Wie sich Tierversuche reduzieren lassen
Gießener Forscher publizieren mit einem US-Kollegen in „Nature Methods“ – Systematische Variation von Umweltbedingungen bei Tierversuchen führt zu aussagekräftigeren Ergebnissen
Nr. 53 • 30. März 2009
Tierversuche sind derzeit aus der Forschung nicht völlig
wegzudenken, sollen jedoch auf das notwendige Minimum beschränkt
werden. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Forschung von Prof.
Dr. Hanno Würbel, Professor für Tierschutz und Ethologie an der
Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), deren neueste Ergebnisse jetzt
in „Nature Methods“ publiziert wurden.
Mit dieser Arbeit hat
Prof. Würbel – entgegen der bislang gängigen Lehrmeinung –
nachgewiesen, dass die Standardisierung der Umweltbedingungen die
Aussagekraft und Reproduzierbarkeit von Tierversuchen beeinträchtigt.
Er konnte zeigen, dass vielmehr die systematische Variation von
Umweltbedingungen zu besser wiederholbaren und aussagekräftigeren
Ergebnissen führt und damit das Risiko falsch positiver Ergebnisse
verringert. Dies ist nicht nur im Sinne des Tierschutzes, sondern
könnte bei der Entwicklung von Medikamenten im Tierversuch zu
erheblichen Einsparungen führen, von denen letztlich auch die
Verbraucher profitieren würden.
Bislang war man in der
Versuchstierkunde davon ausgegangen, dass eine möglichst umfassende
Standardisierung aller Umweltfaktoren die Reproduzierbarkeit von
Ergebnissen aus Tierversuchen garantiert. Weil Standardisierung
innerhalb von Labors zu einer Vereinheitlichung der Versuchstiere
führt, sich jedoch viele Faktoren (z.B. Personal, Geruchskulisse, etc.)
zwischen Labors nicht standardisieren lassen, liefern Tierversuche
viele Ergebnisse, die labor- oder versuchsspezifisch sind und somit
keine allgemeine Gültigkeit besitzen. Dies führt zu widersprüchlichen
Erkenntnissen und erfordert – unter Einsatz vieler weiterer
Versuchstiere – Wiederholungsversuche.
Ausgehend davon stellte
Prof. Würbel die Hypothese auf, dass Standardisierung keine Lösung,
sondern – im Gegenteil – eine Ursache für die schlechte
Reproduzierbarkeit von Tierversuchen darstellt. Dies ist unter anderem
auch der Grund dafür, weshalb Medikamente vor ihrer Zulassung auf dem
Markt in aufwendigen klinischen Studien an einer möglichst
repräsentativen (sprich: heterogenen) Stichprobe von Probanden geprüft
werden müssen, statt beispielsweise nur an jungen, gesunden, schlanken
Männern.
Diese Hypothese konnte Prof. Würbel nun im Rahmen eines von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts mit Hilfe
der Doktorandin Helene Richter und eines Kollegen, Prof. Dr. Joseph P.
Garner (Purdue University, USA), bestätigen. Dazu benötigten die
Wissenschaftler noch nicht einmal zusätzliche Versuchstiere, sondern
arbeiteten mit einem bereits publizierten Datensatz über
Verhaltensunterschiede zwischen verschiedenen Mäusestämmen aus einer
Multi-Labor-Studie. Daraus generierten sie Versuchswiederholungen,
deren Mäuse bezüglich dreier bestimmter Umweltfaktoren (Versuchslabor,
Liefertermin und Haltungsbedingung) entweder einheitlich
(standardisiert) oder systematisch unterschiedlich (heterogenisiert)
waren. Die Befunde waren eindeutig: Die Ergebnisse der
heterogenisierten Versuchswiederholungen waren viel einheitlicher als
die der standardisierten. Zudem lieferten standardisierte
Versuchswiederholungen eine deutlich erhöhte Rate falsch positiver
Ergebnisse (d.h. Stammesunterschiede, die nur in einer bestimmten
Versuchswiederholung auftraten).
Aufgrund dieser Befunde sollte
sich laut Prof. Würbel durch ein Versuchsdesign mit systematisch
variierten Umweltbedingungen die Aussagekraft von Tierversuchen
erheblich verbessern und die Rate falsch positiver Ergebnisse
vermindern lassen. Damit ließen sich personell und finanziell
aufwendige Wiederholungsversuche vermeiden und wirkungslose Substanzen
in der Medikamentenentwicklung frühzeitig erkennen. Würbel schätzt,
dass für jedes Medikament, das auf den Markt kommt, mehr als 100
wirkungslose Substanzen geprüft und im Verlauf der Entwicklung fallen
gelassen werden. „Unser Ansatz der Heterogenisierung der
Versuchsbedingungen sollte die Früherkennung wirkungsloser Substanzen
erleichtern“, sagt der Tierschutz-Experte. Dies könnte bei der
Medikamentenentwicklung zu erheblichen Kosteneinsparungen führen und
damit die Medikamentenpreise senken, die maßgeblich von den
Entwicklungskosten bestimmt werden. Zudem ließen sich damit – ganz im
Sinne des Tierschutzes – unzählige Versuchstiere einsparen.
Publikation:
Richter,
S. Helene, Garner, Joseph P. & Würbel, Hanno. Environmental
standardization: cure or cause of poor reproducibility? „Nature
Methods“, Vol. 6, No. 4, April 2009, pp. 257-261
Kontakt:
Prof. Dr. Hanno Würbel
Professur für Tierschutz und Ethologie
Fachbereich 10 – Veterinärmedizin
Frankfurter Straße 104, 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-38750, Fax: 0641 99-38759