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Neuartige elektrische Signale „durchströmen“ Pflanzen

Publikation in renommierter US-amerikanischer Fachzeitschrift „Plant Physiology“

Nr. 42 • 11. März 2009

Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena entdecken eine neue Form der elektrischen Reizweiterleitung in verschiedenen Pflanzenarten. Dieses als „systemisches Potenzial“ bezeichnete elektrische Signal wird von Blatt zu Blatt weitergegeben und durch Verwundung von pflanzlichem Gewebe ausgelöst.

Mithilfe von Feinglas-Mikroelektroden konnten elektrische Signale in Pflanzen gemessen werden, die von Blatt zu Blatt wandern. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Signale in Form von Spannungsänderungen über Zellmembranen ausbreiteten, betrug zwischen 5 und 10 Zentimetern pro Minute. Entdeckt wurde dieses bislang unbekannte elektrische Reizleitungssystem durch eine neuartige Methode: Die für die Messungen notwendigen, faserartigen Elektroden wurden, ohne das Blatt zu verletzen, durch geöffnete Schließzellen (Stomata) hindurch in die Blätter und dann auf die Zellwände des inneren Blattgewebes gesetzt. Stomata sind mikroskopisch kleine Öffnungen in der Blattoberfläche, die dem Wasserhaushalt und Gasaustausch dienen und die die Pflanze je nach Bedarf öffnen oder schließen kann.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das von ihnen als „systemisches Potenzial“ bezeichnete elektrische Signal durch Verwundung ausgelöst und sogar moduliert werden kann. Wird ein Blatt der Pflanze verletzt, so ist der Reiz je nach Art und Konzentration zugegebener Kationen (beispielsweise Kalzium, Kalium oder Magnesium) unterschiedlich hoch und kann über lange Strecken in unverletzten Blättern gemessen werden. Nicht der Transport von Ionen über Zellmembranen, sondern die Aktivierung so genannter Protonen-ATPasen verursacht die Spannungsänderungen, die sich vom Blatt über den Spross bis zum nächsten Blatt fortpflanzen. „Somit ist das von uns gemessene „systemische Potenzial“ überhaupt nicht mit einem klassischen Aktionspotenzial zu vergleichen, wie man es in tierischen Nervenzellen oder auch in Pflanzen findet“, so Prof. Hubert Felle von der Universität Gießen. Aktionspotenziale folgen einer „Alles oder Nichts“-Regel: Sie werden erst ab einem bestimmten Schwellenwert ausgelöst und verbreiten sich dann mit konstanter Stärke. Das „systemische Signal“ hingegen kann gleichzeitig Träger mehrerer Informationen sein: Die Stärke des auslösenden Stimulus (Wundsignal) kann den Ausschlag des systemischen Signals (Amplitude) beeinflussen ebenso wie die Wirkung unterschiedlicher Ionen. „Damit sind wir vielleicht einer wichtigen Reizleitung auf der Spur, die auch durch Raupenfraß ausgelöst wird, die gesamte Pflanze alarmiert und ihre Verteidigung gegen den Schädling in Gange setzt – und dies innerhalb weniger Minuten“, so Axel Mithöfer vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

Das neuartige „systemische Signal“ konnte in fünf verschiedenen Pflanzenarten nachgewiesen werden, darunter bei den Nutzpflanzen Tabak (Nicotiana tabacum), Mais (Zea mays), Gerste (Hordeum vulgare) und Ackerbohne (Vicia faba).

Originalveröffentlichung:

M.R. Zimmermann, H. Maischak, A. Mithöfer, W. Boland, H.H. Felle: System potentials, a novel electrical long distance apoplastic signal in plants, induced by wounding. Plant Physiology, 149, 1593-1600 (2009)

Kontakt:
Prof. Dr. Hubert H. Felle
Botanisches Institut
Senckenbergstr. 17, 35390 Gießen
Telefon: 0641 99-35126
E-Mail: Hubert.Felle@bio.uni-giessen.de