0641 99-12041